OGH 2Ob159/04b

OGH2Ob159/04b23.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Mag. Karin S*****, 2.) Dr. Gabor S*****, beide vertreten durch Steiner & Steiner, Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt Klagenfurt, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf und Dr. Gernot Murko, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung von Wegedienstbarkeiten, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 22. März 2004, GZ 4 R 8/04z-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 28. Oktober 2003, GZ 24 C 1762/02v-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Parteien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die 1948 geborene Erstklägerin ist seit 1971 zu 5/8 Anteilen Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB *****, zu deren Gutsbestand das landwirtschaftlich genutzte und unmittelbar östlich der Wörthersee-Süduferstraße (in der KG *****) gelegene Grundstück 758/11 mit einer katastralen Fläche von 5558 m2 gehört. Die restlichen 3/8 Anteile dieser Liegenschaft stehen seit 1992 im Eigentum des Zweitklägers, welcher sie mit Vertrag vom 26. 11. 1991 von seiner Schwiegermutter und Voreigentümerin Irmgard H***** erworben hat. Bis zu der im Jahre 1971 an die Erstklägerin (zu 5/8) und an deren Mutter Irmgard H***** (zu 3/8) erfolgten Einantwortung stand die genannte Liegenschaft über mehrere Jahrzehnte im Alleineigentum des DI Carl P*****.

Die beklagte Landeshauptstadt Klagenfurt ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB *****, zu deren Gutsbestand unter anderem das nördlich an das Grundstück der Kläger 758/11 angrenzende Grundstück 758/10 gehört, weiters Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB *****, bestehend unter anderem aus den Grundstücken 571/4, 571/3, 571/2 sowie 571/1 und schließlich Eigentümerin des in EZ ***** GB ***** inneliegenden Grundstückes 580. Die zuletzt angeführten Grundstücke (hievon das Grundstück 580 jedoch nur zum Teil) grenzen in der zuvor genannten Reihenfolge in West-Ost-Richtung jeweils nebeneinander liegend, im Süden an das Grundstück 785/11 der Kläger an.

Mit der Behauptung, durch eine insoweit seit Generationen, mindestens aber seit vierzig Jahren, im guten Glauben erfolgte Zugangs- bzw Zufahrtsübung zu dem nunmehr ihnen gehörenden Grundstück 758/11 ein verbücherungsfähiges Geh- und Fahrrecht über die daran im Norden und Süden unmittelbar anschließenden Grundstücke der Beklagten bzw an den in der Natur jeweils entlang der gemeinsamen Nord- und Südgrenze verlaufenden Wegtrassen ersessen zu haben, begehrten die Kläger mit ihrer am 18. 11. 2002 beim Erstgericht eingebrachten Servitutenklage, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Servitut des Geh- und Fahrrechtes ob den Grundstücken 758/10, 571/1, 571/2, 571/3, 571/4 und 580 als dienenden Grundstücken zu Gunsten ihres Grundstückes 758/11 als herrschendem Grundstück einzuwilligen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass für die von den Klägern behauptete uneingeschränkte Ersitzung eines Wegerechtes bislang weder die erforderliche Ersitzungszeit abgelaufen sei noch die anderen Ersitzungsvoraussetzungen vorliegen würden. Die Klage sei zudem schon insoweit unschlüssig, als das Urteilsbegehren weit über die beanspruchten Servitutsrechte hinausgehe. Alle klagsgegenständlichen und jeweils landwirtschaftlich genutzten Grundstücke, somit auch jenes der Kläger, seien seit 35 Jahren an Anton S***** verpachtet gewesen. Dieser Pächter habe daher die Wege und Grundstücke in Ausübung seiner Pachtrechte genutzt und aus diesem Grunde keinen zur Ersitzung geeigneten Besitz für die Kläger ausüben können. Die von der Wörthersee-Süduferstraße auf das Grundstück 571/4 der Beklagten führende Rampe und der daran anschließende Weg seien im Übrigen erst im Zuge des Süduferstraßenausbaues, also nach 1970, entstanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei unter anderem von folgenden Feststellungen aus:

