OGH 1Ob293/04a

OGH1Ob293/04a15.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Johann W*****, 2) Maria S*****, 3) Christine F*****, 4) Maria M*****, 5) Mag. Karl-Franz F*****, 6) Herbert S*****, 7) Dr. Herwig F*****, 8) Gundlinde F*****, beide *****, alle vertreten durch Dr. Erich Portschy, Rechtsanwalt in Feldbach, wieder die beklagten Parteien 1) Erich U*****, Pensionist und 2) Erika U*****, Haushalt beide *****, vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 7.267,28) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 4. Februar 2004, GZ 5 R 210/03v-69, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 19. Juni 2003, GZ 6 C 259/02k-59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1) Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 12. 10. 2004, AZ 1 Ob 213/04m, wird aufgehoben.

2) Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Berufungsverfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Zu 1): Mit Beschluss vom 12. 10. 2004, AZ 1 Ob 213/04m, wurde die Revision der Beklagten zurückgewiesen, weil das Berufungsurteil bereits am 8. 4. 2004 zugestellt worden war, die Revision jedoch erst am 7. 5. 2004, also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, beim Erstgericht überreicht worden sei.

Nunmehr haben die Beklagten durch Vorlage eines Postaufgabescheins sowie einer schriftlichen Auskunft des Postamts Feldbach nachgewiesen, dass die Revision bereits am 6. 5. zur Post gegeben und am 7. 5. dem Bezirksgericht Feldbach zugestellt wurde. Im Zusammenhalt mit den Angaben der den Eingangsvermerk verfassenden Gerichtsbediensteten, sie könne nicht ausschließen, dass der Vermerk „überreicht" allenfalls irrtümlich erfolgt sei, hat sich durch diese Urkunden die Annahme der Verspätung nachträglich als unrichtig herausgestellt.

Dieser Fehler ist - auch vom Obersten Gerichtshof - in analoger Anwendung der §§ 419 Abs 1, 522 Abs 1 ZPO zu korrigieren (SZ 60/192; RIS-Justiz RS0062267).

Der Beschluss vom 12. 10. 2004 ist daher zu beheben. Zu 2): Die Kläger brachten vor, ein von einer öffentlichen Straße abzweigender Privatweg habe seit Menschengedenken zur Aufschließung ihrer Grundstücke gedient. Sie seien immer davon ausgegangen, dass der Privatweg zur Gänze auf dem Grundstück 460/1 verlaufe, welches im Eigentum der Erstklägerin stehe. Im Zuge einer Neuvermessung der öffentlichen Straße im Jahr 1995 sei aber -auf bloße Angaben der Beklagten hin - ein Grenzverlauf neu markiert worden, welcher sich inmitten desWegs befinde und die Wegbreite nunmehr einschränke. Im Jahr 1997 hätten die Beklagten entlang der neuen Markierungspunkte eine weiße Bodenmarkierungslinie aufgetragen. Da diese Linie von den Klägern „überfahren" worden sei, hätten die Beklagten im Jahr 2000 entlang der Linie eine Absperrung errichtet, wodurch das Befahren des Weges in seiner ursprünglichen Breite letztendlich unmöglich geworden sei. Sie begehrten, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, den Privatweg in seiner bisherigen - detailliert angeführten - Breite einzuschränken; dies insbesondere durch Unterlassung der Aufstellung von Absperrvorrichtungen entlang der von ihnen angebrachten weißen Markierung.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Die weiße Linie stelle die Grundgrenze dar. Der Weg habe sich stets nur östlich der weißen Bodenmarkierung befunden und sei nie westlich dieser Markierungslinie, also auf ihrem Grundstück, verlaufen. Eine Einschränkung des Weges bzw Störungshandlungen hätten daher nicht stattgefunden. Selbst wenn der Weg jemals auf ihrem Grundstück verlaufen sein sollte, hätte auf Grund der am Weg aufgestellten Tafel „Derweilen freiwillig gestatteter Fahr- und Fußweg" mangels Gutgläubigkeit niemand ein Wegerecht zu Lasten ihres Grundstücks ersitzen können. Die Kläger seien nicht berechtigt, ihr Grundstück - zu welchem Zweck auch immer - zu benützen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und legte seiner Entscheidung zusammengefasst folgende Feststellungen zu Grunde:

