OGH 4Ob61/05g

OGH4Ob61/05g5.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eva K*****, vertreten durch Brauneis, Klauser & Prändl Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Karel K*****, vertreten durch Mag. Alexander Kramer, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, über den Revisionsrekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Dezember 2004, GZ 44 R 634/04t-28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. August 2004, GZ 5 C 143/03z-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit 399,74 EUR (darin enthalten 66,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien schlossen am 15. August 1981 in T*****, Tschechien, die Ehe. Am 16. Mai 2001 begehrte der Mann beim Bezirksgericht F*****, Tschechien, zu GZ 13 C 103/2001 die Scheidung dieser Ehe wegen deren tiefer und dauernder Zerrüttung. Mit Urteil vom 20. September 2004 wurde die Ehe geschieden.

Die Frau begehrt die Scheidung dieser Ehe mit der seit 22. September 2003 gerichtsanhängigen Klage wegen des Verschuldens des Mannes. Das Verfahren in Tschechien stehe dem nicht entgegen, weil Art 11 Abs 2 und 3 EuEheVO nicht anzuwenden sei. Tschechien sei kein Mitgliedstaat der Europäischen Union (gewesen). Die EuEheVO sei auf vor dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 eingeleitete Ehescheidungsverfahren nicht anzuwenden.

Der Mann erhob die Einrede der internationalen Streitanhängigkeit. Beide Verfahren hätten denselben Streitgegenstand, nämlich die Auflösung der zwischen den Parteien geschlossenen Ehe. Damit sei Streitanhängigkeit im Sinne der §§ 232, 233 ZPO gegeben. Im Übrigen sei die EuEheVO anzuwenden, weil die Klagen nach ihrem Inkrafttreten am 1. März 2001 anhängig geworden seien.

Das Erstgericht wies die Einrede ab. Streitanhängigkeit im Sinne der §§ 232, 233 ZPO sei nicht gegeben, weil zwar beide Klagen auf Auflösung der Ehe der Parteien gestützt seien, jene der Frau aber auf Verschulden und jene des Mannes auf Zerrüttung gerichtet sei. Damit liege keine Identität der geltend gemachten Ansprüche vor. Die EuEheVO sei nicht anwendbar, weil sie gegenüber Tschechien erst mit dessen Beitritt zur Europäischen Union in Kraft getreten und auf vor ihrem Inkrafttreten eingeleitete Verfahren nicht anwendbar sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Inkrafttretens von Verordnungen der Europäischen Union im Falle eines Beitritts neuer Mitgliedstaaten fehle. Die Anwendung der EuEheVO auf vor dem Beitritt Tschechiens anhängig gewordene Verfahren verstieße gegen das Rückwirkungsverbot von Gesetzen, welches auch für Verordnungen der Europäischen Union zu gelten habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Mannes ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Nach Art 11 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 1347 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die Gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl L 160 vom 30. Juni 2000 S 19, geändert ABl L 173 vom 3. Juli 2002 S 3) - EuEheVO setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigkeiterklärung einer Ehe, die nicht denselben Anspruch betreffen, zwischen denselben Parteien gestellt werden. Nach Abs 3 erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig, sobald die Zuständigkeit dieses Gerichts feststeht.

Da unbestrittenermaßen beide Klagen auf Scheidung der zwischen den Parteien geschlossenen Ehe gerichtet sind und die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts in Tschechien feststeht, hängt die Frage der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte davon ab, ob Art 11 EuEheVO anzuwenden ist; in diesem Fall wäre die Klage zurückzuweisen.

Die EuEheVO ist am 1. März 2001 in Kraft getreten (Art 46 Abs 2). Sie gilt nur für Verfahren, die nach ihrem Inkrafttreten eingeleitet worden sind (Art 42 Abs 1). Diese Voraussetzung wäre für beide Verfahren zu bejahen (16. Mai 2001 bzw 22. September 2003); zu prüfen ist aber, wann die EuEheVO in Tschechien in Kraft getreten ist.

Tschechien trat auf Grund der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (Beitrittsvertrag 2004) mit 1. Mai 2004 der Europäischen Union bei. Nach Art 2 dieses Vertrags sind ab dem Tag des Beitritts die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte. Art 1 bestimmt, dass „Organe" die durch die ursprünglichen Verträge geschaffenen Organe und die „ursprünglichen Verträge" der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft („EG-Vertrag"), der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft („Euratom-Vertrag") mit den Änderungen oder Ergänzungen, die durch vor diesem Beitritt in Kraft getretene Verträge oder andere Rechtsakte vorgenommen worden sind, sowie der Vertrag über die Europäische Union („EU-Vertrag") mit den Änderungen oder Ergänzungen, die durch vor diesem Beitritt in Kraft getretene Verträge oder andere Rechtsakte vorgenommen worden sind, sind. Da es sich bei der EuEheVO zweifellos um einen „Rechtsakt der Organe der ursprünglichen Verträge" handelt und sie darüber hinaus ausdrücklich in Anhang II (Liste nach Art 20 der Beitrittsakte) Ziffer 2 erwähnt ist, ist sie in Tschechien seit 1. Mai 2004 verbindlich. Sie ist mit diesem Datum in Kraft getreten.

Art 42 EuEheVO ist - ebenso wie Art 54 Abs 1 EuGVÜ und Art 66 Abs 1 EuGVVO (Neumayr in Burgstaller/Neumayr [2001], Internationales Zivilverfahrensrecht Art 42 EuEheVO Rz 1) - ein Rückwirkungsverbot zu entnehmen (vgl 8 ObA 154/98z = SZ 71/207; RIS-Justiz RS0111261; Mayr, Ab wann ist das Luganer Übereinkommen anzuwenden? WBl 1996, 381; Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel [1999] 265; Klauser, EuGVÜ und EVÜ, ecolex-Spezial [1999], 178; Schoibl, Zum zeitlichen Anwendungsbereich und zum Ratifikationsstand des Brüsseler Übereinkommens, ÖJZ 2000, 481 [482] mwN; Neumayr aaO Art 66 EuGVVO Rz 1). Die EuEheVO ist damit nur auf „Neuverfahren" anzuwenden (Schoibl aaO mwN), also auf Verfahren, die eingeleitet worden sind, nachdem die Verordnung in Kraft getreten ist (Neumayr aaO Art 42 EuEheVO Rz 1). Maßgeblich für die Bestimmung des Zeitpunkts der Verfahrenseinleitung ist das Recht des Ursprungsstaats (Czernich/Tiefenthaler aaO 266 mwN; Neumayr aaO Art 42 EuEheVO Rz 1 mwN).

Das Verfahren in Tschechien wurde mit der Einbringung der Klage am 16. Mai 2001 und damit vor dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union eingeleitet. Das schließt - wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben - eine Anwendung der EuEheVO und damit eine Berücksichtigung des tschechischen Verfahrens aus.

Der Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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