OGH 2Ob228/04z

OGH2Ob228/04z20.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Reinhold M*****, 2. Monika M*****, und 3. *****versicherung AG, ***** alle vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Doris B*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 13. Juli 2004, GZ 2 R 105/04i-32, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 5. Februar 2004, GZ 6 Cg 182/02f-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung, sohin hinsichtlich der Zurückweisung des Eventualbegehrens auf Feststellung, aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger wurden mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 8. 10. 1988 unter anderem dazu verpflichtet, der Beklagten ab 1. 4. 1998 eine monatliche Rente von S 30.600 zu bezahlen. Nach den Feststellungen bestand ein Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden der Beklagten und den Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit und dem Unfall vom 19. 7. 1994. Das Berufungsgericht gelangte in diesem Verfahren zum Ergebnis, dass die Beklagte Anspruch auf Ersatz des durch die festgestellten Beschwerden verursachten - auch zukünftigen - Verdienstentgangs habe.

Im vorliegenden Verfahren begehrten die Kläger zunächst die Wiederaufnahme dieses Verfahrens, die Aufhebung der dortigen Urteile und die Abweisung des Klagebegehrens. Sie brachten vor, die in diesem Verfahren erstellten Sachverständigengutachten seien aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Hauptverfahren noch nicht vorgelegen seien, unrichtig. Die bei der Beklagten gegebenen und im Hauptprozess festgestellten Schmerzen und Beschwerden seien Folge einer Schmerzkrankheit an sich, die in keinem Zusammenhang mit dem Unfall vom 19. 7. 1994 stehe. Unter Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden ergebe sich, dass keine schwere Zerrung der Halswirbelsäule mit begleitenden neurologischen Störungen vorliege; die im Hauptprozess eingeholten Sachverständigengutachten seien jedoch in ihrer Beurteilung der Unfallskausalität der Beschwerden vom Vorliegen einer unfallskausalen schweren Zerrung der Halswirbelsäule mit begleitenden neurologischen Störungen ausgegangen. Durch eine erst ab dem Jahre 1999 gebräuchliche Methode der digitalen Radiologie sei nachweisbar, dass die Beklagte lediglich eine leichte bis mittelschwere Halswirbelsäulenzerrung als Verletzungsfolge erlitten habe. Die Beklagte leide an einer in keinem Kausalzusammenhang mit dem Unfall stehenden Schmerzkrankheit (Fibromyalgie). Diese könne aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erst seit wenigen Jahren diagnostiziert werden. Den Gutachten im Hauptprozess seien die zur Diagnose dieser Krankheit erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht zur Verfügung gestanden.

In der Verhandlung vom 12. 12. 2003 stellten die klagenden Parteien einen Zwischenantrag auf Feststellung und für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens ein Eventualbegehren, wonach festgestellt werden solle, dass der Rentenanspruch der beklagten Partei gegenüber den klagenden Parteien aus dem Teilurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 8. 10. 1998 sowie aus dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 24. 4. 1998 seit 8. 10. 1998 erloschen sei. Die klagenden Parteien führten dazu aus, es sei, ausgehend von den vorliegenden Sachverständigengutachten, der Rentenanspruch der Beklagten aufgrund des fehlenden Kausalzusammenhanges zwischen der bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Beklagten und dem Unfallereignis vom 19. 7. 1994 jedenfalls spätestens seit dem 8. 10. 1998 erloschen.

Die Beklagte wendete ua ein, bei dem nunmehrigen Vorbringen handle es sich um eine unzulässige Klagsänderung.

Das Erstgericht wies das Wiederaufnahmebegehren (nunmehr rechtskräftig) ab, der Zwischenantrag auf Feststellung und das Eventualbegehren wurden zurückgewiesen.

Dabei stellte es unter anderem fest, die Beklagte leide an einem unabhängigen und eigenständigen Krankheitsbild, nämlich der so genannten Schmerzkrankheit (Fibromyalgie-Syndrom). Die bestehende Schmerzsymptomatik stehe in keinem Zusammenhang mit dem Unfall vom 19. 7. 1994. Es handle sich um das Bild einer eigenständigen Schmerzkrankheit, die unfallskausal nicht zu erklären sei. Die Verletzungen der Beklagten aufgrund des Unfalls vom 19. 7. 1994 seien bis zum April 1998 jedenfalls abgeklungen. Das Auftreten der Schmerzkrankheit bei der Beklagten sei durch den Unfall möglicherweise begünstigt worden, voll kausal für das Auftreten der Krankheit sei der Unfall vom 19. 7. 1994 aber nicht.

In rechtlicher Hinsicht wies das Erstgericht das Eventualbegehren mit der Begründung zurück, es sei über den Anspruch bereits im Vorprozess endgültig und rechtskräftig entschieden worden (§ 411 ZPO).

Die klagenden Parteien erhoben unter anderem gegen die Zurückweisung des Eventualbegehrens auf Feststellung Rekurs.

Das Rechtsmittelgericht bestätigte den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichtes mit der Begründung, in den Urteilen im Vorprozess sei davon ausgegangen worden, dass jene Beschwerden, die den Zuspruch einer Rente letztlich rechtfertigten, unfallskausal seien. Das Eventualbegehren stelle sich daher lediglich als Versuch dar, die Einmaligkeitswirkung der Urteile im Vorprozess zu umgehen, weshalb dem Eventualbegehren die Einrede der Rechtskraft entgegenstehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Kläger mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Eventualbegehren zugelassen und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über das Eventualbegehren aufgetragen werde; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei hat Revisionsrekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Parteien nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Parteien ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht absolut unzulässig; er ist, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, auch berechtigt.

