Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 1.000,98 (darin enthalten EUR 166,83 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, der seit 19. 12. 1991 bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme von EUR 336.838,59 für Dauerinvalidität unfallversichert ist, erlitt im Dezember 1995 bei einem Schiunfall einen Einriss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie. Er stellte das Knie eine Woche ruhig und ließ die Verletzung, die in weiterer Folge zu keinerlei Beschwerden führte, nicht ärztlich behandeln. Eine Unfallsmeldung an die Beklagte erfolgte nicht.
Am 10. 6. 1997 stürzte der Kläger, als er Pfosten von der Ladefläche eines Pritschenwagens abladen wollte, aus etwa einem Meter zu Boden. Er landete zunächst auf beiden Beinen, fiel aber sodann nach vorne auf die Knie. Dabei kam es, da die im Dezember 1995 erlittene Verletzung die Haltekraft im linken Kniegelenk herabgesetzt hatte und das Knie nicht mehr so stabilisiert war, wie ein gesundes, zu einem Verwindungstrauma. Die dadurch bewirkte Meniskusläsion bzw -ruptur wurde am 27. 6. 1997 arthroskopisch operiert. Im Zuge dieser Operation wurde der Kreuzbandeinriss diagnostiziert, den der Kläger im Dezember 1995 erlitten hatte. Die betreffende Teilruptur des Kreuzbandes stellt einen Vorschaden dar, der in weiterer Folge "klinisch stumm" geblieben wäre und keine Invalidität hervorgerufen hätte. Die Zusammenschau der beiden Unfälle ergibt für das linke Kniegelenk einen Zustand nach Einriss des medialen Meniskus links im Hinterhornbereich mit teilweiser Entfernung des Meniskus und einen Zustand nach alter vorderer Kreuzbandverletzung mit nun in Kombination vorhandener vorderer Instabilität des Kniegelenks. Daraus resultiert beim nunmehr invaliden Kläger eine 15 %ige Minderung des Beinwertes, der bei völligem Verlust oder völliger Gebrauchsunfähigkeit eines Beines bis über die Mitte des Oberschenkels 70 % beträgt. Ohne den Vorschaden vom Dezember 1995 hätte das Unfallereignis vom 10. 6. 1997 nicht die festgestellte Beinwertminderung nach sich gezogen, wobei der Anteil des Vorschadens ebenso wie jener des Unfalles vom Juni 1997 50 % beträgt.
Dem Unfallversicherungsvertrag der Streitteile wurden die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1980) zugrundegelegt, die neben der in Art 10 erfolgten, bereits erwähnten Festlegung des Beinwertes, noch folgende weitere hier maßgebliche Bestimmungen aufweisen:
Artikel 3
Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes
1.1. Eine Versicherungsleistung wird nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen (körperliche Schädigungen oder Tod) erbracht.
Werden somit
a) die Unfallfolgen durch nicht mit dem Unfall zusammenhängende Krankheiten oder Gebrechen beeinflusst, so wird die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens an diesen Folgen gekürzt. Der Anteil bleibt unberücksichtigt, sobald er weniger als 25 % beträgt;
b) solche Körperteile oder Organe von dem Unfall betroffen, die bereits vor dem Unfall ganz oder teilweise verkrüppelt, verstümmelt oder gebrauchsunfähig waren, oder wird durch die Unfallfolgen ein bestehendes organisches Leiden verschlimmert, so wird eine Versicherungsleistung nur im Ausmaß der Steigerung des Invaliditätsgrades erbracht.
...
Artikel 8
Leistungen des Versicherers
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II.1. Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet, dass eine dauernde Invalidität zurückbleibt, so ist
a) ... aus der hiefür versicherten Summe die dem Grade der Invalidität entsprechende Versicherungsleistung (vgl Art 10) zu erbringen ...
...
