Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 954,30 EUR (darin enthalten 159,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.747,88 EUR (darin enthalten 1.061 EUR Barauslagen, 114,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin stand zwischen 1. 6. 1973 und 31. 12. 2001 in einem Dienstverhältnis zur beklagten Partei. Sie war als Juristin in der Rechtsabteilung der Gewerkschaft öffentlicher Dienst tätig. Das Dienstverhältnis endete infolge Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer.
Anfang der 90er-Jahre kam es zu einer starken Abwanderung der Juristen der Rechtsabteilung der Gewerkschaft öffentlicher Dienst. Die Führungsebene machte sich Gedanken, wie man die restlichen Juristen halten könne. Es wurde eine Lösung gefunden, wonach den verbleibenden Juristen zweimal jährlich eine Zahlung gewährt wurde, die außerhalb der Bezugsordnung lag. In den ersten Jahren wurde die Zahlung bar geleistet und buchhalterisch nicht dokumentiert. Seit ca 1996 wurde die "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" ausbezahlt und fand im Gehaltszettel ihren offiziellen Niederschlag.
Über Antrag der Gewerkschaft öffentlicher Dienst vom 17. 7. 1998 wurde von der beklagten Partei diese "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" erhöht. Die Klägerin bezog ab Juli 1998 5.480 S. Die beklagte Partei hielt in zwei Schreiben gegenüber der Gewerkschaft öffentlicher Dienst fest, dass aus der "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" keine wie immer gearteten Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung für die Arbeitnehmer der beklagten Partei, wie Treuegeld, Abfertigung, Pensionszuspruch udgl abgeleitet werden könnten. Die Gewerkschaft öffentlicher Dienst sah in der Zulage eine "Leistungszulage" und bezeichnete diese Zulage auch so.
Die "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" scheint in der Bezugsordnung der beklagten Partei nicht auf. Die "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" wurde in die Abfertigung nicht miteinbezogen. Für die Zulage wurden auch keine Sonderzahlungen gewährt.
Die Klägerin begehrt den der Höhe nach unstrittigen Betrag von 11.150,92 EUR brutto. Die "Zulage Gewerkschaft" sei bei der ihr gebührenden Abfertigung von 24 Monatsgehältern zu berücksichtigen (9.557,93 EUR). Überdies sei die Zulage auch in die Bemessungsgrundlage für die Sonderzahlungen einzubeziehen. Das ergebe für die Jahre 2000 und 2001 1.592,99 EUR brutto. § 16 der Arbeitsordnung der beklagten Partei sehe vor, dass nach vollendeten 25 Dienstjahren 24 Monatsgehälter Abfertigung zu leisten seien. Unter Monatsgehalt werde das Bruttomonatsgehalt verstanden. Gemäß § 27 der Arbeitsordnung sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Bezüge der Arbeitnehmer in der Bezugsordnung zu regeln. Die Verpflichtung der beklagten Partei, die Zulage auch bei den Sonderzahlungen zu berücksichtigen, ergebe sich aus § 6 Abs 3 der Bezugsordnung. Die beklagte Partei könne die Anwendung der Bezugsordnung nicht dadurch umgehen, dass sie eine Zahlung leiste, die darin nicht vorkomme. Die Absicht einer umfassenden Regelung sämtlicher Bezüge sei auch historisch daraus ablesbar, dass bei Einführung neuer Entgelte diese jeweils in die taxative Aufzählung der Bezugsordnung aufgenommen worden seien. Aus § 16 der Arbeitsordnung sei abzuleiten, dass sämtliche Bezüge mit Ausnahme der Sonderzahlungen zur Bemessung der Abfertigung heranzuziehen seien. Die Bezugsordnung sei als Schablonenvertrag zu sehen, der Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages sei. Dieses Vorbringen (S 4 in ON 3) änderte die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren dahin ab, dass die für die Klägerin ab 1. März 1979 geltende Bezugsordnung (E 1) keinen Schablonenvertrag, sondern eine zwingende Betriebsvereinbarung darstelle (S 7 in ON 7).
