Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu A./I./6./, 7./ und 13./, B./I./ und II./ sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthält, wurde Franz S***** (zu A./I./1./ bis 18./ und II./1./ und 2./) „des teils vollendeten, teils versuchten mehrfachen Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 302 Abs 1 und 15 StGB", (zu B./I./ und II./) des „zweifachen Verbrechens" der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und (zu C./) des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er - soweit für die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - in Hollabrunn A./ in der Zeit von 1996 bis Mai 2004 als Landesbeamter der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn mit dem Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf Strafverfolgung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Niederösterreich als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch, dass er es unterließ, nachstehende in seinen Zuständigkeitsbereich fallende verwaltungsstrafrechtlich relevante Sachverhalte einer ordnungsgemäßen Erledigung zuzuführen,
I./ wissentlich missbraucht, und zwar:
1./ im Verfahren 3-14448-96 (Übertretung nach dem KFG), indem der Akt im System als „beeinsprucht" eingetragen wurde, obwohl tatsächlich ein Einspruch nicht getätigt wurde;
2./ im Verfahren 3-17140-97 (Übertretung nach dem KFG), indem die Strafe am 8. Jänner 1998 im System widerrechtlich abgesetzt wurde;
3./ im Verfahren 3-11695-98 (Übertretung nach der StVO), indem im System widerrechtlich „ad-acta" bzw „Akt nicht auffindbar" eingetragen wurde;
4./ im Verfahren 3-11833-99 (Übertretung nach der Gewerbeordnung), indem im System „ad-acta" bzw „Akt nicht auffindbar" eingetragen wurde;
....
6./ im Verfahren 3-5673-00 (Übertretung nach dem NÖ-Spielautomatengesetz), indem der Akt im System widerrechtlich mit „verjährt" ausgetragen wurde;
7./ im Verfahren 3-7487-00 (Übertretung nach dem KFG), indem im System widerrechtlich „ad-acta" bzw „Akt nicht auffindbar" eingetragen wurde;
8./ im Verfahren 3-11222-00 (Übertretung nach dem KFG), indem im System widerrechtlich mit dem Vermerk „Tschechien verzogen" eingestellt wurde;
9./ im Verfahren 3-3695-01 (Übertretung nach der StVO), indem ohne
Bestrafung widerrechtlich eingestellt wurde;
....
11./ im Verfahren 3-2537-02 (Übertretung nach dem KFG), indem im System „ad-acta" eingetragen wurde;
12./ im Verfahren 3-5357-02 (Übertretung nach der Lebensmittelkennzeichnungs-Verordnung 199), indem ohne Bestrafung widerrechtlich eingestellt wurde;
13./ im Verfahren 3-13202-03 (Fahrerflucht nach § 4 StVO), indem ohne Bestrafung widerrechtlich eingestellt wurde;
14./ im Verfahren 3-13156-03 (Übertretung nach dem Güterbeförderungsgesetz), indem der Akt im System widerrechtlich als an das „BPK Alsergrund" abgetreten eingetragen wurde, obwohl er tatsächlich nicht abgetreten wurde;
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II./ wissentlich zu missbrauchen versucht, wobei es lediglich deshalb beim Versuch geblieben ist, weil in den einzelnen Fällen Verjährung noch nicht eingetreten ist, und zwar
1./ im Verfahren 3-3389-03 (Übertretung nach der Kurzparkzonenverordnung), indem im System widerrechtlich eine Ermahnung eingetragen wurde, obwohl tatsächlich das Verfahren noch offen ist;
2./ im Verfahren 3-14573-03 (Übertretung nach der StVO), wobei widerrechtlich keine Bestrafung erfolgt ist und der Akt im System widerrechtlich als „eingestellt" ausgetragen wurde;
B./ nachstehende Personen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie „einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht" falsch verdächtigte, obwohl er wusste, dass die Verdächtigungen falsch waren, „wobei die fälschlich angelasteten Handlungen jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind", und zwar
I./ im April/Mai 2004 Werner Si*****, indem er gegenüber Georg L***** angab, dass das von diesem ursprünglich geforderte Bargeld in Höhe von 1.500 Euro von Werner Si***** gefordert wurde und für diesen bestimmt gewesen sei;
II./ am 12. Oktober 2004 in Korneuburg die Beamten des Bundesministeriums für Inneres Josef P***** und Karl Heinz G*****, indem er angab, sie hätten ihn in seinem Recht auf Verteidigung beschränkt, hätten unzulässigen Druck ausgeübt und Sachen protokolliert, die nicht seiner Aussage entsprochen hätten. Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; ihr kommt teilweise Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen der Verfahrensrüge nach Z 4 erfolgte die Abweisung des Ablehnungsantrags des Verteidigers zu Recht. Denn der Umstand, dass der Verteidiger (nach der soweit unwidersprochenen Begründung des abweisenden Beschlusses: bereits mehrere Jahre zuvor [S 174/III] sowie ersichtlich ohne jeden Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren) den beisitzenden Richter wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt angezeigt hat, ist für sich allein nicht geeignet, bei einem verständig würdigenden objektiven Betrachter nahe liegende Zweifel an der unvoreingenommenen sowie unparteilichen Dienstvorrichtung (Lässig, WK-StPO § 72 Rz 3) des betreffenden Richters in einem gegen den Mandanten dieses Verteidigers geführten Verfahren zu wecken. Würde man diese Eignung bejahen, müsste solches in jedem vom betreffenden Richter geführten Verfahren gelten, in dem der Verteidiger als Parteienvertreter einschreitet, sodass es unter dieser Prämisse letztlich in der Hand der Partei läge, sich durch bloße entsprechende Anzeigeerstattung und Verteidigerwahl ihrem gesetzlichen Richter zu entziehen.
Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5) zu B./I./ auf, dass das Schöffengericht die Feststellung zur subjektiven Tatseite, wonach der Angeklagte bei seiner Äußerung gegenüber dem mit ihm befreundeten Firmeninhaber L***** „ernstlich damit rechnete, dass er Si***** einer behördlichen Verfolgung aussetzt, womit er sich auch abfand" (US 24, 100), unbegründet ließ. Daran vermag auch der - im Urteil erwähnte (US 112 f) - Umstand, wonach es objektiv tatsächlich zu einer Verfolgung Si***** gekommen ist, nichts zu ändern. Einer eigenständigen Begründung der erwähnten Feststellung bedurfte es schon deshalb, weil es keineswegs selbstverständlich oder gar zwingend ist, dass jemand bei einer Äußerung gegenüber einer Privatperson, mit der er sich zugleich auch selbst belastet, damit rechnet, dass der Gesprächspartner deren Inhalt einer Strafverfolgungsbehörde zur Kenntnis bringen werde. Aber auch zu B./II./ ist der Beschwerde zuzustimmen, dass dem angefochtenen Urteil keinerlei Begründung für die - erst in der rechtlichen Beurteilung erfolgte (US 112) - Konstatierung zur inneren Tatseite, der Angeklagte habe ernstlich damit gerechnet und sich damit abgefunden, dass er die von ihm (im Rahmen seiner in der Hauptverhandlung abgelegten Verantwortung) belasteten Polizeibeamten der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze, zu entnehmen ist. Allein aus dem Umstand, dass die Äußerung objektiv gegenüber Organen der Strafverfolgungsbehörde erfolgte, ist nicht bereits zwingend zu folgern, der Angeklagte habe damit gerechnet, dass seine - tatsächlich ersichtlich von Beginn an nicht ernst genommenen (vgl S 181/III) und objektiv auch zu keinen Verfolgungshandlungen gegen die bezichtigten Beamten, sondern nur zu solchen gegen den Angeklagten wegen § 297 Abs 1 StGB führenden - Vorwürfe mit naher Wahrscheinlichkeit (vgl Pilnacek in WK2 § 297 Rz 17) behördliche Verfolgungsschritte gegen die bezichtigten Beamten zur Folge haben würden.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, inhaltlich auch Z 5) zu A./I./1./ bis 4./, 6./ bis 9./, 11./ bis 14./ sowie A./II./1./ und 2./ ist teilweise im Recht.
Zu A./I./1./ geht sie nicht von den Urteilsfeststellungen aus, vernachlässigt sie doch mit der Behauptung, die am 28. März 2000 erfolgte Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens sei - den Feststellungen zuwider - infolge Vollstreckungsverjährung zu Recht erfolgt, dass die Tatrichter den Befugnismissbrauch des Angeklagten in diesem Fall darin begründet sahen, dass er mehr als drei Jahre lang keine Eintreibungsschritte unternommen hat (US 56), bevor er das Verfahren einstellte.
Zu A./I./2./ wiederum bekämpft die Beschwerde mit der Behauptung, dass die Strafverfügung - entgegen den Konstatierungen des Schöffengerichts (US 19) - beeinsprucht worden sei, lediglich die Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.
