OGH 3Ob128/05b

OGH3Ob128/05b20.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Zehra A*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Februar 2005, GZ 43 R 33/05d-76, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 12. Oktober 2004, GZ 1 P 332/03z-63, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG 1854 zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die 1992 in Wien geborene und auch in Pflege ihrer Mutter dort lebende Minderjährige ist wie ihre geschiedenen Eltern türkischer Staatsangehörigkeit. Ihr Vater, der nunmehr in Deutschland lebt, wurde mit Beschluss vom 9. März 1994 ON 20 zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 2.000 S verpflichtet.

Das Erstgericht bewilligte dem Kind mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 Unterhaltsvorschüsse von monatlich 145,34 EUR für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2007.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Es ging davon aus, dass die Mutter für ihre Tochter Familienbeihilfe beziehe und die Voraussetzungen des Art 1 der VO (EG) Nr. 859/2003 für die Ausdehnung der Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 und der VO (EWG) Nr. 542/72 auf die Mj. als Drittstaatsangehörige vorlägen. Das Fehlen dieser Voraussetzungen sei auch im Rekurs nicht releviert worden. Darüber hinaus habe sie auch (in Übereinstimmung mit der E 1 R 237/02i des Landesgerichts Feldkirch) auf Grund des Assoziierungsabkommens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit der Türkei Anspruch auf Unterhaltsvorschuss wie ein EWR-Bürger.

Auf die Unterhaltsfestsetzung durch ein türkisches Gericht am 23. November 1995 komme es nicht an, weil nach dem Lugano-Übereinkommen (LGVÜ) nur die Unvereinbarkeit der zu vollstreckenden Entscheidung mit einer früheren Entscheidung von Bedeutung sei. Auch Bedenken iSd § 7 UVG gegen die Leistungsfähigkeit des Vaters, der nunmehr eine Bruttogrundvergütung von 1.748,33 EUR monatlich beziehe, bestünden nicht.

Es fehle höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob 1) türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen im Anwendungsbereich der „Wanderarbeitnehmerverordnung" wegen des Assoziierungsabkommens vom 12. September 1983 Anspruch auf Unterhaltsvorschuss wie Bürger der Union haben, und ob 2) die spätere Festsetzung des Kindesunterhalts im Scheidungsverfahren durch ein türkisches Gericht dem österr. Titel die Eignung nach § 3 Z 1 UVG nehme.

Der Revisionsrekurs des Bundes ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nach § 16 Abs 3 AußStrG 1854 nicht bindenden Ausspruch der zweiten Instanz nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Bestimmungen des AußStrG 1854 sind hier für das Rechtsmittelverfahren noch maßgebend, weil die Entscheidung erster Instanz noch 2004 erging (§ 203 Abs 7 AußStrG 2004).

Wie sich schon aus dem angefochtenen Beschluss ergibt, focht der nunmehrige Revisionswerber die erstinstanzliche Entscheidung nur wegen des angeblichen Vorliegens des Versagungsgrundes des § 7 Abs 1 Z 1 UVG und wegen berechtigter Zweifel am Fortbestehen des den Vorschüssen zugrunde gelegten (österr.) Unterhaltstitels an, bekämpfte aber das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen der Minderjährigen für eine Vorschussgewährung an sich nicht.

Wegen der seit der WGN 1989 bestehenden mit denen der ZPO inhaltsgleichen Regelungen des AußStrG 1854 über den Revisionsrekurs kann auch in dessen Anwendungsbereich eine in zweiter Instanz versäumte Rechtsrüge in der dritten nicht mehr nachgeholt werden (3 Ob 160/97v = EFSlg 85.726). Nichts anderes gilt aber für unbekämpfte selbständige Streitpunkte (Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 56) wie hier die Frage, ob die Minderjährige als türkische Staatsbürgerin mit österr. gewöhnlichen Aufenthalt, deren türkischer Vater in der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, Vorschüsse nach dem UVG erhalten kann. Damit kann sich aber im Zusammenhang damit die von der zweiten Instanz für erheblich angesehene erste Rechtsfrage nicht mehr stellen. Abgesehen von umfangreichen wörtlichen Zitaten aus nur zum Teil benannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wird im Rechtsmittel auch nicht einmal die Unrichtigkeit der zweitinstanzlichen Rechtsauffassung zu diesem Themenkomplex zu begründen versucht.

Was aber die zweite Frage angeht, ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, ob begründete Bedenken gegen das Bestehen (oder die Höhe) der festgesetzten Unterhaltspflicht iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestehen, was idR schon gegen das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG 1854 spricht. Dass die derzeitige Leistungsfähigkeit des Vaters gegen den Fortbestand der Unterhaltsverpflichtung in der vor nunmehr mehr als elf Jahren festgesetzten Höhe spräche, wird (zu Recht) im Revisionsrekurs nicht mehr releviert.

Eine Derogationswirkung von späteren Unterhaltsentscheidungen wäre an sich zwar denkbar, ihre Verneinung angesichts des Umstands, dass dem türkischen Urteil jeder Bezug zur früheren österr. Unterhaltsentscheidung fehlt, wirft aber keine erheblichen Rechtsfragen auf. Warum diese Ansicht unrichtig sein soll, lässt sich auch den Rechtsmittelausführungen nicht entnehmen; auf die allfällige Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels in Österreich, der nicht Gegenstand des Antrags war, kann es ebenso wenig ankommen wie im Übrigen auf die entsprechende Eigenschaft des in Anspruch genommenen inländischen Titels in Deutschland. Daraus ist keinesfalls abzuleiten, dass der jüngere Titel - nach dessen eigener Intention - den älteren ersetzen oder abändern solle, entstand dieser doch ohne Verfahrensbeteiligung von Mutter oder Kind allein auf Antrag des Unterhaltsverpflichteten. Im anderen Fall lägen in Ansehung dieser türkischen Unterhaltsentscheidung, bei der es sich um eine Säumnisentscheidung handelt, die Anerkennungshindernisse des Art 4 Abs 1 lit c des österreichisch-türkischen Vollstreckungsvertrags BGBl 1992/571 und des Art 2 Z 4 des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens BGBl 1961/294 vor, weil sie dann im Widerspruch zur in Österreich erfolgten gerichtlichen Unterhaltsfestsetzung stünde. Und abgesehen von weiteren solchen Hindernissen lägen schon die Zuständigkeitsvoraussetzungen (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt der Unterhaltsberechtigten in der Türkei) nach Art 6 Abs 10 des erstgenannten Übereinkommens und die nach Art 4 Z 3 des zuletzt genannten für eine Anerkennung in Österreich erforderlichen Urkunden nicht vor.

Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

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