Die Wörthersee-Süduferstraße ist um ca 1 bis 1,5 m erhöht. Südlich der Liegenschaft der Kläger besteht auf dem Grundstück 571/4 der Beklagten eine Zufahrtsrampe, welche nach Osten hin 2 m asphaltiert, dann geschottert in die südlich des Grundstückes 785/11 befindlichen Grundstücke der beklagten Partei abfällt ("Südweg"). Östlich des Schotters ist Graswuchs. Nördlich des Grundstückes 785/11 befindet sich ebenfalls vom Südring in Richtung Osten abfallend eine aufgeschüttete Rampe, die völlig verwachsen, nicht asphaltiert und auch nicht beschottert ist ("Nordweg"). Diese Rampe befindet sich mittig an der gemeinsamen Grundstücksgrenze der Grundstücke 758/11 und 758/10. Das Grundstück 758/11 der Kläger ist vom Westen her über die nördliche sowie südliche Zufahrtsrampe befahrbar. Der "Nordweg" wurde von der Erstklägerin 1955 benutzt, indem sie mit ihrem Großvater dort mit dem Rad gefahren ist. Heute wird der "Nordweg" nur drei- bis viermal im Jahr von der Erstklägerin kontrolliert, dies in Form einer Begehung, wobei die letzte vor 1 ½ Jahren erfolgt ist. Eine Benützung des "Nordweges" durch den Zweitkläger oder durch Rechtsvorgänger der Kläger konnte nicht festgestellt werden. Das Grundstück 758/11 der Kläger wurde an den Landwirt Anton S***** in Bestand gegeben. Dieser ist auch Pächter der südlich des Grundstückes der Kläger angrenzenden Grundstücke 571/1 bis 4 sowie des nördlich gelegenen Grundstückes 571/10 der beklagten Partei. Er hat die beschriebenen Grundstücke beider Parteien seit 35 Jahren aufrecht in Bestand. Der Ausbau der Wörthersee-Süduferstraße erfolgte 1969/70. In dieser Zeit wurden auch die Abfahrtsrampen von der Süduferstraße ("Nordweg" bzw "Südweg") errichtet. S***** nutzte in den letzten 35 Jahren ausschließlich den "Südweg", wobei er auf diesem Weg lediglich die ersten paar Meter ausschließlich mit landwirtschaftlichen Geräten nutzt und sodann nach Norden auf das Grundstück 758/11 der Kläger fährt. Eine Benützung des "Südweges" durch die Erstklägerin erfolgte auch anlässlich bestimmter Schlägerungsarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt befuhr die Erstklägerin den Weg ca 6 bis 7-mal im Jahr. Jetzt benützt sie ihn 3- bis 4-mal im Jahr. Eine weitergehende, über die getroffenen Feststellungen hinausgehende Nutzung des "Südweges" oder auch des "Nordweges" mit anderen Fahrzeugen oder durch die Kläger oder deren Rechtsvorgänger konnte nicht festgestellt werden.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht die Ersitzung einer Wegedienstbarkeit.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000,-- übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei und führte unter anderem folgendes aus:

