OGH 9ObA90/04g

OGH9ObA90/04g1.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Höfle und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Kornelia K*****, Angestellte, ***** (7 Cga 111/03h), und 2.) Gabriele P*****, Angestellte, ***** (7 Cga 131/03z), beide vertreten durch Mairhofer & Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65-67, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.) EUR 2.529,41 brutto sA, und 2.) EUR 2.576,51 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 2004, GZ 11 Ra 42/04g-12, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Dezember 2003, GZ 7 Cga 111/03h-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit EUR 439,72 (darin EUR 73,29 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens, und zwar beiden beklagten Parteien je EUR 219,86, binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Klägerinnen stehen in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur beklagten Partei, auf welches die DO.A anzuwenden ist. Die Erstklägerin arbeitete bis 22. 8. 1996 Vollzeit, nach Karenz- und Sonderurlaub trat sie ihren Dienst am 28. 6. 1999 wieder an und hielt zunächst eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden ein. Seit 1. 7. 2001 beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 30 Stunden. Lediglich in der Zeit vom 1. 12. 1993 bis 22. 8. 1996 hatte sie wegen ihrer überwiegenden Bildschirmarbeit eine Erschwerniszulage auf Grund des damaligen § 46 Abs 1 Z 1 lit b DO.A erhalten. Seit 28. 6. 1999 bezieht sie keine Erschwerniszulage mehr.

Die Zweitklägerin arbeitete bis 31. 8. 1995 Vollzeit, vom 1. 9. 1995 bis 31. 8. 2001 in einem Ausmaß von 20 Wochenstunden, vom 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 wieder Vollzeit und seit 1. 3. 2002 in einem Ausmaß von 30 Wochenstunden. Seit 1. 9. 1995 erhielt die Zweitklägerin, welche während ihrer Vollzeitbeschäftigung die Erschwerniszulage für Bildschirmarbeit erhalten hatte, grundsätzlich keine solche Zulage mehr. Lediglich in Zeiten, wo sie wegen Vertretungen Mehrdienstleistungen über 20 Stunden pro Woche erbrachte und dabei überwiegend Bildschirmarbeit leistete, wurde ihr die Erschwerniszulage aliquot bezahlt. Sowohl während ihrer Vollzeitbeschäftigung als auch in den Zeiten der Teilzeitbeschäftigung von 20 bis 30 Wochenstunden erreichte die Bildschirmtätigkeit beider Klägerinnen gemessen an ihrer Gesamttätigkeit jeweils mehr als 50 %. Während ihrer Teilzeitbeschäftigung arbeiteten die Klägerinnen immer 5 Tage pro Woche und zwar je 4 Stunden bei 20 Wochenstunden und je 6 Stunden bei 30 Wochenstunden.

Beide Klägerinnen begehren den Zuspruch anteiliger, das heißt dem jeweiligen Wochenarbeitsausmaß entsprechenden Erschwerniszulagen seit 1. 10. bzw 1. 11. 2000. Die Regelungen in der DO.A über die Gewährung der Erschwerniszulage, insbesondere diejenige des § 46 Abs 1a (wirksam seit 1. 1. 1998) hätten sowohl gegen § 19d Abs 6 AZG als auch gegen das "Gleichbehandlungsgebot" verstoßen. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass nur vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit überwiegender Bildschirmarbeit in den Genuss dieser Erschwerniszulage kämen.

