OGH 2Ob39/03d

OGH2Ob39/03d5.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 30. November 2001 verstorbenen Franz Josef S*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Testamentserben Hubert S*****, vertreten durch Dr. Brüggl & Dr. Harasser OEG, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 19. Dezember 2002, GZ 54 R 139/02s-42, womit infolge Rekurses des Testamentserben der Beschluss des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 12. August 2002, GZ 1 A 367/01f-37 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass dem Antrag des Antragstellers auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators mit dem eingeschränkten Wirkungsbereich der allfälligen Einbringung einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des zwischen dem Erblasser und Katharina M***** geschlossenen Kaufvertrages über die Liegenschaft EZ 9***** Grundbuch St. Johann oder auf Anfechtung dieses Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte stattgegeben wird.

Die Beschlussfassung über die Auswahl des Kurators bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung

Franz Josef S***** ist am 30. 11. 2001 in St. Johann verstorben. Der Erblasser hinterlässt seine Ehefrau Maria S***** sowie seine volljährigen Söhne Hubert S***** und Walter E*****. Mit schriftlichem Testament vom 1. 9. 2000 setzte er seine Söhne zu gleichen Teilen als Erben ein; seine Ehefrau Maria S***** hat er "auf den gesetzlichen Pflichtteil beschränkt". An relevantem Nachlassvermögen ist im Verlassenschaftsverfahren ein Wertpapierdepot mit einem Depotwert von EUR 140.337,60 und ein Bausparguthaben von EUR 5.171,15 hervorgekommen; weiters war der Erblasser Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 9*****, GB St. Johann, die er aber kurz vor seinem Tod am 2. 10. 2001 an Katharina M***** veräußert hat. Ein Kaufpreisrest von EUR 72.672,83 erliegt bei Gericht (1 Nc 37/01t des BG Kitzbühel).

Die Testamentserben haben am 1. 2. 2002 jeweils die bedingte Erbserklärung abgegeben. Maria S***** hat in dieser Abhandlungstagsatzung erklärt, den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Hubert S***** hat zu Protokoll gegeben, er sei der Ansicht, der Kaufvertrag des Verstorbenen betreffend seine Liegenschaft sei nicht rechtswirksam zustande gekommen; er beabsichtige, diesen Kaufvertrag anzufechten. Hingegen hat Walter E***** im Verlassenschaftsverfahren die Ansicht vertreten, der Kaufvertrag habe dem Willen des Erblassers entsprochen, weshalb er sich an einem Rechtsstreit jedenfalls nicht beteiligen werde.

In einer weiteren Abhandlungstagsatzung hat Hubert S***** knapp vor der geplanten Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens bekannt gegeben, dass er den Kaufvertrag betreffend die genannte Liegenschaft anfechten werde und demnach die Voraussetzungen für die Beendigung des Abhandlungsverfahrens noch nicht vorlägen. Er beantragte, ihm die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses gemäß den §§ 145 AußStrG, 810 ABGB einzuräumen, hilfsweise, einen Verlassenschaftskurator zu bestellen. Walter E***** hat sich gegen die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses an seinen Bruder ausgesprochen und seinerseits die Einantwortung des Nachlasses entsprechend den ausgewiesenen Erbquoten beantragt.

Mit Schreiben vom 16. 8. 2002 hat Hubert S***** die näheren Gründe seiner Anfechtungsabsicht erläutert und darauf hingewiesen, dass der Kaufvertrag vom 2. 10. 2001 der Notariatsaktsform bedurft hätte, weil der Erblasser zum Zeitpunkt seines Abschlusses "praktisch erblindet" gewesen sei. Es bestehe der begründete Verdacht, dass sein Vater massiv übervorteilt worden wäre, weshalb auch eine Anfechtung wegen laesio enormis beabsichtigt sei.

