Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies den Antrag ab, auszusprechen, dass die mit Hausanschlag vom 30. 9. 2002 bekanntgegebene Abberufung (Kündigung) der Antragstellerin als Verwalterin des Hauses *****, wegen formeller Mängel, Gesetzwidrigkeit und Fehlens der erforderlichen Mehrheit unwirksam sei. Es führte - zusammengefasst - aus, insgesamt lägen zwei Umlaufbeschlüsse vor, von denen die Antragstellerin allerdings nur den ersten bekämpfe, was sich neben ihrem Antragsbegehren auch aus der Erörterung in der mündlichen Verhandlung ergeben habe. Daraus folge, dass der zweite Umlaufbeschluss auf Kündigung der Antragstellerin als Verwalterin unter gleichzeitiger Bestellung der neuen Hausverwaltung nicht bekämpft worden sei. Mangels Bekämpfung sei der zweite Umlaufbeschluss rechtswirksam geworden, weshalb die Antragstellerin per 31. 12. 2002 gekündigt und die neue Hausverwaltung bestellt worden sei. Da der unbekämpft gebliebene Beschluss das gleiche Resultat erzielt habe, wie der hier allein von der Antragstellerin bekämpfte Beschluss, nämlich die Kündigung der Antragstellerin per 31. 12. 2002, fehle der Antragstellerin das rechtliche Interesse an der Feststellung, dass der erste Beschluss nicht rechtswirksam geworden sei. Mangels rechtlichen Interesses sei deshalb der Sachantrag der Antragstellerin ohne nähere inhaltliche Prüfung abzuweisen gewesen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 10.000,-- übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs - mangels erheblicher Rechtsfragen - nicht zulässig sei. Es führte unter anderem Folgendes aus:
Dem verfahrenseinleitenden Sachantrag ON 1 könne jedenfalls nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnommen werden, ob die Antragstellerin darin beide oder nur einen der Umlaufbeschlüsse bekämpfe. Während aus der Antragserzählung entnommen werden könnte, der Antrag beziehe sich - zumindest auch - auf den zweiten Umlaufbeschluss (werde doch dort ihre Abberufung und die Bestellung des neuen Hausverwalters erwähnt), werde im Antrag selbst als „bekämpfter" Beschlussinhalt nur ihre Abberufung (Kündigung) erwähnt. Genau genommen lasse sich aus dem Sachantrag ON 1 aber nicht einmal mit der notwendigen Sicherheit erschließen, dass die Antragstellerin überhaupt die Existenz zweier unterschiedlicher Beschlüsse behaupte.
Das Protokoll der (einzigen) Tagsatzung vom 30. 1. 2003 enthalte unter anderem folgende Passage:
„Erörtert wird, dass mit dem Antrag ON 1 offensichtlich nur der erste Beschluss auf Kündigung der [Antragstellerin], nicht aber der zweite Beschluss auf Kündigung der [Antragstellerin] und gleichzeitiger Bestellung der neuen Hausverwaltung bekämpft wird. Antragstellervertreter bestreitet dies nicht."
Anzumerken sei, dass die Antragstellerin - wie im gesamten Verfahren - auch in dieser Tagsatzung anwaltlich vertreten gewesen sei. Weitere Prozesserklärungen der Antragstellerin zum Umfang ihres Sachantrages seien nicht erfolgt.