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus der Unfallversicherung EUR 35.368,05 sA. Die Unfälle im Dezember 1995 und im Juni 1997 hätten zusammen eine dauernde Invalidität von 15 % des Beinwertes verursacht. Der Vorschaden stelle aber weder eine Krankheit noch ein Gebrechen iSd Art 3 Pkt 1.1. lit a AUVB 1980 dar und habe auch keine Invalidität verursacht.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich wendete sie ein, der Anspruch des Klägers sei gemäß Art 3 Pkt 1.1. lit a und b AUVB 1980 zu kürzen, weil die Vorschädigung des Kniegelenks ein Gebrechen sei, das die Folgen des Unfalles im Jahr 1997 beeinflusst habe.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger EUR 17.684,-- sA zu bezahlen; das Mehrbegehren von EUR 17.684,-- sA wies es ab. Die Ansprüche des Klägers seien gemäß Art 3 Pkt 1.1. lit a) und b) AUVB zu kürzen. Demnach errechne sich bei einer "totalen Beinwertminderung von 10,5 % (= 15 % des Beinwertes von 70 %) der Versicherungssumme von EUR 336.839,09 = EUR 35.368,-- verkürzt um den 50 %-igen Anteil aus dem Vorschaden" die Entschädigungsleistung mit EUR 17.684,- -.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Da Art 3 Pkt 1.1. lit b) AUVB 1980 einen Vorschaden voraussetze, der schon vor dem zu beurteilenden Versicherungsfall eine dauernde Invalidität zur Folge hatte (Vorinvalidität) und die Teilruptur des Kreuzbandes des Klägers allein aber keine dauernde Invalidität bewirkt hätte, scheide eine sachliche Begrenzung der Versicherungsleistung nach dieser Versicherungsbedingung aus. Im Gegensatz zu lit b) setze lit a) des Art 3. Pkt 1.1. AUVB 1980 keine Vorinvalidität voraus. Diese Bestimmung stelle vielmehr nur auf die Beeinflussung der Unfallfolgen durch nicht mit dem Unfall zusammenhängende Krankheiten oder Gebrechen ab. Unter Gebrechen sei ein dauernder abnormer Gesundheitszustand zu verstehen, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulasse. Dazu gehörten nicht altersbedingte normale Verschleiß- und Schwächezustände, wohl aber latente, außerhalb der medizinischen Norm liegende Zustände, die erst anlässlich des Unfalles oder danach akut würden. In diesem Sinne stelle auch die Teilruptur eines Kreuzbandes, die zwar zunächst klinisch stumm geblieben sei, jedoch die Stabilität des Kniegelenks derart vermindert habe, dass es in der Folge auf Grund eines Verwindungstraumas zu einer Meniskusläsion gekommen sei und die Folgen dieser Läsion dadurch gravierender seien, einen dauernden körperlichen Schaden, somit ein Gebrechen dar, welches die Unfallfolgen beeinflusse. Im Umfang dieser Beeinflussung sei die Versicherungsleistung nach Art 3 AUVB 1980 zu kürzen. Dass sich der Unfall, der das Gebrechen verursacht habe, während des Bestandes der Unfallversicherung ereignet habe, schließe eine Kürzung der Versicherungsleistung entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus. Art 3 Pkt 1.1. lit a) AUVB 1980 stelle lediglich auf das Vorliegen von Gebrechen ab, die nicht mit dem (den Versicherungsfall bildenden) Unfall zusammenhingen, nicht aber auch auf den Zeitpunkt ihres Eintrittes. Es mache somit keinen Unterschied, ob die Unfallfolgen durch Gebrechen beeinflusst würden, die vor oder nach Abschluss des Versicherungsvertrages entstanden seien. Auch eine Auslegung der Versicherungsbedingungen in ihrem Zusammenhang ergebe, dass ein die Unfallfolgen beeinflussendes Gebrechen, das durch einen früheren Unfall während des Bestandes des Versicherungsvertrages verursacht worden sei und keine dauernde Invalidität zur Folge gehabt habe, vom Versicherungsschutz ausgenommen sei. Eine Invaliditätsleistung setze nämlich nach Art 8 Pkt II. 1. AUVB 1980 voraus, dass innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität zurückbleibe. Diese Bestimmung sei nach stRsp ein Risikoausschluss in dem Sinn, dass der Versicherer leistungsfrei sei, wenn sich die dauernde Invalidität erst nach Ablauf dieses einen Jahres ergebe. Es wäre mit diesem Risikoausschluss nicht vereinbar, wenn der Versicherer Versicherungsschutz für unfallbedingte Gebrechen gewähren müsste, die selbst keine dauernde Invalidität verursacht, sondern nur die Folgen eines späteren Unfalls verstärkt hätten. Da feststehe, dass der Anteil des festgestellten Gebrechens an den Unfallsfolgen 50 % beträgt, habe das Erstgericht die Versicherungsleistung demnach zu Recht um die Hälfte gekürzt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil eine Rsp des Obersten Gerichtshofes zur sachlichen Begrenzung des Versicherungsschutzes nach Art 3 Pkt 1.1. lit a) und b) AUVB 1980 sowie zu sinngleichen Bestimmungen anderer Fassungen der AUVB fehle.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze, also auch mit dem weiteren Betrag von EUR 17.684,05 sA Folge gegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel ihres Prozessgegners keine Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Da der erkennende Senat die Revisionsausführungen für nicht stichhältig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hingegen für zutreffend erachtet, reicht es aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen und sie - bezugnehmend auf die Argumentation des Revisionswerbers - lediglich wie folgt kurz zu ergänzen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO):
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger wendet sich zunächst dagegen, dass die Vorverletzung ein Gebrechen dargestellt habe und beruft sich dazu auf die Ausführungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, wonach er vor dem Unfall am 10. 6. 1997 mit dem Kreuzband keine Probleme gehabt habe. Eine Instabilität des linken Knies hätte ihm auffallen müssen, wenn dieser Umstand Krankheitswert besessen hätte. Somit könne kein dauernder abnormer Gesundheitszustand bei ihm vorgelegen haben. Aber selbst wenn man das Vorliegen der Voraussetzungen des Art 3 Pkt 1.1. lit a) AUVB 1980 bejahe, hätten die Vorinstanzen die Rechtsfrage, wie groß der Anteil der Vorverletzung an den Unfallsfolgen sei, unrichtig beantwortet. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dieser Anteil gleich groß sein solle wie jener des Unfalles am 10. 6. 1997. Dies habe auch der Sachverständige unbegründet gelassen. Schließlich wäre auch die Tatsache des aufrechten Bestandes der Versicherung zum Zeitpunkt des ersten Unfalles zu berücksichtigen. Bei diesem ersten Unfall sei abstrakt ein Anspruch des Klägers entstanden, der nicht konkret geworden sei, da keine Invalidität eingetreten sei. Daraus die Konsequenz zu ziehen, dass nur die Hälfte der tatsächlichen Invalidität abgegolten werde, wäre unlogisch.
