OGH 11Os23/05z

OGH11Os23/05z3.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Mai 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtswärters Mag. Kreitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Anthony R***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. April 2004, GZ 063 Hv 3/03a-171, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches Freisprüche hinsichtlich einzelner Anklagevorwürfe enthält, wurde der (nach eigenen Angaben) liberianische Staatsangehörige Anthony R***** schuldig erkannt, er habe „das Verbrechen nach den §§ 28 Abs 2, Abs 3 1. Fall und 4 Z 3 SMG, teilweise als Beteiligter nach dem § 12 3. Fall StGB" und „das Vergehen nach dem § 27 Abs 1 SMG" begangen, und zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte

A) in einer großen Menge gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt bzw zur Ein- und Ausfuhr beigetragen, indem er

1) am 28. August 2002 200 bis 300 Gramm Heroin oder Kokain an einen gewissen „Bahamas" weitergab,

2) gegen Mitte September 2002 sich zum Empfang und zur zumindest teilweisen Verteilung einer Lieferung von nicht mehr näher feststellbaren Mengen Heroin und Kokain im Bereich von mehreren hundert Gramm aus dem Ausland bereit erklärte und die Suchtgiftlieferung am 13. September 2002 oder kurz zuvor auch in Empfang nahm,

3) am 13. September 2002 oder kurz danach nicht näher feststellbare Mengen Kokain und Heroin im Bereich von mehreren hundert Gramm an Unbekannte weitergab und

4) einige Tage vor dem 28. September 2002 sich zum Empfang und zur Verteilung einer Lieferung von insgesamt 12.706,66 Gramm Heroin und Kokain, Reinsubstanz 631,43 Gramm Heroin und 1.517,16 Gramm Kokain, aus dem Ausland bereit erklärte und am 28. September 2002 diese Lieferung telephonisch in eine andere Wohnung umdirigierte, wo sie vom gesondert verfolgten Chuks O***** übernommen wurde, wobei er die Taten in Bezug auf ein Suchtgift beging, dessen Menge das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) überschritt;

B) erworben und besessen, indem er am 28. September 2002 3,8 Gramm

Kokain (brutto) und 1,3 Gramm Heroin (brutto) zum Zweck des Verkaufs bereithielt.

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Gründe der Z 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Als unzureichend (Z 5 vierter Fall), weil nur durch einen nicht konkretisierten Hinweis auf Aussagen des Zeugen A***** und Telephongespräche begründet, kritisiert der Beschwerdeführer die für das Schuldspruchfaktum A 1 relevanten Urteilsannahmen der Lieferung von 200 bis 300 Gramm Heroin oder Kokain und deren Weitergabe an „Bahamas", als undeutlich (Z 5 erster Fall) die Begründung des Schöffengerichtes, dass sich die für die inkriminierte Feststellung herangezogene Aussage A***** anhand der Telephonüberwachung nachvollziehen lasse; indes zu Unrecht. Denn das Erstgericht bezeichnet zum einen durch Anführung der Fundstelle im Akt exakt jene Passagen der Aussage des Zeugen, auf welche es seine diesbezüglichen Feststellungen stützt (US 17), und legt zudem logisch und empirisch einwandfrei dar, weshalb es diesen Angaben den vom Beschwerdeführer bekämpften Sinn beimisst. Zum anderen weist es lediglich zusätzlich darauf hin, dass diese Angaben auch mit dem Inhalt der überwachten Telephongespräche im Einklang stehen. Solcherart richtet sich der letztgenannte Einwand der Beschwerde gegen einen Kontrollbeweis, betrifft damit keine entscheidende, also schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsache und geht insoweit schon deshalb ins Leere.

