Spruch:
In der Strafsache AZ 11 U 26/02t des Bezirksgerichtes Korneuburg verletzen
1) das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 17. Februar 2003, AZ 90a Bl 93/02 (ON 15), § 468 Abs 1 Z 3 StPO iVm §§ 152 Abs 3, 252 Abs 4 StPO;
2) das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 9. Februar 2004, AZ 90 l Bl 2/04 (ON 26), in einem Teil seiner Begründung, §§ 152 Abs 3, 252 Abs 4 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 4. September 2002, GZ 11 U 26/02t-8, wurde Peter R***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 12. Jänner 2002 in Langenzersdorf seine Lebensgefährtin Brigitte K***** dadurch, dass er sie an den Armen erfasste und schlug, was eine Nasenprellung, Prellungen und Blutergüsse an beiden Handgelenken und am linken Ellbogen sowie eine Prellung beider Sprunggelenke zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt.
In der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2002 (ON 5) hatte sich Brigitte K***** gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO berechtigt der Aussage entschlagen, woraufhin der Bezirksanwalt die Ausforschung und Vernehmung jenes Arztes beantragte, der die Genannte nach dem Vorfall vom 12. Jänner 2002 im Krankenhaus Korneuburg untersucht und behandelt hatte. Anlässlich seiner Vernehmung als Zeuge am 4. September 2002 gab Oberarzt Dr. Erich A***** an, Brigitte K***** habe ihm anlässlich ihrer Untersuchung erzählt, dass sie von ihrem Lebensgefährten geschlagen worden sei (S 47).
Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Rechtsmittelgericht vom 17. Februar 2003, AZ 90a Bl 93/02 (ON 15), wurde der Berufung des Angeklagten gegen das oben bezeichnete Urteil Folge gegeben, diese Entscheidung aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht erblickte eine Nichtigkeit iSd § 468 Abs 1 Z 3 StPO darin, dass weder aus dem Urteil noch aus dem Akt ersichtlich sei, auf welches Betreiben hin die Zeugin Brigitte K***** das Krankenhaus Korneuburg aufgesucht hat. Sei dies über Aufforderung der Gendarmerie geschehen, so wäre die erfolgte Vernehmung des Oberarztes Dr. A***** über die Angaben der Brigitte K***** im Zuge ihrer Behandlung als Umgehung des § 152 StPO anzusehen (S 107); dies deshalb, weil in diesem Fall der behandelnde Arzt - gleich wie ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger - über Auftrag der Sicherheitsbehörde und letztlich somit des Gerichtes gehandelt habe. Das Erstgericht habe daher im neu durchzuführenden Verfahren vorerst zu prüfen, ob der Zeuge Dr. A***** unter Beachtung des Umgehungsverbotes des § 152 Abs 3 StPO vernommen werden dürfe (S 108).
Im zweiten Rechtsgang erklärte der Gendarmeriebeamte Omar H***** in der Hauptverhandlung vom 25. September 2004 als Zeuge, Brigitte K***** geraten zu haben, ins Krankenhaus zu gehen (S 133). Brigitte K***** entschlug sich erneut der Aussage (S 134). Eine weitere Antragstellung durch den öffentlichen Ankläger erfolgte nicht. Nach einverständlicher Verlesung des wesentlichen Akteninhaltes - mit Ausnahme der Aussagen der Zeugen Dr. A***** (soweit ihm Brigitte K***** den Tathergang schilderte) und Brigitte K***** - wurde Peter R***** von der wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. In der schriftlichen Urteilsausfertigung (ON 19) führte der an die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes gebundene Erstrichter aus, dass die Aussage des Dr. A***** über die Erzählungen der Zeugin K***** nicht verwertbar sei, da nunmehr feststehe, dass sie das Krankenhaus Korneuburg auf Veranlassung der Gendarmeriebeamten aufgesucht habe. Der gegen dieses Urteil von der Staatsanwaltschaft Korneuburg erhobenen Berufung (ON 21) wegen Nichtigkeit (§ 468 Abs 1 Z 3 iVm § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO) und wegen des Ausspruches über die Schuld wurde mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 9. Februar 2004, AZ 90 l Bl 2/04 (ON 26), im Hinblick auf das Fehlen einer Antragstellung auf Vernehmung des Zeugen Dr. A***** und die nicht erfolgte Verlesung seiner Aussage zur Entstehung der Verletzungen (zu Recht) nicht Folge gegeben.