Die klagenden Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, dem Anspruch auf Änderung oder Erlöschen einer urteilsmäßig zugesprochenen Rente wegen veränderter Verhältnisse stehe die Rechtskraftwirkung des Urteils im Vorprozess nicht entgegen. Im vorliegenden Fall hätten die klagenden Parteien mit ihrem Eventualbegehren ausschließlich einen Anspruch auf Erlöschen einer urteilsmäßig zugesprochenen Verdienstentgangsrente wegen nachträglich geänderter Verhältnisse (mangelnde Unfallskausalität der Arbeitsunfähigkeit der Beklagten seit 8. 10. 1998) geltend gemacht. Die Zurückweisung des Eventualbegehrens aufgrund der angeblichen Rechtskraftwirkung des Vorurteiles sei unberechtigt, weil die nachträgliche Änderung der Verhältnisse weder Gegenstand des Vorprozesses gewesen sei noch hätte sein können.

Hiezu wurde erwogen:

Bei der schadenersatzrechtlichen Bemessung einer Verdienstentgangsrente ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen Einkommen nach dem Unfall und dem Arbeitserwerb, den der Verletzte ohne Unfall bei Ausnützung seiner Erwerbstätigkeit voraussichtlich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erzielt hätte, zu ersetzen (Apathy, Komm z EKHG, § 13 Rz 11 mwN). Es ist grundsätzlich von den gegenwärtigen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz auszugehen und bezüglich des Ausmaßes des Ersatzes der gewöhnliche Lauf der Dinge zu berücksichtigen (Reischauer in Rummel³, ABGB, § 1325 Rz 27 mwN). Die ungewisse Möglichkeit des Eintritts künftiger Umstände ist bei der Bemessung der Rente nicht zu berücksichtigen; nur dort, wo nach allgemeiner Lebenserfahrung schon im Vorhinein mit einer Änderung der Verhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt zu rechnen ist, ist auf künftige Verhältnisse Bedacht zu nehmen (Reischauer, aaO, § 1325 ABGB Rz 27 mwN).

Daraus folgt, dass die zum Zeitpunkt der erstmaligen Rentenbemessung unvorhersehbaren Änderungen in einem späteren Rechtsstreit mit Klage geltend gemacht werden können, gilt doch für die Verdienstentgangsrente die clausula rebus sic stantibus (SZ 71/5; Reischauer, aaO, § 1325 ABGB Rz 27 und § 1327 ABGB Rz 26). Überall dort, wo wegen der Anwendbarkeit der clausula rebus sic stantibus eine nachträgliche Sachverhaltsänderung eine Neubemessung rechtfertigt, bildet eine derartige Sachverhaltsänderung einen zulässigen Anlass für eine neue diesbezügliche Klage; dies gilt nicht nur für Unterhaltsansprüche, sondern auch für Ansprüche auf Änderung oder Erlöschen von urteilsmäßig zugesprochenen Renten (Fasching/Klicka in Fasching², III, § 411 ZPO Rz 98). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen steht daher die Rechtskraft des Zuspruches einer Verdienstentgangsrente einer Klage auf Feststellung des Erlöschens wegen geänderter Verhältnisse nicht entgegen.

In Deutschland ist nach herrschender Ansicht die Zulässigkeit der Abänderungsklage von der Behauptung des Klägers abhängig, dass eine wesentliche Änderung der für die Leistungspflicht maßgebenden Verhältnisse eingetreten ist. Ob diese Behauptung zutrifft, ist eine Frage der Begründetheit der Klage (Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung4 § 323 dZPO Rz 26). Wird eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht oder nur unzureichend vorgetragen, so ist die Klage unzulässig (Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO², § 323 dZPO Rz 60). Diese Rechtsansicht beruht auf § 323 dZPO, wonach bei einer Verurteilung zu künftig fällig werdenden Leistungen im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse eine Abänderungsklage möglich ist. Die Klage ist nach Abs 2 dieser Bestimmung nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf die sie gestützt wird, erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, in der eine Erweiterung des Klageantrages oder die Geltendmachung von Einwendungen spätestens hätte erfolgen müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. § 323 dZPO normiert daher als besondere Prozessvoraussetzung einer Abänderungsklage die Behauptung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (vgl § 538 ZPO, wonach bei einer Rechtsmittelklage vor Anberaumung einer Tagsatzung zu prüfen ist, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe gestützt ist).

Die österreichische ZPO enthält aber keine ausdrückliche Regelung über eine Abänderungsklage und sieht daher keine besonderen Prozessvoraussetzungen für eine solche vor. Wenn daher keine oder keine ausreichenden Behauptungen für eine Änderung der Rentenbemessung aufgestellt werden, ist das Klagebegehren unschlüssig und - allenfalls nach Erörterung - mit Urteil abzuweisen.

Im vorliegenden Fall ist das Vorbringen der klagenden Parteien erörterungsbedürftig. Während sie zunächst nicht von einer Änderung der Verhältnisse ausgegangen sind, sondern behauptet haben, die im Vorprozess eingeholten Gutachten seien unrichtig, haben sie in der Verhandlung vom 12. 12. 2003 ausgeführt, der Rentenanspruch der Beklagten sei "jedenfalls spätestens seit dem 8. 10. 1998" erloschen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren - falls es die Klagsänderung für zulässig erachtet - dieses Vorbringen mit den klagenden Parteien zu erörtern und zu klären haben, ob und welche Änderung der Verhältnisse sie seit dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend machen, und ob die allenfalls behaupteten geänderten Verhältnisse eine Änderung der Rentenbemessung rechtfertigen. Sollten diesbezüglich keine ausreichenden Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, wird das Klagebegehren mit Urteil abzuweisen sein. Sollten aber ausreichende Behauptungen aufgestellt werden, so werden diese zu prüfen sein.

Es sind daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und wird das Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung zu treffen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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