OGH 14Os86/05m

OGH14Os86/05m20.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lang als Schriftführer, in der Strafsache gegen Abedin B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 9. Juni 2005, GZ 39 Hv 39/05i-83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Bacher, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Hallas zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Abedin B***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt. Danach hat er sich am 6. November 2004 in Mödling in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Raset I***** dadurch vorsätzlich zu töten, dass er ihr mit einem Samuraischwert insgesamt 30 Stich- und Schnittwunden im Kopf-, Hals-, Brust- und Rückenbereich sowie an den Armen zufügte, wobei auch beide Lungenflügel, die Leber und das Zwerchfell verletzt, zwei Rippen durchtrennt und die rechte Drosselblutader aufgeschnitten wurden, sodass infolge massiven Blutverlustes und Lufteintrittes über die geöffneten Halsgefäße in die rechte Herzkammer der Tod der Genannten eintrat.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform an sie gerichtete Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes gemäß § 75 StGB verneint, die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags gemäß § 76 StGB bejaht und die auf § 11 StGB gerichtete Zusatzfrage zur Eventualfrage verneint.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, welche die Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag bekämpft. Ihr kommt - in Übereinstimmung mit der vom Generalprokurator zur Nichtigkeitsbeschwerde abgegebenen Stellungnahme, jedoch entgegen der hiezu vom Verteidiger gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - Berechtigung zu.

Eine Eventualfrage ist (unter anderem) dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (§ 314 Abs 1 StPO). Im vorliegenden Fall wäre eine Eventualfrage nach Totschlag demnach nur bei einem Tatsachenvorbringen zulässig gewesen, auf dessen Grundlage die rechtliche Annahme getroffen werden könnte, der Angeklagte habe sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Raset I***** zu töten.

Abedin B***** verantwortete sich in der Hauptverhandlung damit, Raset I***** habe bei der Haltestelle gespuckt, sei aggressiv gewesen und habe mit dem Kopf „Bewegungen gemacht". Er habe ihre Aggressivität gespürt und sei über ihr Verhalten und ihre Gesten verärgert gewesen (S 301 f II). Ihr Gatte Kazbek I***** habe seinen Sohn Arsen B***** „in Panik gesetzt", Raset I***** sei aggressiv gewesen und habe seinem Sohn Angst eingejagt und „mit der Hand gedeutet, dass sie ihn schlagen will" (S 311/II). Die „tschetschenischen Jugendlichen" wären von Raset I***** und Kazbek I***** manipuliert und gegen ihn gehetzt worden (S 313/II). In seinem „Nervensystem" habe die Idee „dominiert", Raset I***** anzugreifen. Er habe an seinen Sohn gedacht, was mit ihm passiert ist. Er habe an alles gedacht, was „sie" gegen ihn und seinen Sohn „gemacht haben". Dann habe er sie getötet, habe „eingestochen" (S 307/II). Nachdem, was ihnen passiert sei, könne man das auch als „Rache" bezeichnen. Aber das Motiv sei die - vom Angeklagten dem Tatopfer und deren Mann als Initiatoren zugeschrieben - mehrfache Vergewaltigung seines Sohnes (durch tschetschenische Jugendliche) und der Stress gewesen, den er gehabt habe (S 313/II).

Zunächst schließt schon das vom Angeklagten selbst zugestandene Tatmotiv der Rache die Anwendbarkeit des § 76 StGB aus, weil Rachsucht einen Affekt nicht allgemein begreiflich macht (vgl RIS-Justiz RS0092108).

Im Übrigen wird im Rechtsmittel der Anklagebehörde eine irrige Bewertung der für die heftige Gemütsbewegung ausschlaggebenden Sachlage durch den Angeklagten vorgebracht.

Wenn auch ein Irrtum über einen den Gefühlsausbruch auslösenden Umstand die Tat grundsätzlich nach § 76 StGB privilegieren kann, so ist eine Eingrenzung aber insoweit geboten, als sich aus den für das Affektverschulden bei der allgemeinen Begreiflichkeit entwickelten Grundsätzen etwas anderes ergibt.

Für den vorliegenden Fall gilt, dass die allgemeine Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung immer dann auszuschließen ist, wenn der Affektsturm auf Charaktermängel, ausgeprägte Psychopathien oder Triebstörungen zurückzuführen ist (vgl. Moos in WK2 § 76 Rz 37 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 30; SSt 62/63).

Genau darauf stellt die Nichtigkeitsbeschwerde ab, indem sie einen auf der Basis bloßer Spekulationen ausgelösten Affektsturm als nicht allgemein begreiflich wertet und insoweit auf die Gutachtensergebnisse über eine beim Angeklagten vorzufindende Persönlichkeitsstörung im Sinne einer erhöhten Labilität, eines überzogenen Selbstbezugs, einer hohen Irritierbarkeit und einer geminderten Hemmfähigkeit verweist, welche bei ihm zu einer gedanklichen Einengung nach Art einer Fixierung auf ein seiner Meinung nach real vorgefallenes Geschehen führte (vgl S 359 ff II iVm ON 52).

Ein aus dieser gestörten Persönlichkeit resultierender Irrtum des Angeklagten über den Ausgangspunkt seines Affektsturms vermag daher - mangels allgemeiner Begreiflichkeit - die Privilegierung des § 76 StGB nicht zu rechtfertigen.

Da somit das für den Totschlag essentielle Merkmal der „allgemeinen Begreiflichkeit" der heftigen Gemütsbewegung nicht vorlag, war die Stellung einer Frage nach § 76 StGB durch die Verfahrensergebnisse nicht indiziert und daher verfehlt.

Demnach war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen.

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