Zu A./I./3./ und 8./ beschränkt sich die Rüge nach Z 9 lit a auf die bloße Rechtsbehauptung, die Verwaltungsstrafverfahren seien zu Recht eingestellt worden, und lässt damit nicht erkennen, welchen Rechtsfehler sie geltend machen will (vgl 13 Os 151/03). Den daran anschließenden Ausführungen zu Z 5 zuwider blieb die Verantwortung des Angeklagten, dass sich der Angezeigte M***** in Tschechien aufhalte und in Österreich nur scheingemeldet sei, nicht unerörtert, sondern wurde vom Schöffengericht gewürdigt (US 70). Zu A./I./4./ und 9./ argumentiert die Rechtsrüge mit der Behauptung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Einstellung nach § 21 Abs 1 VStG (Absehen von der Strafe wegen Geringfügigkeit) nicht auf Basis der erstrichterlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 34 f, 38, jeweils iVm 20, 58 f). Soweit sie deren Begründung kritisiert (Z 5), vermag sie keine Grundlage hiefür in den Verfahrensergebnissen zu bieten, zumal sich nicht einmal der Angeklagte selbst in diese Richtung verantwortet, sondern zum einen behauptet hat, der betreffende Akt sei in Verstoß geraten (US 72 ff), zum anderen, er sei der Meinung gewesen, das Verfahren sei mangels Nachweisbarkeit eines Fehlverhaltens des Angezeigten einzustellen gewesen (US 77). Zu A./I./11./ orientiert sich die Rechtsrüge erneut nicht an den Feststellungen dazu, dass und warum es zu einer Bestrafung im entsprechenden Verwaltungsstrafverfahren hätte kommen müssen (US 39), sondern bekämpft diese - ohne Grundlage in den vorliegenden Verfahrensergebnissen, zumal sich nicht einmal der Angeklagte in diese Richtung verantwortet hat (US 76 ff) - mit eigenständigen Erwägungen zur Erweislichkeit der subjektiven Tatseite. Auch zu A./I./12./ behauptet die Beschwerde entgegen den Urteilskonstatierungen (US 40), der Angeklagte habe das Verwaltungsstrafverfahren mangels Vorliegens von Fahrlässigkeit bei der Angezeigten zu Recht eingestellt, und bekämpft damit in unzulässiger Form die - sich mit dieser Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung auseinandersetzende, sie jedoch begründet verwerfende - Beweiswürdigung der Tatrichter (US 80 f). Zu A./I./14./ vernachlässigt die Rechtsrüge die Feststellungen, denen zufolge der Angeklagte den betreffenden Akt gar nicht an das Kommissariat Alsergrund abgetreten, sondern diesen Umstand nur durch entsprechende Eingabe in den Computer vorgetäuscht hat (US 35 f). Dass der Beschwerdeführer für den betreffenden Akt gar nicht zuständig gewesen ist, hat das Erstgericht - den Ausführungen zu Z 5 zuwider - erörtert (US 63).
Zu A./II./1./ hat der Angeklagte - der Beschwerde zuwider - nach den Urteilsfeststellungen der Angezeigten keine Ermahnung erteilt und zu A./II./2./ das Verwaltungsstrafverfahren nicht eingestellt, sondern diese Erledigungen in beiden Fällen nur vorgetäuscht (US 45 f). Bemerkt wird, dass der Schuldspruch zu A./II./1./ und 2./ rechtsrichtig wegen des vollendeten statt bloß versuchten Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt hätte erfolgen müssen, weil der Eintritt eines Schadens nicht Tatbildmerkmal ist (Fabrizy StGB8 § 302 Rz 24). Dieser Rechtsfehler wirkte jedoch zum Vorteil des Angeklagten, sodass ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO nicht in Betracht kam.
Im Recht ist die Beschwerde (der Sache nach aus Z 5) aber zu A./I./6./ mit dem Vorwurf, das Erstgericht habe die Verantwortung des Angeklagten, der betreffende Akt sei zum Zeitpunkt der (gemeint: ersten möglichen) Bearbeitung durch ihn bereits verjährt gewesen (S 35/IV), ohne zureichende Begründung als widerlegt angesehen, zumal die von den Tatrichtern dabei ersichtlich vertretene Ansicht, eine Verwaltungsübertretung nach § 8 NÖ-Spielautomatengesetz unterliege einer längeren als sechsmonatigen Verjährungsfrist (US 37, 67, S 35/IV), einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (§ 31 Abs 3 VStG). Zu A./I./7./ ist - wie die Beschwerde im Rahmen ihres Vorbringens zur Rechtsrüge, der Sache nach aus Z 5 richtig releviert - der Beweiswürdigung (US 74 ff) nicht zu entnehmen, warum das Schöffengericht die Verantwortung des Angeklagten, er habe geglaubt, es bestünde für außerhalb des EU-Gebiets begangene Übertretungen nach dem KFG keine österreichische Strafkompetenz, als widerlegt angesehen hat, zumal das Urteil eine Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Rechtslage hiezu gänzlich unterlassen hat.
Ebenfalls zutreffend macht die Beschwerde zu A./I./13./ (inhaltlich wiederum Z 5) der Sache nach geltend, dass die vom Erstgericht gegebene Begründung dafür, dass der Angeklagte das betreffende Verwaltungsstrafverfahren widerrechtlich eingestellt habe, offenbar unzureichend ist, weil sie mit der Behauptung des Erfordernisses einer Vernehmung der Beteiligten vor einer Einstellungsentscheidung (US 82 f) sich nicht damit auseinandersetzt, dass diese ausführlich von der Gendarmerie zum Anzeigesachverhalt vernommen worden waren (S 481 ff/II).
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war das Urteil daher im aufgezeigten Umfang aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285e StPO). Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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