Die beklagte Partei wendet ein, dass ausscheidende Dienstnehmer ohnedies durch die Abfertigungsregelung in der Arbeits- und Bezugsordnung günstiger gestellt seien als nach der gesetzlichen Regelung des § 23 AngG. Die Bezugsordnung als Vertragsschablone könne einzelvertraglich insbesondere zugunsten der Angestellten geändert werden. In § 16 der Arbeitsordnung sei mit "gläserner Klarheit" formuliert, wie ein Monatsentgelt als Bemessungsgrundlage für die Abfertigung zu berechnen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf keinerlei Feststellungen zum Inhalt der von der Klägerin vorgelegten "Arbeits- und Bezugsordnungen" und nahm nur bei der rechtlichen Beurteilung auf § 16 der Arbeitsordnung Bezug. Die Klägerin habe "de-facto" immer gewusst, dass die Zahlung der Zulage außerhalb der Bezugsordnung erfolgt sei. Diese Zahlungen seien von der Klägerin angenommen worden. Dadurch seien beide Vertragsparteien schlüssig von der als Vertragsschablone zu wertenden Bezugsordnung abgegangen. Die Klägerin sei durch die Abfertigungsregelung in der Arbeitsordnung gegenüber der gesetzlichen Regelung immer noch begünstigt. Es sei daher auch zulässig, dass die hier strittige Gewerkschaftszulage nicht in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einfließe. Sonderzahlungen könne die Klägerin zur Zulage jedenfalls nicht begehren, weil sie durch mehr als zehn Jahre akzeptiert habe, dass sie für diese Zulage keine Sonderzahlungen erhalte.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab, wobei es aussprach, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht ging von dem Inhalt des § 28 (Schlussbestimmung der Arbeitsordnung) aus, wobei es allerdings nicht die aktuelle Fassung (§ 27 - Geltung ab 1. 2. 1979 - siehe E 1) feststellte, sondern den historischen Wortlaut.
Rechtlich folgte das Berufungsgericht dem Standpunkt der Klägerin. Die Zulage „Gewerkschaft 12 x jährlich" sei Gehaltsbestandteil. Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ArbVG in Geltung gestanden Arbeitsordnungen und Betriebsvereinbarungen würden in ihrer Wirksamkeit nicht berührt.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der beklagten Partei erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil eine inhaltliche Auseinandersetzung des Berufungsgerichtes mit der entscheidungserheblichen Frage der Auslegung der Arbeits- und Bezugsordnung der beklagten Partei gänzlich fehlt. Die Revision ist auch berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass die Parteien übereinstimmend davon ausgehen, dass auf das Dienstverhältnis zur Klägerin die Arbeits- und Bezugsordnung in der ab 1. 2. 1979 geltenden Fassung (E 1) Anwendung zu finden hat. Der Prüfung der vom Berufungsgericht bejahten Frage, ob die "alten" Betriebsvereinbarungen für die Klägerin weiter gelten (vgl dazu RIS-Justiz RS0101804; insbesondere 8 ObA 52/03k) bedarf es daher nicht. Da der Wortlaut der ab 1. 2. 1979 geltenden Arbeits- und Bezugsordnung zwischen den Parteien nicht strittig ist, schadet es auch nicht, dass die Vorinstanzen deren Inhalt nicht ausdrücklich feststellten.
Im erstinstanzlichen Verfahren ging nicht nur die beklagte Partei, sondern zunächst auch die Klägerin zutreffend davon aus, dass die unter dem Titel "Betriebsvereinbarung" überschriebene Arbeits- und Bezugsordnung einen Schablonenvertrag darstellt, der als Bestandteil der Einzelarbeitsverträge anzusehen ist (siehe konkret zur Arbeitsordnung der beklagten Partei 9 ObA 154/01i).
Die Arbeits- und Bezugsordnung der beklagten Partei in der auf die Klägerin anzuwendenden Fassung ab 1. 2. 1979 ist daher nach den für Verträge geltenden Regeln der §§ 914 f ABGB auszulegen ( 9 ObA 154/01i mwN).
§ 16 der Arbeitsordnung bestimmt unter dem Titel "Abfertigung" in seinem Abs 1 wörtlich:
"Abfertigung gebührt gemäß § 23 des Angestelltengesetzes, jedoch in folgendem Ausmaß:
nach dem vollendeten dritten Dienstjahr drei Monatsgehälter,
nach dem vollendeten fünften Dienstjahr vier Monatsgehälter,
nach dem vollendeten achten Dienstjahr sechs Monatsgehälter,
nach dem vollendeten zehnten Dienstjahr acht Monatsgehälter,
nach dem vollendeten 15. Dienstjahr 12 Monatsgehälter,
nach dem vollendeten 20. Dienstjahr 18 Monatsgehälter,
nach dem vollendeten 25. Dienstjahr 24 Monatsgehälter.