Damit sei aber das Erstgericht völlig zu Recht davon ausgegangen, dass der Sachantrag der Antragstellerin lediglich die erste, nicht aber auch die zweite Beschlussfassung zum Inhalt gehabt habe. Soweit die Antragstellerin in ihrem Rekurs ausführe, dies sei aktenwidrig und nicht nachvollziehbar, sei sie auf ihre eigene - oben wörtlich zitierte - Prozesserklärung in der Tagsatzung vom 30. 1. 2003 zu verweisen: Wenn die Erstrichterin unmissverständlich erörtere, was ihrer Ansicht nach Inhalt des Sachantrages und insbesondere, was umgekehrt nicht Inhalt dieses Sachantrages sei, und die Antragstellerin dies ausdrücklich „nicht bestreitet", könne dies nicht erstmals im Rekursverfahren „bestritten" werden. Mit anderen Worten: Die Erstrichterin habe geradezu vorbildlich im Rahmen ihrer Anleitungspflicht mit den Parteien den konkreten Inhalt des Sachantrages der Antragstellerin erörtert. Auf Grund der Prozesserklärung der Antragstellerin - die im weiteren Verfahren nicht mehr modifiziert worden sei - sei daher ohne jeden Zweifel geklärt gewesen, dass die Antragstellerin nur die Rechtswirksamkeit des ersten Beschlusses bekämpfe.
Dass bei dieser Konstellation - entgegen den den Inhalt des Verhandlungsprotokolls beharrlich ignorierenden Rekursausführungen - nicht ernsthaft der Erstrichterin eine Verletzung des (eingeschränkten) Untersuchungsgrundsatzes vorgeworfen werden könne, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Hier gehe es nicht um eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Antragstellerin, habe diese doch über Aufforderung der Erstrichterin eine - wenngleich ihrem Rechtsstandpunkt nicht eben dienliche - Prozesserklärung zum hier behandelten Problem abgegeben.
Ohne Rechtsirrtum habe das Erstgericht das rechtliche Interesse der Antragstellerin an der von ihr begehrten Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des ersten Umlaufbeschlusses verneint, weil - mit dem zweiten Umlaufbeschluss - eine völlig inhaltsgleiche Willensbildung rechtswirksam zustandegekommen sei.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der am 7. 3. 2005 überreichte außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen Nichtigkeit des vorinstanzlichen Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im stattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Rechtsmittelwerberin führt ua aus, in Vorbereitung dieses Rechtsmittels habe ein Antragstellervertreter am 2. 3. 2005 beim Erstgericht Akteneinsicht genommen (vgl AS 314), weil die vom Rekursgericht unter Anführungszeichen gesetzte Textpassage aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 30. 1. 2003 in der den Antragstellervertretern gemeinsam mit dem erstgerichtlichen Sachbeschluss zugestellten Protokollabschrift nicht aufscheine. Bei dieser Akteneinsicht sei festgestellt worden, dass die den Antragstellervertretern zugestellte Protokollabschrift mit dem im Gerichtsakt liegenden Protokoll nicht übereinstimme.
Unter einem erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen die Übertragung des betreffenden Tonbandprotokolles.
Die Erstrichterin nahm zu diesen Rechtsmittelausführungen in einem Aktenvermerk vom 9. 3. 2005 Stellung (ON 40). Sie habe beim Kontrolllesen des von der Schreibabteilung übertragenen Protokolles die Formulierung über die Erörterung der Anfechtung des ersten, nicht aber des zweiten Beschlusses vermisst und angenommen, dass sie wegen technischer Probleme mit dem neuen digitalen Diktiergerät versehentlich diese Passage gelöscht habe. Neben anderen Korrekturen habe sie die ihres Erachtens zwar ursprünglich protokollierte, aber später fehlende Passage eingefügt. Offensichtlich sei den Antragstellervertretern irrtümlich eine nicht verbesserte Protokollabschrift übersendet worden.
Den Antragsgegnern wurde die Beantwortung des außerordentlichen Revisionsrekurses freigestellt, von welcher Möglichkeit einige Antragsgegner Gebrauch machten. Sie beantragen, das Rechtsmittel und den Widerspruch zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat hat erwogen:
Zunächst ist den Revisionsrekursbeantwortungen entgegenzuhalten, dass der rekursgerichtliche Ausspruch, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige EUR 10.000,-- (§ 52 Abs 2 Z 7 WEG 2002 iVm § 37 Abs 3 Z 18a MRG) grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend ist; eine Verletzung zwingender gesetzlicher Bewertungsvorschriften liegt nicht vor (vgl Kodek in Rechberger2 § 500 ZPO Rz 3).