Weder die im erstgerichtlichen Urteil getroffenen noch die mit der Berufung gewünschten Sachverhaltsfeststellungen ließen die zu einer Ersitzung der mit der Klage zur Einwilligung in die Verbücherung begehrten Geh- und Fahrrechte unabdingbar erforderliche liegenschaftsbezogene bzw (landwirtschaftlich) zweckorientierte Nutzung der hievon betroffenen Weganlagen erkennen. Abgesehen davon, dass die für das Jahr 1955 festgestellte Benützung des "Nordweges" in Form des Befahrens mit einem Fahrrad durch die Erstklägerin einerseits nichts darüber aussage, ob diese oder etwa der sie begleitende Großvater dabei die auf dem Grundstück 758/11 oder vielmehr die auf dem Grundstück 758/10 gelegene Wegfläche in Anspruch genommen habe, und andererseits zu einer Ersitzung eines Fahrrechtes mit motorisierten (vierspurigen) Fahrzeugen nicht hinreichen würde, könne aus dem festgestellten Sachverhalt eine auf die (vorteilhaftere) Bewirtschaftung des Grundstückes der Kläger gerichtete Wegenutzung ebenso wenig abgeleitet werden, wie hinsichtlich des sogenannten "Südweges" aus der hiezu in der Berufung relevierten Aussage der Zeugin Irmgard H*****, dass auch sie die diesen südlichen Weg immer wieder und schon als Kind über die gesamte Länge hin begangen bzw benützt habe. Soweit der von Irmgard H***** im Zusammenhang mit der von ihr geschilderten Wegbenützung noch getätigten Aussage, wonach sie gar nicht wisse, wie sie sonst auf das Grundstück gekommen wären, zu Gunsten des klägerischen Standpunktes zumindest ein Hinweis auf eine gewisse Notwendigkeit der Inanspruchnahme des "Südweges" zum Erreichen des Grundstückes 758/11 entnehmbar erscheine, müsse hier der Annahme einer insoweit geländebedingten und zweckbezogenen Wegnutzung für den vor die Jahre 1969/70 zurückreichenden Ersitzungszeit schon entgegenstehen, dass (auch) die für den "Südweg" von der Wörthersee-Süduferstraße aus in der Natur bestehende Zu- bzw Abfahrtsrampe nach den erstgerichtlichen Feststellungen erst im Zuge des Ausbaues dieser Straße in den Jahren 1969 und 1970 errichtet worden sei, wohingegen selbst nach der eigenen Parteienaussage der Erstklägerin die Wörthersee-Süduferstraße vor diesem Ausbau noch keinen Niveauunterschied zu den daran angrenzenden Grundstücken aufgewiesen habe.

Hinsichtlich des hier vorauszusetzenden 40-jährigen und demnach bis in das Jahr 1962 zurückreichenden Ersitzungszeitraumes und der dargelegten Gesichtspunkte ergebe sich zusammengefasst, dass die Kläger, jedenfalls für die hier maßgebliche und in die erste Hälfte der Sechzigerjahre fallende Ersitzungsanfangsphase, einen zum Erwerb der den Gegenstand der Klagsführung bildenden Geh- und Fahrrechte geeigneten Ersitzungsbesitz weder im erstinstanzlichen Verfahren nachgewiesen noch nunmehr im Rahmen der Berufung aufgezeigt hätten. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob die im Ersturteil erst für die letzten 35 Jahre festgestellte Benützung der ersten paar Meter des "Südweges" mit landwirtschaftlichen Geräten durch den Pächter des klägerischen Grundstückes in Ansehung des Umstandes, dass dieser zeitgleich jeweils auch die umliegenden und angrenzenden Grundstücke der Beklagten gepachtet gehabt habe, überhaupt die Funktion einer den nunmehrigen Klägern bzw deren Rechtsvorgängern zurechenbaren Besitzmittlerschaft zu erfüllen vermocht habe. Desgleichen brauche aus diesem Grund nicht mehr beurteilt werden, ob das bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht modifizierte Klagebegehren den in § 12 GBG für die grundbücherliche Einverleibung von Dienstbarkeiten aufgestellten Erfordernissen (möglichst bestimmte Angabe des Inhaltes und Umfanges des einzutragenden Rechtes) Rechnung trage.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen im Wesentlichen geltend, ein bestimmter liegenschaftsbezogener Nutzungszweck sei nicht Ersitzungsvoraussetzung; schon auf Grund der festgestellten Nutzung wäre der Klage stattzugeben gewesen; von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend habe das Berufungsgericht die Erledigung der Tatsachen- und Beweisrüge unterlassen.