Die zum selben Faktum konstatierte Menge des in Kekspackungen verborgenen Suchtgiftes entspricht der Mindestmenge, die eine jener Keksrollen enthielt, welche am 28. September 2002 sichergestellt und analysiert wurden. Im Hinblick darauf, dass A***** mit Bezug auf den 28. August 2002 von Kekspackungen sprach und das Gericht von der gar nicht bekämpften Annahme ausging, dass sämtliche Suchtgiftlieferungen aus ein und derselben Quelle stammten, darüber hinaus aber keine Beweisergebnisse vorliegen, die eine präzisere Mengenfeststellung ermöglichen, ist das angenommene Mindestmaß (US 18 f) nicht als formell mangelhaft begründet zu beanstanden. Der Einwand, von einer (erwiesenermaßen) suchtgifthältigen Kekslieferung könne nicht darauf geschlossen werden, dass auch andere Kekspackungen Suchtgift enthielten, übergeht die idente Bezugsquelle als Prämisse der angefochtenen Schlussfolgerung. Der in diesem Zusammenhang behauptete Widerspruch zwischen der Feststellung, die sichergestellten Packungen entstammten derselben Quelle wie die vorangegangenen, und dem Umstand, dass diese Quelle nicht feststellbar sei, liegt nicht vor, weil diese Feststellungen einander nicht ausschließen. Soweit der Beschwerdeführer, eine Unvollständigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO reklamierend, rügt, der Schöffensenat habe nur zum Schein begründet, weshalb er den belastenden Angaben des Zeugen A***** vor der Polizei und nicht jenen in der Hauptverhandlung folgte, lässt er die eingehenden Erwägungen außer Acht, mit welchen das Gericht seine Überzeugung von der Richtigkeit der polizeilichen Aussage des Zeugen begründete (US 15 ff). Damit, dass der Beschwerdeführer behauptete, bei den in den Telephonaten erwähnten Lieferungen handle es sich um Kleidungsstücke, hat sich das Erstgericht auseinandergesetzt, diese Verantwortung jedoch unter Hinweis auf die Angaben des Dolmetschers verworfen (US 28). Der vom Angeklagten problematisierte Umstand, dass das als Aussage des A***** angesehene Polizeiprotokoll mit den belastenden Angaben eine erste Seite aufweise, die als vernommene Person einen anderen Namen enthalte, weshalb zweifelhaft sei, ob dieses Protokoll überhaupt die Aussage A***** enthalte, wurde von den Tatrichtern nachvollziehbar aufgeklärt (US 16), sodass insgesamt der Vorwurf, das Erstgericht habe diese Beweisergebnisse übergangen, nicht berechtigt ist. Worin die relevierte Undeutlichkeit der den Schuldspruch zum Faktum A 3 (Vorfall vom 13. September 2002) tragenden Feststellungen (US 11, 19) gelegen sein soll, vermochte der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen und ist auch nicht erkennbar. Soweit er aber die Begründung als unzureichend kritisiert, weil sich den Telephongesprächen, auf welche sich der Schöffensenat beruft, die Lieferung von Suchtgift nicht entnehmen lasse, übergeht er die lebensnahen Beweiserwägungen der Tatrichter (US 20), die die gerichtsnotorische Bedeutung von Begriffen wie „weiß" oder „braun" im Sprachgebrauch schwarzafrikanischer Suchtgifthändler ebenso berücksichtigten wie die aus den Telephonaten sich ergebenden Kontakte und Geschehensabläufe.

Gleiches gilt für sein Vorbringen zu den Schuldsprüchen A 2 und A 3, mit dem er eine unzureichende Begründung seiner Täterschaft im Wesentlichen darin erblickt, dass das Schöffengericht sich auf die Ergebnisse der Telephonüberwachung stützt, wogegen aus diesen aber nicht abzuleiten sei, dass er Drogen tatsächlich bestellt, erhalten und weiterverkauft habe. Hier kommt hinzu, dass das Schöffengericht die Bedeutung von Schlüsselwörtern wie „Kekse", „Seife" oder „Fotoalbum" nachvollziehbar als Suchtstoffmengenangaben interpretierte (US 20, 24).

Auf verschiedenen Argumentationsebenen liegen die Einsicht, dass aufgrund einer Besonderheit der IGBO-Sprache aus den in den Gesprächen genannten Zahlen mangels Kenntnis des Vorverständnisses der Gesprächsteilnehmer keine konkreten Mengenfeststellungen getroffen werden können (US 11), und die auf ganz andere Verfahrensergebnisse und Überlegungen gestützte Konstatierung der deliktsverfangenen Suchtgiftmengen (US 21), sodass schon nach den Denkgesetzen der in der Beschwerde behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) nicht vorliegen kann.