In der Sache ist vorauszuschicken, dass im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren für Protokolle die Bestimmungen der ZPO gelten (§ 37 Abs 3 Z 12 MRG aF; § 37 Abs 3 MRG nF iVm § 22 AußStrG nF).
Die Antragstellerin hat vom Inhalt des korrigierten Verhandlungsprotokolles erst nach Zustellung der Rekursentscheidung, die sich auf die strittige Textpassage stützte, durch Akteneinsicht ihres Vertreters Kenntnis erlangt und festgestellt, dass in der ihren Vertretern zugestellten Protokollabschrift diese Textstelle fehlt. Sie hat darauf zugleich mit dem außerordentlichen Revisionsrekurs Widerspruch gegen die Übertragung des Tonbandprotokolles im Sinne von § 212a Abs 2, § 212 Abs 5 ZPO erhoben. Die dreitägige Widerspruchsfrist beginnt grundsätzlich mit dem Tag nach Zustellung der Protokollabschrift. Die im Gerichtsakt liegende Protokollversion wurde der Antragstellerin nicht zugestellt. Ihr (unter Berücksichtigung des Wochenendes) innerhalb von drei Tagen ab Akteneinsicht erhobener Widerspruch war jedenfalls rechtzeitig. Aus dem Aktenvermerk der Erstrichterin ON 40 ergibt sich, dass diese zu einer Berichtigung des von ihr ergänzten Protokolles nicht bereit ist.
Der Widerspruch bewirkt gemäß § 215 Abs 1 ZPO, dass das Protokoll nicht mehr vollen Beweis über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung macht. In einem solchen Fall hätte das Rekursgericht gemäß § 498 Abs 2 ZPO nötigenfalls nach mündlicher Verhandlung in freier Beweiswürdigung über die Berechtigung des Widerspruches zu befinden (vgl Gitschthaler in Rechberger2 § 215 ZPO Rz 2; Kodek in Rechberger2 § 498 ZPO Rz 3). Hiezu war das Rekursgericht auf Grund des zeitlichen Ablaufes (rechtzeitiger Widerspruch nach Rekursentscheidung) nicht in der Lage. Vielmehr hat es seine Entscheidung auf nunmehr zweifelhafter Grundlage getroffen.
Bei der Herstellung (und Zustellung) unterschiedlicher Protokollversionen handelt es sich zwar nicht um eine Nichtigkeit, wohl aber um einen Verfahrensmangel erster Instanz. Ein solcher kann zwar in der Regel in dritter Instanz nicht mehr wahrgenommen werden, hier schlägt er aber insofern auf das Verfahren zweiter Instanz durch, als das Rekursgericht in der Folge nicht gemäß § 498 Abs 2 ZPO vorgehen konnte. Der Verfahrensmangel ist wesentlich, weil die strittige Textstelle für die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen von entscheidender Bedeutung war.
Eine Klärung des strittigen Verhandlungsverlaufes durch den Obersten Gerichtshof, der nur Rechtsinstanz ist, kann nicht erfolgen. Somit steht für den Obersten Gerichtshof nicht fest, dass die fragliche Erörterung stattgefunden hat. Eine Erörterung, was Gegenstand des Sachantrages ist, war aber erforderlich, weil der Sachantrag - wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat - undeutlich ist.
Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Sachbeschlüsse an das Erstgericht zurückzuverweisen, welches die erwähnte Erörterung - gleichgültig ob neuerlich oder erstmals - vorzunehmen haben wird.
Eine Stellungnahme zur Rechtsrüge der Antragstellerin ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zweckmäßig, weil sich die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen im nächsten Verfahrensgang nach Klärung des Gegenstandes des Sachantrages in eine ganz andere Richtung entwickeln kann.
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