Mit diesen Ausführungen vermag der Revisionswerber einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes nicht aufzuzeigen. Auszugehen ist davon, dass Art 3 Pkt 1.1. AUVB 1980 ausdrücklich eine sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes insofern vorsieht, als eine Versicherungsleistung nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen zu erbringen ist, der Versicherer also nur für jene Folgen einzutreten hat, für die der Unfall (allein) kausal ist. Der "Vorzustand" der versicherten Person ist folgerichtig gemäß lit a) der genannten Bedingung dann zu berücksichtigen, wenn beim Versicherungsnehmer bereits vorhandene Krankheiten oder Gebrechen die Unfallsfolgen beeinflussen. Gebrechen sind nach hM dauernde abnorme Gesundheitszustände, die eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktionen nicht mehr zulassen (Wussow/Pürckhauer AUB6 § 8 Rz 4 mwN; Knappmann in Prölss/Martin VVG27 § 8a AUB 94 Rz 4; Grimm, Unfallversicherung3 § 8 Rz 2; Lorenz in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 47 Rz 213). Dazu zählen - wie das Berufungsgericht im Anschluss an Knappmann, aaO, zutreffend erkannt hat - auch latente, außerhalb der medizinischen Norm liegende Zustände, die erst anlässlich des Unfalles oder danach akut werden. Dies trifft hier zu, da der vom Kläger im Dezember 1995 erlittene Vorschaden (teilweiser Einriss des Kreuzbandes) erst anlässlich des Unfalles am 10. 6. 1997 akut wurde. Dass der Kläger bis dahin die Vorschädigung gar nicht bemerkt hatte, ändert daran nichts, da die Kenntnis des Versicherten unerheblich ist; dessen Beschwerden mussten sich noch gar nicht ausgewirkt oder bemerkbar gemacht haben (Knappmann, aaO § 8 AUB 1994 Rz 1; Wussow/Pürckhauer, aaO Rz 5). Der Umstand, dass der Kläger bis zum Unfall im Jahr 1997 von seiner im Dezember 1995 erlittenen Kreuzbandverletzung nichts wusste, hindert also deren Qualifizierung als Gebrechen iSd Art 3 Pkt 1.1. lit a) AUVB 1980 nicht.
Nach hM obliegt der Beweis für die Mitwirkung von Gebrechen (oder Krankheiten) an den Unfallsfolgen dem Versicherer, der insbesondere auch dafür beweispflichtig ist, dass der Anteil der Beeinflussung nicht weniger als 25 % beträgt (Knappmann, aaO § 8 AUB 94 Rz 4; Wussow/Pürckhauer, aaO, § 8 Rz 12; Grimm, aaO, § 8 Rz 7). Die Erwähnung der Beweispflicht macht deutlich, dass die Frage des Anteiles eines Gebrechens oder einer Krankheit an den Unfallsfolgen nicht, wie der Revisionswerber meint, rechtlicher Natur ist, sondern eine - in aller Regel nur mit Hilfe eines ärztlichen Gutachters (vgl Grimm, aaO mwN) zu lösende - Tatfrage darstellt. Die vom Revisionswerber bemängelte Feststellung des Anteiles der Vorschädigung mit 50 % ist demnach, da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, nicht revisibel.
Dem schließlich noch erhobenen Einwand, der Vorschaden wäre deshalb zu vernachlässigen, weil ihn der Kläger zu einem Zeitpunkt erlitt, als er bereits bei der Beklagten unfallversichert war, steht - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat - der Risikoausschluss des Art 8 Pkt II.1. AUVB 1980 entgegen, wonach eine Versicherungsleistung nur dann zu erbringen ist, wenn sich eine dauernde Invalidität innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet ergibt. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn der Versicherer sozusagen nachträglich doch noch Versicherungsschutz für Verletzungen gewähren müsste, die mangels fristgerechten Eintrittes einer dauernden Invalidität vom Deckungsschutz ausdrücklich ausgenommen wurden.
Die Revision muss erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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