Unter Monatsgehältern ist das der vorstehenden Staffelung entsprechende Vielfache des letzten Bruttomonatsgehaltes laut § 1 Abs 2 lit a, b, c und d bzw § 5 Abs 1 der Bezugsordnung zu verstehen.
§ 1 der Bezugsordnung lautet wie folgt:
"1. Aufgrund der Bestimmungen des § 27 der Arbeitsordnung haben die Arbeitnehmer Anspruch auf die in nachfolgender Bezugsordnung festgelegten Bezüge und Entschädigungen.
2. Bezüge sind:
a) Gehalt,
b) Überstundenpauschale
c) Leitungszulage,
d) Leistungszulage,
e) Kinderzulage,
f) Sonderzahlungen...."
§ 5 der Bezugsordnung regelt das Überstundenpauschale.
§ 6 bestimmt unter der Überschrift Sonderzahlungen wie folgt:
"1. Alle Arbeitnehmer erhalten jährlich vier Sonderzahlungen in Höhe eines halben Monatsentgeltes.
2. Diese Sonderzahlungen werden alljährlich am 1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember in Höhe des jeweiligen halben Monatsentgeltes für die genannten Monate geleistet.
3. In diese Sonderzahlung ist auch die Hälfte allfälliger monatlicher Zulagen (Überstundenpauschale, Leitungszulage, Leistungszulage, Kinderzulage) einzubeziehen.
4. Den während des Kalenderjahres ein- oder austretenden Arbeitnehmern gebührt der aliquote Teil der Sonderzahlungen.
5..."
In § 27 der Arbeitsordnung ist festgelegt, dass die Bezüge der Arbeitnehmer der beklagten Partei durch eine Bezugsordnung geregelt werden. Diese bildet einen integrierenden Bestandteil der Betriebsvereinbarung.
Dass es sich bei der "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" um einen Gehaltsbestandteil handelt, ist unstrittig und wird auch von der beklagten Partei nicht bezweifelt. Fraglich ist nur, ob die Nichtregelung der Gewerkschaftszulage in der Bezugsordnung zur Auslegung zu führen hat, dass dieser Gehaltsbestandteil nicht in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einfließt. Die Klägerin führt für die von ihr gewünschte Auslegung § 27 der Arbeitsordnung ins Treffen und leitet daraus ab, dass die beklagte Partei sich durch die Nichtaufnahme von Bezügen in der Bezugsordnung nicht ihrer Verpflichtung entledigen könne, für die außerhalb der Bezugsordnung gezahlten Entgelte Sonderzahlungen zu leisten bzw diese Entgelte in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Dabei übersieht die Klägerin allerdings, dass es der beklagten Partei freigestanden wäre, die "Zulage Gewerkschaft 12 x jährlich" zwar in die Bezugsordnung aufzunehmen, die Gewährung aber ausdrücklich davon abhängig zu machen, dass die Zulage nicht in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einzufließen hat und Sonderzahlungen dafür nicht gewährt werden. Das Argument, die beklagte Partei habe sich durch die Nichtaufnahme der Zulage in die Bezugsordnung einer sonst bestehenden Leistungsverpflichtung entzogen, trifft daher nicht zu. Es ist der beklagten Partei darin beizupflichten, dass die klare Formulierung in § 16 der Arbeitsordnung, welche Entgeltbestandteile in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einzubeziehen sind, in Verbindung damit, dass die gewährte Zulage in der Bezugsordnung nicht genannt ist, zur Auslegung zu führen hat, dass die Zulage nicht in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einzufließen hat. In der Frage der Sonderzahlungen ist überdies darauf zu verweisen, dass bereits der Titel der gewährten Zulage "12 x jährlich" nahelegt, dass für diese Zulage keine Sonderzahlungen gewährt werden. In diesem Zusammenhang ist überdies auf den bereits vom Erstgericht hervorgehobenen Umstand zu verweisen, dass die Klägerin die Tatsache, dass für die Zulage Sonderzahlungen nicht gewährt wurden, jahrelang nicht beanstandete (vgl zur lang dauernden Handhabung als Kriterium bei der ergänzenden Vertragsauslegung Rummel in Rummel³ ABGB I § 914 Rz 12).
Aus den dargelegten Gründen war daher der Revision Folge zu geben und das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)