Die beklagte Partei bestritt die Klagebegehren der Höhe nach nicht, beantragte jedoch im Übrigen deren Abweisung. Die Bestimmung des § 46 Abs 1a DO.A sei mit 1. 1. 2001 außer Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung Art LI hätten nur jene Arbeitnehmer weiterhin Anspruch auf die Erschwerniszulage wegen überwiegender Bildschirmarbeit, welche am 31. 10. 2000 Anspruch auf diese Zulage gehabt haben und weiterhin die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllen. Nach der authentischen Interpretation des § 46 Abs 1a DO.A durch die Kollektivvertragspartner habe dieser Anspruch auf die Erschwerniszulage wegen Bildschirmarbeit nur dann bestanden, wenn die betreffende Tätigkeit zu mehr als der Hälfte der Normalarbeitszeit gemäß § 9 oder § 9a (= 40 Stunden) abzüglich des gemäß § 9d Abs 1 auf die Normalarbeitszeit anzurechnenden Teils der Mittagspause, ausgeübt worden sei. Diese Voraussetzungen hätten auf die klagenden Parteien nicht zugetroffen. Auch sei es keine Diskriminierung, wenn die Gewährung der Zulage an eine bestimmte wöchentliche Dauer der wöchentlichen Bildschirmarbeitszeit anknüpfe.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Übergangsbestimmung eine klare Regelung treffe. Liege die Voraussetzung einer bestimmten Mindestanzahl an Bildschirmtätigkeiten pro Woche nicht vor, bestehe eben keine besondere Erschwernis und gebühre daher auch die Zulage nicht. Eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten könne nicht gesehen werden und würde dies sogar zu einer Bevorzugung dieser Arbeitnehmergruppe führen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es beiden Klagebegehren stattgab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Kollektivvertragsbestimmung gegen Art 141 EG bzw die Richtlinien 97/81/EG und 75/117 sowie 76/207 verstoße. Es liege ein klassischer Anwendungsfall der mittelbaren Diskriminierung vor, weil in Österreich insbesondere Frauen die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nehmen. Eine richtlinienkonforme Interpretation des § 46 Abs 1a DO.A führe daher zum notwendigen Schluss, dass nicht auf eine absolute Stundenanzahl an überwiegenden Bildschirmtätigkeiten abgestellt werden dürfe, sondern jede überwiegende Bildschirmarbeit unter den genannten erschwerten Bedingungen, gleichgültig ob in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung, zu einer Zuerkennung der Erschwerniszulage führen müsse.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob durch § 46a Abs 1 iVm Art LI DO.A eine mittelbare Diskriminierung eintreten könne, keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Die klagenden Parteien beantragten, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bereits vor dem 1. 1. 1998 gewährte die beklagte Partei Angestellten, die ausschließlich oder überwiegend an Bildschirmarbeitsplätzen verwendet wurden, zur Abgeltung einer mit dieser Tätigkeit verbundenen außerordentlichen Erschwernis - insbesondere der Belastung der Augen - eine Erschwerniszulage gemäß § 46 Abs 1 Z 1 DO.A (authentische Interpretation der Kollektivvertragsparteien idF der 48. Änderung der DO.A). Mit der 49. Änderung der DO.A (Wirksamkeitstermin 1. 1. 1998) wurden "nur überwiegend mit Bildschirmarbeiten beschäftigte" Angestellte aus der Regelung des § 46 Abs 1 Z 1 lit b herausgenommen; statt dessen wurde nach § 46 Abs 1 folgender Abs 1a eingefügt: "Angestellten, die überwiegend an Bildschirmarbeitsplätzen verwendet werden, gebührt, wenn die Arbeit mit dem Bildschirmgerät und die Zeit der Arbeit mit diesem Gerät für die gesamte Tätigkeit bestimmend sind, eine Erschwerniszulage von 5 bis 10 vH des Gehaltes nach Gehaltsgruppe B, Dienstklasse II, Bezugsstufe c in der am 1. 1. 1996 geltenden Fassung. Die Arbeit mit dem Bildschirmgerät und die Zeit der Arbeit mit diesem Gerät sind dann für die gesamte Tätigkeit bestimmend, wenn die Arbeitsaufgabe ohne Bildschirmgerät iV mit einem Rechner nicht gelöst werden kann; für die Beurteilung der überwiegenden Tätigkeit mit dem Bildschirmgerät sind jene Arbeitsvorgänge zu berücksichtigen, während der Daten einzugeben, abzurufen oder sonst auf dem Bildschirm zu beachten sind. Gleichzeitig wurde im Rahmen einer authentischen Interpretation der Kollektivvertragspartner folgende Erläuterung zu § 46 Abs 1a getroffen: "1.) Angestellten, die überwiegend an Bildschirmarbeitsplätzen verwendet werden, gebührt zur Abgeltung einer mit dieser Tätigkeit verbundenen außerordentlichen Erschwernis - insbesondere der Belastung der Augen - eine Erschwerniszulage gemäß § 46 Abs 1a: a) Der Anspruch auf die Zulage ist immer dann gegeben, wenn die betreffende Tätigkeit zu mehr als der Hälfte der Normalarbeitszeit gemäß § 9 oder § 9a (Anmerkung: 40 Wochenstunden) abzüglich des gemäß § 9d Abs 1 auf die Normalarbeitszeit anzurechnenden Teiles der Mittagspause (Anmerkung: das ist die Hälfte) - ausgeübt wird ....". Mit der 58. Änderung der DO.A wurde § 46 Abs 1a DO.A mit 1. 1. 2001 außer Kraft gesetzt. Die zum 31. 12. 2000 gebührenden Erschwerniszulagen gemäß § 46 Abs 1a DO.A wurden gemäß Art LI ab dem 1. 1. 2001 in der Form von "Differenzbeträgen" gewährt, wobei die sich aus den verschiedenen Zulagenprozentsätzen ergebenden Beträge um ATS 139,-- vermindert wurden. Nach Abs 2 der Übergangsbestimmung werden die Differenzbeträge am 1. Jänner der Jahre 2002 bis 2009 um jeweils ATS 150,-- und am 1. 1. 2010 um ATS 200,-- vermindert. Nach Abs 3 der Übergangsbestimmung gebühren die gemäß Abs 1 und 2 verminderten Differenzbeträge, solange die Anspruchsvoraussetzungen für die gegenständliche Erschwerniszulage nach den bis zum 31. 12. 2000 geltenden Bestimmungen erfüllt sind.

Die beklagte Partei bestreitet in der Revision weder die vom Berufungsgericht gewählte, den Klagebegehren folgende anteilige Berechnungsmethode noch die Annahme, dass bei der beklagten Partei überwiegend Frauen teilzeitbeschäftigt sind und daher besonders von der Erschwerniszulagenbeschränkung betroffen sind. Der Schwerpunkt der Revision liegt darauf, dass infolge einer sachlichen Differenzierung (Abstellen auf eine bestimmte Mindestzeit der Bildschirmtätigkeit pro Woche) eine Diskriminierung ausscheide, zumal kein absolutes Gleichbehandlungsgebot bestehe.

