OGH 4Ob1/05h

OGH4Ob1/05h5.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jasmin B*****, und der mj. Jennifer B*****, beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvorsorge für den 22. Bezirk, Wien 22, Kapellenweg 35/Stiege 1A, über den Revisionsrekurs der Eltern Martina H***** und Christian K*****, beide ***** beide vertreten durch Dr. Bernhard Eigner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. Oktober 2004, GZ 42 R 343/04h, 344/04f-79, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Donaustadt je vom 13. Mai 2004, GZ 1 P 2002/95m-62 und 63, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Rechtsmittelwerber sind die Eltern der am 26. 4. 1993 und am 9. 12. 1994 geborenen Kinder. Am 22. 9. 2003 wurden die Kinder den Eltern abgenommen und im Krisenzentrum untergebracht. Das Verfahren über die vom Jugendwohlfahrtsträger beantragte Übertragung der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung ist noch beim Erstgericht anhängig.

Der Jugendwohlfahrtsträger beantragte als Vertreter des Landes Wien, die Eltern zum Ersatz der monatlichen Kosten der vollen Erziehung zu verpflichten, und zwar die Mutter zu 118 EUR für Jasmin und 97 EUR für Jennifer jeweils vom 22. 9. 2003 bis 6. 2. 2004 und den Vater zu 120 EUR für Jasmin und 100 EUR für Jennifer jeweils ab 22. 9. 2003. Die Eltern seien in der Lage, den begehrten Kostenersatz zu leisten, die monatlichen Kosten der vollen Erziehung des Landes Wien beliefen sich auf 1.962 EUR je Kind.

Beide Eltern bestritten die Angemessenheit der Unterbringungskosten und sprachen sich gegen einen Kostenersatz auch deshalb aus, weil sich die Kinder gegen den Willen der obsorgeberechtigten Mutter in Pflege und Erziehung des Landes Wien befänden.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zu einem monatlichen Kostenersatz von 50 EUR je Kind für die Zeit zwischen 22. 9. 2003 und 6. 2. 2004. Das Mehrbegehren wies es ab. Der Vater wurde zum Kostenersatz in der begehrten Höhe verpflichtet.

Das Erstgericht stellte fest, die Mutter sei noch für weitere drei Kinder, geboren 1986, 1987 und 1990 sorgepflichtig und habe im Zeitraum zwischen 22. 9. 2003 und 6. 2. 2004 über ein monatliches Durchschnittseinkommen von 650 EUR verfügt. Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Mutter könne auch unter Berücksichtigung ihrer weiteren Sorgepflichten einen Kostenersatz von 50 EUR je Kind leisten.

Zur Leistungsfähigkeit des Vaters stellte das Erstgericht fest, er habe seit 23. 9. 2003 Notstandshilfe in Höhe von täglich 19,16 EUR bezogen, ab 1. 10. 2003 könnte er über einen monatlichen „AMS-Bezug" von 633 EUR verfügen. Überdies sei er seit Herbst 2003 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für den Magistrat der Stadt Wien tätig und habe für den Zeitraum 24. 10. 2003 bis 31. 1. 2004 810 EUR ausgezahlt erhalten. Zusätzlich habe er am 19. 9. 2003 und 6. 11. 2003 Zahlungen des Sozialreferats in Höhe von insgesamt 673,10 EUR erhalten. Weitere Sorgepflichten habe er nicht. Die festgesetzten Kostenersatzbeträge entsprächen der Prozentkomponente (19 bzw 17 % des väterlichen Durchschnittseinkommens) bei Heranziehung des monatlichen Einkommens von 633 EUR samt Familienzuschlag für zwei Kinder. Da dem Vater neben den Zahlungen des Sozialhilfereferats noch Einkünfte als Taglöhner zur Verfügung stünden, überschreite die festgesetzte Kostenersatzpflicht seine Leistungsfähigkeit nicht.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Kostenersatz während der Dauer der vorläufigen Maßnahme (nach § 215 ABGB) fehle. Sinn des § 32 Abs 1 JWG, wonach der Jugendwohlfahrtsträger zunächst für die Kosten von Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrt aufzukommen habe, sei es nicht, die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht zu befreien. Die Eltern hätten vielmehr die Kosten der vollen Erziehung, die nach § 28 Abs 1 JWG Pflege und Erziehung umfasse, im Rahmen ihrer Unterhaltsleistung zu ersetzen. Soweit der Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr in Verzug eine vorläufige Maßnahme nach § 215 ABGB im Bereich der Pflege und Erziehung treffe, entspreche diese bereits einer Maßnahme der vollen Erziehung und bedeute nicht, dass er die Kosten hiefür ohne jeden Ersatz zu tragen hätte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Eltern ist zulässig, aber nicht berechtigt:

Nach § 215 ABGB idF KindRÄG 2001 kann der Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr im Verzug die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig, mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung, die er unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen zu beantragen hat, selbst treffen. Im Umfang dieser Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig und wirksam mit der Obsorge betraut. Die Maßnahme bleibt bis zur Endentscheidung des Gerichts über die Zuteilung der Obsorge wirksam, ohne dass es einer weiteren vorläufigen Maßnahme des Gerichts bedürfte (2 Ob 9/98g = EFSlg 87.117; RIS-Justiz RS0007018).

