OGH 14Os136/04

OGH14Os136/0421.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Dezember 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Diewok als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Abdurrahim P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 9. September 2004, GZ 9 Hv 127/04d-124, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Gruber zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird teilweise, jener der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben. Gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO erkennt der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst:

Abdurrahim P***** wird wegen des ihm angelasteten Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. Dezember 2003, GZ 3 U 527/03b-4, zu einer Freiheitsstrafe von neunzehn Jahren und elf Monaten verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Abdurrahim (nach der Aktenlage auch: Abdulrahim) P***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. Dezember 2003, GZ 3 U 527/03b-4, nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt.

Nach dem Schuldspruch hat er nachts zum 16. November 2003 in Graz Bernd Roland A***** durch Versetzen zahlreicher Stiche und Schnitte mit mehreren verschiedenen Messern, darunter insbesondere eines Stiches in das Halsmark, vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform nach Mord gestellte Hauptfrage (I.) bejaht. Folgerichtig entfiel die Beantwortung der Eventualfrage nach Totschlag (II.). Die Zusatzfrage nach Notwehr (III.) verneinten die Laienrichter, sodass die Eventualfrage (IV.) nach Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt und die darin weiters enthaltene Zusatzfrage nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen) zutreffend unbeantwortet blieb. Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten aus Z 6, 10a und 13 sowie der Staatsanwaltschaft aus Z 13 des § 345 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Angeklagte darin, dass der Schwurgerichtshof keine Eventualfrage nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) gestellt hat.

Diese Fragestellung unterblieb jedoch zu Recht.

Unabdingbare Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage ist nämlich das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (§ 314 Abs 1 StPO).

Der Nichtigkeitswerber hat sich in der Hauptverhandlung auf seine Angaben "zur Tat und zu den Tatumständen" gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen Prim. Univ. Prof. Dr. Reinhard H***** (ON 108) berufen. Nach der damit vorgebrachten und in der Hauptverhandlung ergänzten Verantwortung könne er sich an zwei Stiche erinnern. Er habe Bernd Roland A***** "nicht verletzen, sondern nur wegschupfen" sowie sich selbst "befreien" wollen (S 479/IV). Für ihn sei es völlig unerklärlich, weshalb das Opfer 85 Stich- und Schnittwunden aufgewiesen habe. Ihm sei klar, dass die Verletzungen von ihm stammen müssen, trotzdem sei ihm die große Zahl unerklärlich (S 177/IV). Auch wisse er nicht, wie die Abtrennung des Daumens des Opfers und das Einführen einer Türklinke in den After "zustande" gekommen sei.

Aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer den Tötungsvorsatz in Abrede stellt (S 171 unten/IV), zieht die Beschwerde (lediglich) den Schluss, dass der Angeklagte auch bei Fortsetzung seiner Handlungen nur mit bloßem Verletzungsvorsatz gehandelt hätte. Sie bezeichnet jedoch keine in der Hauptverhandlung vorgebrachten oder vorgekommenen Tatsachen in der Bedeutung des § 314 Abs 1 StPO, bei deren Bejahung eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang anzunehmen wäre (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1, 12 ff; § 313 Rz 6 f). Auch das unbegründet gebliebene prozessuale Verlangen des Verteidigers in der Hauptverhandlung nach Aufnahme der Eventualfrage in das Fragenschema (S 509/IV) ist nicht als "vorgebrachte Tatsache" anzusehen. Die Stellung der beantragten Eventualfrage war somit nicht indiziert. Die (sich überwiegend auf das Begehren der Berücksichtigung "berechtigter Erregung" bei der Tatbegehung beschränkende und solcherart gar nicht gegen wahrspruchsmäßige Konstatierungen gerichtete) Tatsachenrüge (Z 10a) vermag durch Hervorheben einiger nicht subsumtionsrelevanter Details aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. H***** (ON 108), insbesondere der Passage, wonach nicht "von einer von vornherein nach einem genauen Plan abgelaufenen Handlungsfolge gesprochen werden" könne (S 223 unten/IV), keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit einer der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen hervorzurufen. Dabei wird andern der Hinweis auf den klar erkennbaren Konnex zu den nach der Tötung gesetzten "sexuell getönten aggressiven Handlungen" (Abschneiden des Daumens und Einführung in den Mund des Opfers sowie Stecken einer Türschnalle in dessen After) verschwiegen.

Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

Im Recht sind aber die Strafzumessungsrügen (Z 13) der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten.

Das Geschworenengericht hat unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. Dezember 2003, GZ 3 U 527/03b-4, mit dem der Angeklagte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden war, eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren ausgesprochen. Die über einen Angeklagten unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf eine andere zeitliche Freiheitsstrafe ausgemessene weitere zeitliche Freiheitsstrafe darf jedoch in Summe die in § 18 Abs 2 StGB vorgesehene längste Dauer einer auf bestimmte Zeit verhängten Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren nicht übersteigen (Ratz in WK2 § 31 Rz 10). Da nach dem erstgerichtlichen Strafausspruch die Gesamtstrafe jedoch zwanzig Jahre und einen Monat beträgt, hat das Geschworengericht seine Strafbefugnis überschritten. Der bekämpfte Strafausspruch war daher aufzuheben.

Bei der dadurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die Begehung mehrerer Straftaten verschiedener Art (zufolge Bedachtnahme auf die Vor-Verurteilung) und die besondere Brutalität; als mildernd hingegen das als Beitrag zur Wahrheitsfindung zu wertende Tatsachengeständnis sowie das zur Tatzeit deutlich eingeschränkte Dispositionsvermögen des Angeklagten. Die ausgesprochene, in Summe das Höchstmaß einer zeitlichen Freiheitsstrafe erreichende Ausmaß der Strafe entspricht insbesondere im Hinblick auf die brutale Vorgangsweise der hohen Täterschuld und dem bedeutenden Unrechtsgehalt der Tat.

Wegen der deutlich eingeschränkten Dispositionsfähigkeit war jedoch entgegen der Berufung der Staatsanwaltschaft mit einer zeitlichen Freiheitsstrafe das Auslangen zu finden.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a StPO.

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