Der Weg wurde von den Klägern und deren Rechtsvorgängern zumindest seit Mitte der Fünfziger-Jahre als Zufahrt zu deren Liegenschaften genützt. Er war ursprünglich rund 2,5 m breit, im Laufe der Zeit wurde er in Richtung Osten unter Inanspruchnahme der Grundstücke 460/1 (der Erstklägerin gehörig) und 460/2 (dessen Eigentümer je zur Hälfte der 7. Kläger und die 8. Klägerin sind) verbreitert. Zu Beginn des Weges war auf dem Grundstück 460/1 eine Tafel mit der Aufschrift „Dermalen freiwillig gestatteter Fahr- und Fußweg" angebracht. Am 23. 10. 1995 wurde durch „das Amt der steiermärkischen Landesregierung" die öffentliche Straße neu vermessen, wobei die Beklagten den Vermesser ersuchten, entlang der gemeinsamen Grundgrenze zwischen den Grundstücken 459/4 (dessen Eigentümer sie damals noch je zur Hälfte waren) und dem im Eigentum der Erstklägerin stehenden Grundstück 460/1 eine Grenzvermessung durchzuführen. Die Erstklägerin wurde hievon nicht in Kenntnis gesetzt. Der Vermesser setzte (allein) auf Grund der Angaben der Beklagten Markierungspunkte, welche direkt auf dem Weg lagen, sodass die Grundstücksgrenze „mitten durch den Weg" verlaufen würde. Im September 1997 zogen die Beklagten entlang dieser Markierungspunkte eine weiße Linie, um damit den von ihnen behaupteten Grenzverlauf zu dokumentieren. Würde man die weiße Markierung in Richtung Westen zum Grundstück der Beklagten hin nicht überfahren, wäre dies mit einer Einschränkung des bisher benutzten Weges verbunden. Die Kläger nützten den Weg jedoch weiterhin in der gewohnten Breite. Im Jahr 1998 stellten die Beklagten entlang der Markierung Schragen auf, wodurch das „Überfahren" der Straßenmarkierung und die Nutzung des Weges in der bisherigen Breite unmöglich wurden. Anstelle der Schragen wurden entlang der Markierungslinie auch etwa 1 m hohe Stützen, verbunden mit Ketten, aufgestellt. Diese Absperrungen wurden während des Buschenschankbetriebes der Beklagten wieder entfernt, im Herbst 2000 jedoch neuerlich angebracht. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung war der Erstbeklagte noch Hälfteeigentümer des Grundstücks 459/4. In der rechtlichen Beurteilung hielt das Erstgericht fest, dass die Tafel „Dermalen freiwillig gestatteter Fuß- und Fahrweg" nicht für Anrainer und deren Rechtsnachfolger gegolten habe. Die Wegeanrainer hätten das Recht auf Benutzung des Weges in der ursprünglichen Form, wie von ihnen regelmäßig mehr als 30 Jahre lang unwidersprochen ausgeübt, ersessen, und zwar unabhängig davon, auf welchen Grundstücken der Weg verlaufe. Die Beklagten würden durch das Aufstellen von Absperrungen entlang der Bodenmarkierungen in das Servitut sprecht der Kläger eingreifen und die Benützung des Weges massiv behindern.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und ließ letztlich die Revision zu. Ob die Kläger zur Benützung des Weges auf Grund vertraglicher oder ermessener Servitut legitimiert seien, sei bedeutungslos, weil der Weg unstrittig immer auf dem Grundstück der Erstklägerin verlaufen sei. Eine Servitutsersitzung „gegenüber dem Grundstück 459/4" sei somit nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Aktivlegitimation sämtlicher Kläger sei ebenso zu bejahen wie die Passivlegitimation des Erstbeklagten, hinsichtlich dessen das - von der Eigentümereigenschaft unabhängige - Setzen von Störungshandlungen behauptet worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt. Die Kläger begehren die Unterlassung der „Einschränkung" eines näher