Der Revisionswerberin ist zunächst dahin beizupflichten, dass "authentische Interpretationen" durch die Kollektivvertragsparteien nicht neben die üblichen Interpretationsmethoden treten, sondern - unter der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Kundmachung, welche hier anzunehmen ist - einen Akt der Rechtssetzung darstellen und somit Normwirkung entfalten (RIS-Justiz RS0054448; RS0055015; 9 ObA 168/88 = DRdA 1990, 447, 449; F. Bydlinski in Rummel I3 § 8 ABGB Rz 1 mwN).

Es bedarf hier auch keines weiteren Eingehens auf die Frage einer richtlinienkonformen Interpretation von Kollektivverträgen, weil die Unmittelbarkeitswirkung des Art 141 EG im Falle eines Verstoßes jedenfalls zur (Teil-)Unwirksamkeit von Kollektivverträgen führt (Smutny/Mayr, Gleichbehandlungsgesetz, 702; EuGH zum Tarifvertrag: Kowalska Rs C-33/89 ). Art 141 EG sanktioniert nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierungen. Eine solche liegt dann vor, wenn eine Regelung zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die aber für die Person eines Geschlechtes wesentlich nachteiligere Wirkungen entfaltet als für Personen des anderen Geschlechtes und wenn diese nachteiligen Wirkungen auf dem Geschlecht oder der Geschlechterrolle beruhen. Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann nicht vor, wenn die Unterscheidung aus objektiven sachlichen Gründen (= Rechtfertigungsgründen) erfolgt (Smutny/Mayr aaO 712 f). Die Tatsache, ob bei der Anwendung des an sich neutralen Kriteriums wesentlich mehr Angehörige eines Geschlechtes betroffen sind, ist nach der Rechtsprechung des EuGH von den nationalen Gerichten zu beurteilen (EuGH Rs 12/81 Garland; EuGH Rs 171/88, Riener-Kühn; Smutny/Mayr aaO 712). Allein der Umstand, dass eine mittelbare Diskriminierung eine Deckung durch einen Tarifvertrag findet, stellt für sich allein noch keine Rechtfertigung dar (EuGH Rs-33/89 Kowalska). Im vorliegenden Fall indiziert die Tatsache, dass wesentlich mehr weibliche Arbeitnehmerinnen als männliche Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt sind und daher nicht in den Genuss der Erschwerniszulage kommen, dass eine mittelbare Diskriminierung vorliegt. Somit wäre es Sache des Arbeitgebers aufzuzeigen, dass eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung gleichwertiger Arbeit gegeben ist (EuGH Rs C-127/92 Enderby ua). Die beklagte Partei verweist - neben dem unstrittig auch auf die Klägerinnen zutreffenden Qualitätsmerkmal insbesondere auf das Quantitätskriterium, welches darlegen soll, dass erst ab einer bestimmten, eine Zeit von 20 Stunden pro Woche übersteigenden Arbeitszeit von dieser abzugeltenden Belastung auszugehen ist, ohne dies aber mit weiteren Sachargumenten zu untermauern.

Der Gesetzgeber verweist in § 68 Abs 1 ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetz auf die mögliche Beeinträchtigung des Sehvermögens sowie auf physische und psychische Belastungen, auf welche besonders Bedacht zu nehmen sei. Die aufgrund der §§ 67, 68 ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetz erlassene Bildschirm- arbeitsVO trägt diesem Kriterium durch zahlreiche Schutzmaßnahmen Rechnung. So bestimmt beispielsweise § 10 Abs 1 der VO, dass im Falle einer mehr als zwei Stunden ununterbrochenen Bildschirmarbeit pro Tag nach jeweils 50 Minuten ununterbrochener Bildschirmarbeit eine Pause oder ein Tätigkeitswechsel im Ausmaß von jeweils mindestens 10 Minuten zu erfolgen hat. Daraus wird klar, dass das von der beklagten Partei erwähnte Belastungskriterium nicht nur bei der Wochen-, sondern auch bei der Tagesarbeitszeit bedeutsam ist. In diesem Zusammenhang hat die beklagte Partei aber über ihre bloße Behauptung hinaus nicht konkret dargetan, dass erst bestimmte Wochenbelastungen, nicht jedoch auch schon Tagesbelastungen abgeltenswert sind. Somit ist sie ihrer Beweislast hinsichtlich einer sachlichen Rechtfertigung der vorliegenden Entgeltdifferenzierung nicht nachgekommen.

Die Anwendung des Art 141 EG führt daher zu einem Zuspruch an die Klägerinnen, ohne dass es auch einer Prüfung nach § 19d Abs 6 AZG bedürfte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da die Anteile der beiden Klagebegehren am Gesamtstreitwert annähernd je 50 % betragen, haben die obsiegenden Klägerinnen, welche von einem Rechtsanwalt vertreten wurden, Anspruch auf je 50 % der Gesamtkosten.

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