Hiezu wurde erwogen:

Voraussetzung der Ersitzung einer Wegedienstbarkeit ist der Besitz eines Rechtes; der Besitzwille muss sich aus dem äußeren Verhalten ergeben; dem Grundeigentümer muss die Ausübung des Rechtes erkennbar sein; die Besitzausübung muss nach Inhalt und Umfang dem zu erwerbenden Recht entsprechen (RIS-Justiz RS0009762, RS0010140, RS0010145, RS0034138; M. Bydlinski in Rummel II/33 § 1460 ABGB Rz 2 mwN). Für die Ersitzung ist Besitzausübung während der gesamten Ersitzungszeit notwendig (RS0011702, RS0010336; M. Bydlinski aaO Rz 7 mwN).

Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerber ist durchaus ein bestimmter liegenschaftsbezogener Nutzungszweck erforderlich. Die Zweckorientierung der Servitut ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 473 ABGB: Die Grunddienstbarkeit muss eine vorteilhaftere oder bequemere Nutzung des herrschenden Gutes ermöglichen. Die Servitutsersitzung setzt ein solches Interesse voraus (RS0034213; M. Bydlinski aaO Rz 3 aE mwN); Zwecklosigkeit führt zum Erlöschen (RS0011582, RS0011589).

Von dieser Rechtslage ausgehend ergibt sich im vorliegenden Fall zunächst, dass eine Ersitzung eines Wegerechtes am "Nordweg" nach der bisherigen Aktenlage ausscheidet: Der Pächter der Kläger hat ihn nicht befahren; die Mutter der Erstklägerin weiß von ihm nichts; das Radfahren der Erstklägerin im Jahr 1955 (ebenso ihr nunmehriges "Kontrollieren") ist im Sinne der obigen Ausführungen unzureichend.

Der "Südweg" wurde vom Pächter der Kläger immerhin 35 Jahre einige Meter zur landwirtschaftlichen Nutzung ihres Grundstückes befahren. Der Pächter ist für Ersitzungszwecke ein tauglicher Besitzmittler (RS0034597, RS0011655; M. Bydlinski aaO Rz 3 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass er auch Pächter des dienenden Grundstückes war, weil zwischen dessen Nutzung und der Nutzung im Interesse des herrschenden Grundstückes zu unterscheiden ist. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Benutzung der (nunmehrigen) "Rampe" als Zufahrt auch zum Grundstück der Kläger für die beklagte Partei nicht erkennbar gewesen wäre.

Auf die erforderliche 40-jährige Ersitzungszeit (§ 1472 ABGB) fehlen also noch fünf Jahre. Diese Nutzungszeit könnte sich aus der Zeugenaussage der Mutter der Erstklägerin (AS 66) ergeben. Das Berufungsgericht räumt selbst ein, dass dieser Aussage ein Hinweis auf eine zweckorientierte Wegnutzung entnommen werden könnte. Wenn es ausführt, vor dem Ausbau der Wörthersee-Süduferstraße 1969/70 habe selbst nach der Aussage der Erstklägerin kein Niveauunterschied bestanden, weshalb aus der Aussage ihrer Mutter nichts zu gewinnen sei, ist zu bemerken, dass die Erstklägerin auch ausgesagt hat, den "Südweg" habe es schon vor der Aufschüttung der Süduferstraße gegeben (AS 40 und 68).

Somit erweist sich insoweit eine Erledigung der Beweisrüge der Berufung (AS 87) als unvermeidlich. Da das Berufungsgericht dies unterlassen hat, war sein Urteil aufzuheben.

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass es bei der Negativfeststellung des Erstgerichtes über eine weitergehende (über 35 Jahre hinausgehende) Nutzung des "Südweges" bleibt, wäre neuerlich mit Klagsabweisung vorzugehen. Sollte sich hingegen ergeben, dass die Ersitzungsvoraussetzungen vorliegen, wäre auf eine bestimmtere Fassung des Klagebegehrens zu dringen (etwa durch verbale Beschreibung des Wegverlaufes oder Bezugnahme auf den Plan Beil./A), was mit dem Beschluss des Erstgerichtes ON 4 und dem Schriftsatz der Kläger ON 5 bereits vorbereitet wurde. Insbesondere wäre auch die Länge des Servitutsweges ("einige Meter") zu erörtern, der sich wohl nur auf Grundstück 571/4 erstreckt (vgl Beil./A).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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