bezeichneten „Privatwegs", zu dessen Nutzung sie ganz allgemein berechtigt seien, ohne dieses Nutzungsrecht ausdrücklich aus ihrer Eigentümereigenschaft oder einem Servitutsrecht abzuleiten. Die Beklagten bestritten unter Hinweis auf den ihrer Meinung nach immer schon gegebenen Grenzverlauf, jemals ein etwaiges Recht der Kläger eingeschränkt zu haben, insbesondere auch die von den Klägern eventualiter behauptete Servitutsersitzung. Das Erstgericht traf zum Grenzverlauf keine Feststellung und ging davon aus, dass die Kläger ein Wegerecht an der gesamten, von ihnen behaupteten Wegbreite ersessen hätten, ungeachtet dessen auf welchen Grundstücken der Weg verlaufe. Obwohl das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen die Feststellungen des Erstgerichts „übernahm", hielt es im Rahmen der rechtlichen Beurteilung fest, „auf Grund des festgestellten Sachverhalts und dem Prozessstandpunkt beider Parteien" sei der Weg immer auf dem Grundstück der Erstklägerin verlaufen. Seinen Rechtsausführungen legte das Berufungsgericht dann diese Tatsache zu Grunde. Damit liegt die von der Revision gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor. Diese Tatsachenannahme ist nämlich nicht auf eine Ergänzung des Beweisverfahrens zurückzuführen, sondern ausschließlich auf eine unrichtige Wiedergabe erstinstanzlicher Feststellungen, wird doch eine Feststellung zu Grunde gelegt, die das Erstgericht gar nicht getroffen hat (SZ 59/87; Fasching, Lehrbuch2, Rz 1914; RIS-Justiz RS0043026). Auf Grundlage dieses urteilsfremden Sachverhalts ging das Berufungsgericht davon aus, dass die Ersitzung einer Servitut in Ansehung des der Zweitbeklagten gehörigen Grundstücks 459/4 „nicht Gegenstand dieses Verfahrens" sei und ließ „alle Ausführungen, die darauf abzielten", die Ersitzung eines Wegerechts zu Lasten dieses Grundstücks „zu verneinen", dahingestellt. Insbesonders erachtete es das Vorbringen der Beklagten, dass eine allfällige Ersitzung des Wegerechts westlich der weißen Markierungslinie zu Lasten des Grundstücks 459/4 schon zufolge der Tafel „Dermalen freiwillig gestatteter Fuß- und Fahrweg" nicht stattgefunden haben könne, als rechtlich unbeachtlich und ging auf die dazu erstattete Rüge nicht ein. Mit dieser bekämpften die Beklagten die (wenngleich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) vom Erstgericht getroffene Feststellung, dass die Tafel nicht für Anrainer und deren Rechtsnachfolger gegolten habe galt (S 10 ff der Berufungsschrift = AS 467 ff) und begehrten die gegenteilige Feststellung.

Damit hat das Berufungsgericht - ausgehend von einer ohne Ergänzung des Beweisverfahrens getroffenen Feststellung - das Rechtsmittel der Beklagten nicht vollständig behandelt (Kodek in Rechberger, ZPO2, Rz 3 zu § 503). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen und diesem aufzutragen, neuerlich über das Rechtsmittel zu entscheiden. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Frage, auf wessen Grund der strittige Weg verläuft, durchaus von entscheidender Bedeutung ist, insbesondere im Fall der möglichen Ersitzung eines allfälligen Servitutsrechts. Gewiss wird das Berufungsgericht schließlich auch zu den weiteren, von den Revisionswerbern aufgeworfenen Fragen (Schlüssigkeit des Klagebegehrens, Freiheitsersitzung) Stellung nehmen müssen, so wie es schon - richtigerweise - die Passivlegitimation des Erstbeklagten bejahte. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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