Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Am 24. 8. 2004 zog die Mutter aus der ehelichen Wohnung aus und nahm die bisher von beiden Elternteilen betreuten Kinder mit. Beide Eltern stellten den Antrag, ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder zu übertragen und diese dem anderen Elternteil zu entziehen.
Das Erstgericht sprach aus, dass der Mutter für die Dauer der nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern die alleinige Obsorge für ihre Kinder zukomme, und wies den Antrag des Vaters ab. Es traf Feststellungen zur derzeitigen Betreuung der Kinder durch ihre Mutter und deren Verwandte, die sich darin zusammenfassen lassen, dass die Kinder gut betreut werden und auch zu ihrer Großmutter eine gute Beziehung haben. Für die Obsorgezuteilung sei die Erziehungskontinuität von wesentlicher Bedeutung. Ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen solle daher nur dann vorgenommen werden, wenn besondere Umstände dafür sprechen. Obgleich der Vorrang der Mutter bei der Obsorgezuteilung gesetzlich nicht normiert sei, entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass Kleinkinder möglichst bei der Mutter unterzubringen seien. Auch seien Geschwister tunlichst nicht zu trennen. Die Mutter gehe mit den beiden noch im zarten Alter befindlichen Kindern liebevoll um und betreue sie in jeder Hinsicht entsprechend ihren Bedürfnissen ordnungsgemäß. Es bestehe daher kein Zweifel daran, dass der Verbleib der beiden Kleinkinder in der Obhut und Obsorge ihrer Mutter deren Wohl entspreche.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Bei der Obsorgeentscheidung seien vor allem die Möglichkeiten der Unterbringung und Betreuung, die emotionalen Bindungen, die Persönlichkeit und die erzieherische Eignung eines jeden Elternteils sowie seine Bereitschaft, Verantwortung für das Kind zu tragen, abzuwägen. Es sei dem Vater zwar beizupflichten, dass ein Grundsatz, Kinder eines bestimmten Alters oder bestimmten Geschlechts dem einen oder anderen Elternteil zuzuteilen, nicht existiere. Bei gleichwertigen Verhältnissen der beiden Elternteile sei allerdings der Betreuung von Kleinkindern durch deren Mutter der Vorzug zu geben. Kleinkinder hätten im Regelfall eine stärkere Bindung zur Mutter und bedürften deren liebevoller Pflege und behutsamer Hand für ihre Erziehung, was insbesondere auch der Lebenstatsache Rechnung trage, dass besonders im Kleinkindalter die unmittelbare und elementare Bedürfnisbefriedigung des Kindes auch in seelischer Hinsicht im Vordergrund stehe. Ein weiteres maßgebliches Kriterium bilde die Kontinuität der Pflege und Erziehung und die Belassung des Kindes im bisherigen häuslichen Rahmen oder bei dem Elternteil, der es auch zuletzt schon längere Zeit bei sich gehabt und gepflegt habe. Auch wenn unstrittig sei, dass die Erziehungseignung und auch die materiellen Voraussetzungen für eine Ausübung der Obsorge bei beiden Elternteilen gegeben seien, ergeben sich aus dem Akteninhalt auch hinsichtlich des älteren Kindes keine Anhaltspunkte dafür, dass die Unterbringung bei der Mutter für dieses nachteilig wäre. Der Grundsatz, dass ein Wechsel des betreuenden Elternteils vermieden werden solle, sei keineswegs auf das Geschlecht des Elternteils oder „tradierte Rollenbilder" zu beziehen, sondern nur auf den faktischen Umstand, wer im Leben des Kindes bisher als Hauptbezugsperson aufgetreten ist. Auch der Vater habe letztlich nicht bestritten, dass die Mutter immer Hauptbezugsperson der Kinder gewesen sei. Da das Kindeswohl im Vordergrund stehe, komme dem Umstand, dass die Mutter die Kinder eigenmächtig aus dem bisherigen Betreuungszustand verbracht habe, keine Bedeutung zu, zumal sich allein daraus im vorliegenden Fall nicht auf die mangelnde Eignung zur Kindererziehung schließen lasse. Der Hinweis des Vaters, die Mutter werde ihm ein normales Besuchsrecht nicht „gönnen", sei überholt, weil die Eltern nach der Entscheidung erster Instanz einen pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleich über die Ausübung des Besuchsrechts geschlossen haben; das Argument, die Mutter verweigere den Kindern und dem Vater einen normalen Kontakt, könne damit wohl nicht aufrechterhalten werden. Da von der Leitjudikatur des Obersten Gerichtshofs nicht abgegangen worden sei, ei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und in seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend hat das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass maßgebliche Kriterien für die Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte die Kontinuität der Pflege und Erziehung und die Belassung des Kindes im bisherigen häuslichen Rahmen oder bei dem Elternteil, der es auch zuletzt schon längere Zeit bei sich gehabt und gepflegt habe, sei. Der Revisionsrekurswerber weist nun zu Recht darauf hin, dass er bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht hat, er habe sich mehr als die Mutter um die Kinder, insbesondere den Sohn, gekümmert; dass die Kinder bis zum Auszug der Mutter in jenem häuslichen Rahmen gelebt haben, in dem der Vater weiterhin wohnt, ist ohnehin nicht strittig. Der Hinweis des Rekursgerichts, der Vater habe „letztlich nicht bestritten", dass die Mutter immer Hauptbezugsperson der Kinder gewesen sei, ist durch die Aktenlage nicht gedeckt. Die Vorinstanzen haben weder die Betreuungsverhältnisse vor dem Auszug der Mutter erhoben, noch geprüft, wie sich eine Betreuung durch den Vater auf das Wohl der Kinder auswirken würde.
Ebensowenig haben sich die Vorinstanzen mit den Bedenken des Vaters auseinandergesetzt, die Mutter sei nicht in der Lage, die Wichtigkeit des Kontakts der Kinder zum Vater richtig einzuschätzen und bei der tatsächlichen Ausübung seines Besuchsrechts im Falle einer Übertragung der Obsorge an sie zu berücksichtigen; eine erhebliche Einschränkung des Kontakts zum Vater wäre dem Wohl der Kinder abträglich. Auch dazu haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Die Auffassung des Rekursgerichts, mit dem Abschluss eines pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleichs über das Besuchsrecht des Vaters nach der erstinstanzlichen Entscheidung, hätte sich diese Problematik erledigt, kann schon deshalb nicht geteilt werden, weil es durchaus vorkommt, dass der mit der Obsorge betraute Elternteil die Ausübung vereinbarter Besuchsrechte nicht immer fördert. Sollte sich daher das Vorbringen des Vaters, die Mutter stehe dem Kontakt der Kinder zu ihm grundsätzlich ablehnend gegenüber, bestätigen, könnte dies bei der Obsorgeentscheidung nicht als gänzlich irrelevant angesehen werden.
Wie das Rekursgericht im Grundsatz ganz zutreffend ausgeführt hat, sind für die (erstmalige) Obsorgezuweisung nach Trennung der Eltern alle bei beiden Elternteilen bestehenden für das Kindeswohl relevanten Lebensumstände gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen (vgl nur 9 Ob 91/01z ua). Dies wird im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein. Maßgebend für die neuerlich zu fällende Obsorgeentscheidung sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Beschlussfassung, sodass auch eine allenfalls in der Zwischenzeit intensivierte Bindung der Kinder an die Mutter nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfte.
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