Der Reinheitsgehalt des Suchtgiftes der nicht sichergestellten Lieferungen und damit - der Beschwerde zuwider - auch jener des zum Faktum A 3 relevanten Stoffes, wurde in US 11 festgestellt. Dabei ging das Erstgericht, was der Beschwerdeführer unbeachtet lässt, davon aus, dass sämtliche Lieferungen aus derselben Quelle stammten wie das sichergestellte Suchtgift (US 19), weshalb ein Rückschluss aus dessen analysiertem Wirkstoffgehalt (ON 65) auf die Qualität der übrigen Suchtstoffe zulässig ist, ohne dass die Kenntnis der konkreten Lieferquelle erforderlich wäre. Formelle Begründungsmängel dieser Beweiswürdigung aufzeigende Argumente brachte der Beschwerdeführer nicht vor.

Soweit er auch zu diesem Schuldspruchfaktum, nahezu wortident mit seinen diesbezüglichen Einwendungen gegen den Schuldspruch zu A 1, den Begründungsmangel der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) geltend macht, ist er auf die Erledigung zum Faktum A 1 zu verweisen. Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zum Faktum A 4 wendet sich zunächst gegen die Feststellung, dass der Angeklagte die durch einen Drogenkurier durchgeführte Suchtgiftlieferung vom 28. September 2002 telephonisch in die Wohnung des Chuks O***** umdirigiert habe, mit der Behauptung, für diese Annahme fehle jegliche Begründung. Denn aus der Tatsache, dass der Kurier die Wohnung O***** um 8.00 Uhr verließ und in der Wohnung um 12.45 Uhr die in der Folge sichergestellten Drogen gefunden wurden, gehe nicht „logisch zwingend", wie der Schöffensenat meine, hervor, dass das Suchtgift tatsächlich auch vom Kurier stamme, geschweige denn, dass der Angeklagte den Auftrag erteilte habe, die Drogen dort abzuliefern. Mit dieser Argumentation sucht der Beschwerdeführer an Hand eines einzelnen, aus dem Zusammenhang gelösten Teilaspektes der tatrichterlichen Beweiswürdigung den relevierten Nichtigkeitsgrund darzustellen, was indes schon deshalb nicht gelingen kann, weil sich die Bedeutung des kritischen Aspektes erst aus der Vernetzung mit den übrigen dazu vorliegenden Verfahrensergebnissen ergibt, welche vom Erstgericht logisch und empirisch einwandfrei dargelegt wurden (US 19 bis 22, 27 f), vom Beschwerdeführer aber gänzlich übergangen werden. Soweit der Beschwerdeführer ferner eine Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) deshalb moniert, weil das Schöffengericht weder berücksichtigt habe, dass in den Telephongesprächen, auf welche die Urteilsannahmen ua gestützt werden, in keiner Weise von Suchtmitteln die Rede gewesen sei, noch die Verantwortung des Angeklagten, wonach unter „Sachen" (nicht Suchtgifte, sondern) Kleiderstoffe zu verstehen seien, übergeht er zum wiederholten Male die schlüssige Beweiswürdigung der Tatrichter, welche sich damit auseinandersetzten, jedoch zu einer anderen Deutung der Gesprächsinhalte gelangten.

Auf eben diese Umstände beruft sich auch die Tatsachenrüge (Z 5a), vermag damit aber keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

An sich zutreffend weist der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) darauf hin, dass sich der Vorsatz des Angeklagten bei einem Schuldspruch nach § 28 SMG auch auf die - bezogen auf die Reinsubstanz der tatverfangenen Suchtgifte - große Menge zu erstrecken habe. Der im Anschluss daran relevierte Feststellungsmangel zur subjektiven Tatseite übergeht indes die eindeutigen Urteilsannahmen (US 13 f) und verfehlt damit den für die gesetzesgemäße Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlichen Vergleich des Urteilssachverhaltes mit dem darauf angewendeten Gesetz.

Auch die Ausführungen zur Strafbemessungsrüge (Z 11), in welchen die Heranziehung des Erschwerungsgrundes der „überaus großen Menge Heroin und Kokain" als Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 StGB geltend gemacht wird, schlagen fehl. Denn nach § 32 Abs 3 StGB ist die Strafe umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, welche der Täter verschuldet hat. Daraus folgt, dass die Berücksichtigung großer oder übergroßer Mengen nach ihrer Ausformung im Einzelfall geboten ist und von vornherein das Problem der Doppelverwertung nicht berührt (vgl Ebner in WK² § 32 Rz 64). Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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