In seiner Begründung wies das Rechtsmittelgericht neuerlich darauf hin, dass eine Verwertung der Aussage des Dr. A***** über die Erzählungen des Tatopfers zum Tathergang wegen der vom Erstgericht festgestellten "behördlichen Veranlassung" ihrer Untersuchung (schon grundsätzlich) nicht in Betracht kam (US 5).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Urteile des Landesgerichtes Korneuburg vom 17. Februar 2003 (ON 15) und vom 9. Februar 2004 (ON 26) mit dem Gesetz nicht im Einklang. Da weder die vom Berufungsgericht im Urteil vom 17. Februar 2003 (ON 15) in Betracht gezogene Möglichkeit einer Verletzung des § 152 Abs 3 StPO vorlag, noch ein Verstoß gegen § 252 Abs 4 StPO gegeben war, erweist sich die auf § 468 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Urteilsaufhebung als verfehlt.
Das im § 152 Abs 3 StPO verankerte Umgehungsverbot bezieht sich nur auf die Zeugnisbefreiung von Personen, die den in § 152 Abs 1 Z 4 und 5 sowie Abs 2 StPO bezeichneten Berufsgruppen zuzuzählen sind, nicht aber auf das Entschlagungsrecht von Angehörigen (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO; vgl RZ 1977/2).
Das (hier allein in Betracht kommende) Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO erfasst hingegen jene Fälle, in denen - wie etwa im vorliegenden Fall auf Grund einer berechtigten Aussageverweigerung - das Protokoll über eine Aussage nicht verlesen werden darf. Unzulässig ist demnach die Vernehmung von "Verhörspersonen" wie Richter, Polizei- und Gendarmeriebeamte über den Inhalt der vor ihnen abgelegten unverwertbaren Aussage (JAB 1157 BlgNR 18. GP 16; Fabrizy StPO9 § 252 Rz 13). Gleiches gilt auch für Sachverständige, die vom Gericht beauftragt wurden, einen Zeugen zu untersuchen und zu befragen (15 Os 162/93, 11 Os 94/91, SSt 31/58; Schwaighofer, Der Unmittelbarkeitsgrundsatz beim Zeugenbeweis und seine Ausnahmen, ÖJZ 1996, 124 ff [insbesondere S 132]). Im Ergebnis unterliegen dem Umgehungsverbot alle Aussagen, die auf staatliche Veranlassung oder gegenüber staatlichen Organen abgelegt wurden (Schwaighofer aaO). Hingegen dürfen sogar die "Verhörspersonen" über andere - nicht auf den Aussageinhalt bezogene - Wahrnehmungen, wie zB Aussehen, Verletzungen oder Kleidung der Zeugen, aber auch über Vorgänge, Reaktionen und insbesondere spontane Äußerungen und Mitteilungen, die nicht als Aussage zu werten sind, vernommen werden. Umso weniger fällt die Vernehmung anderer Zeugen über ihnen außerhalb des Strafverfahren zugekommenen Mitteilungen jener Personen, die vom Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht haben, unter das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO (EvBl 1994/181). Demzufolge darf auch ein behandelnder Arzt über die ihm gegenüber gemachten Äußerungen zur Herkunft von Verletzungen als Zeuge vernommen und seine Aussage verwertet werden (Schwaighofer aaO, insbesondere S 133). Die an das verletzte Tatopfers gerichtete Empfehlung der Gendarmerie, ein Krankenhaus bzw einen Arzt aufzusuchen, stellt keine staatliche Veranlassung der Untersuchung dar, wird doch der nachfolgend behandelnde Arzt hiedurch weder zu einem vom Gericht beauftragten Sachverständigen noch zu einem Behördenorgan (Amtsarzt). Im zweiten Rechtsgang hat das Landesgericht Korneuburg in der Begründung seiner Berufungsentscheidung vom 9. Februar 2004 (ON 26) seine falsche Rechtsansicht zur mangelnden Verwertbarkeit der Aussage des behandelnden Arztes neuerlich zum Ausdruck gebracht. Da sich diese Rechtsansicht im Ergebnis zum Vorteil des letztlich freigesprochenen Beschuldigten ausgewirkt hat, waren die bezeichneten Gesetzesverletzungen lediglich aufzuzeigen.
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