Die im vorliegenden Fall getroffene vorläufige Maßnahme (Abnahme der Kinder und Unterbringung in einem Krisenzentrum) besteht in der Pflege und Erziehung der Minderjährigen in einem Heim und fällt daher unter den Begriff der vollen Erziehung nach § 28 Abs 1 JWG und nach § 34 WrJWG. Für derartige Maßnahmen hat - unbeschadet eines späteren Ersatzes - nach § 32 JWG der Jugendwohlfahrtsträger (nach dem im vorliegenden Fall anzuwendenden § 38 WrJWG ist dies das Land Wien) aufzukommen. § 33 JWG verpflichtet den Minderjährigen und seine Unterhaltspflichtigen, die Kosten der vollen Erziehung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu tragen und gegebenenfalls rückwirkend auf drei Jahre zu ersetzen, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande ist.

Die Materialien zu dieser Bestimmung (RV 171 BlgNR 17. GP, 28) verweisen darauf, dass der Kostenersatz „nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts (§§ 140 ff, 1042 ABGB)" zu erfolgen hat. Eine mit § 33 JWG inhaltsgleiche Bestimmung findet sich im hier anzuwendenden § 39 WrJWG, wonach die Kosten der vollen Erziehung durch den Minderjährigen und seine Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht zu tragen und gegebenenfalls rückwirkend für drei Jahre zu ersetzen sind, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind.

Aus Anlass der Kostentragungsregelung treffen weder § 33 JWG noch § 39 WrJWG eine Unterscheidung danach, ob die volle Erziehung als einstweilige Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 215 ABGB oder über Anordnung des Gerichts im Zusammenhang mit der endgültigen Obsorgeregelung getroffen wurde. Dass der Gesetzgeber die Kostenersatzpflicht für die vorläufige Maßnahme hätte anders regeln wollen als die für eine vom Gericht angeordnete Maßnahme, ist nicht zu erkennen und auch wenig plausibel, weil in beiden Fällen unmittelbar vergleichbare Kosten entstehen. Der ausdrückliche Hinweis der Materialien zu § 33 JWG auf § 1042 ABGB lässt vielmehr den Schluss zu, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Ersatz der Kosten der vollen Erziehung als Ersatz jener Aufwendungen verstanden wissen wollte, die sich der nach dem Gesetz Unterhaltspflichtige durch die volle Erziehung erspart. Diese Überlegung trifft aber nicht nur auf die vom Gericht angeordnete volle Erziehung zu, sondern auch auf eine derartige Maßnahme, wenn sie der Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr in Verzug einstweilig verhängt. Auch im Fall einer vorläufigen Maßnahme werden Mittel für die Pflege und Erziehung des Kindes aufgewendet und kommen diesem zu. Auch sie sind - den Kosten der endgültigen Unterbringung gleich - ein Aufwand im Sinn des § 1042 ABGB, den die unterhaltspflichtigen Eltern nach dem Gesetz hätten erbringen müssen.

Wollte man - den Rechtsmittelwerbern folgend - die Kostenersatzpflicht von einer vorherigen gerichtlichen Anordnung abhängig machen, würde dies bedeuten, dass der Jugendwohlfahrtsträger die im Zusammenhang mit vorläufigen Maßnahmen aufgelaufenen Kosten jedenfalls und ohne Möglichkeit eines Ersatzes zu tragen hätte, weil das Gericht die vorläufige Maßnahme nie ausdrücklich genehmigt, sondern selbstständig und endgültig eine Entscheidung über die Obsorge trifft (2 Ob 9/98g = EFSlg 87.117). Dem gegenüber wären die Unterhaltspflichtigen für den Zeitraum der vorläufigen Maßnahme immer von ihrer Unterhaltspflicht befreit. Diese - auch den Materialien zu § 33 JWG zuwiderlaufende - Auslegung kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.

Die Revisionsrekurswerber vertreten die Auffassung, aus dem letzten Satz des § 34 Abs 1 WrJWG („betraut wurde") ergebe sich, dass die Kostenersatzpflicht eine gerichtliche Anordnung durch Beschluss voraussetze. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 34 WrJWG den Kostenersatz weder anspricht noch regelt und die Formulierung „mit der Pflege und Erziehung betraut wurde" durchaus auch als Hinweis auf die vorläufige Maßnahme des § 215 ABGB verstanden werden kann. Der Gesetzgeber verwendet nämlich auch dort die Formulierung „im Umfang der getroffenen Maßnahme ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der Obsorge betraut".

Der Kostenersatzanspruch nach § 33 JWG (und § 39 WrJWG) umfasst daher auch jene Kosten der vollen Erziehung, die im Rahmen einer vom Jugendwohlfahrtsträger angeordneten vorläufigen Maßnahme nach § 215 ABGB entstanden sind.

Gegen die Höhe des den Eltern auferlegten Kostenersatzes wendet sich der Revisionsrekurs nicht mehr.

Dem unberechtigten Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Stichworte