Das Erstgericht hat die von Hubert S***** gestellten Anträge zur Gänze abgewiesen und ausgeführt, dass die Übertragung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses an den Antragsteller schon in Ermangelung einer zustimmenden Erklärung seines Bruders nicht möglich sei; die Bestellung eines Nachlasskurators scheide aus, weil die vom Erblasser am 2. 10. 2001 verkaufte Liegenschaft nicht in den Nachlasse falle und in diesem Umfang eine Verwaltung von "Nachlassvermögen" begrifflich nicht erfolgen könne. Die Voraussetzungen zur Beendigung des Abhandlungsverfahrens lägen vor; es bleibe dem Antragsteller unbenommen, seinen Ansprüchen nach Einantwortung zum Durchbruch zu verhelfen.

Das vom Testamentserben Hubert S***** angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Es teilte zunächst die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, bei Vorhandensein von mehreren Miterben gebühre ihnen das Recht der Besorgung und Verwaltung der Verlassenschaft im Regelfall zur ungeteilten Hand (RZ 1973, 15); die Überlassung an einen von mehreren Erben sei nur dann zulässig, wenn die anderen zustimmten (RZ 1935, 234).

Zwar könne zur Geltendmachung eines allfälligen Anfechtungsanspruches durch den Nachlass ein Verlassenschaftskurator mit dem eingeschränkten Wirkungskreis der allfälligen Anfechtung des vom Erblasser geschlossenen Kaufvertrages bestellt werden, doch sei dies hier nach pflichtgemäßem Ermessen nicht geboten. Hier könne nämlich von einer Vorgangsweise nach § 72 Abs 1 AußStrG keine Rede sein, weil doch erhebliches Nachlassvermögen bestehe und eine Einantwortung jedenfalls möglich sei. Mit der Einantwortung seien die Wirkungen der Universalsukzession verbunden, wodurch der Erbe in die rechtliche Stellung des Erblassers eintrete und mehrere Erben Miteigentümer der Nachlasssachen nach dem Verhältnis ihrer Erbteile würden. Forderungen des Erblassers zerfielen bei Teilbarkeit in Teilforderungen der Erben, während die Miterben bei Unteilbarkeit Gesamthandgläubiger würden. Bei Unteilbarkeit der Leistung habe auf Gläubigerseite jeder Beteiligte in den Grenzen des § 890 ABGB die Einzelprozesslegitimation; sollte es sich dabei um Leistungen handeln, die ihrer Natur nach alle Mitgläubiger befriedigten, sei jeder einzelne Gläubiger sogar ohne Sicherstellung zur Klage legitimiert. Die unterbliebene Bestellung eines Verlassenschaftskurators begründe daher keine Rechtsverweigerung, weil den Miterben Möglichkeiten zur Verfügung stünden, allfälligen Ansprüchen zum Durchbruch zu verhelfen. Insgesamt scheine die Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht gerechtfertigt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei unzulässig, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfragen zu beurteilen wären.

Im außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob ein Testamentserbe nach Einantwortung alleine und gegen den erklärten Willen eines weiteren Testamentserben einen Anfechtungsanspruch geltend machen könne. Der Testamentserbe sei ohne Zustimmung des Bruders nicht berechtigt, den abgeschlossenen Kaufvertrag alleine anzufechten; dies ergebe sich daraus, dass im Falle des Obsiegens die Liegenschaft zurückzustellen und auch der Kaufpreisrest zurückzuzahlen wäre. Wenn sich der andere Testamentserbe, dem nach Einantwortung der halbe Kaufpreisrest auszufolgen sei, weigere, der Rückzahlung zuzustimmen, wäre eine Rückabwicklung kaum denkbar. Beantragt werde daher primär die Bestellung eines Verlassenschaftskurators, in eventu die Übertragung der Besorgung und Verwaltung der Liegenschaft an den Antragsteller.

Der weitere Testamentserbe Walter E***** beantragt in der ihm freigestellten Äußerung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 78 AußStrG ist zur Verwaltung von Verlassenschaften, deren Erben gänzlich unbekannt sind, oder die, obgleich sie bekannt sind, von ihrem Erbrecht ungeachtet der Verständigung keinen Gebrauch machen, ein Kurator zu bestellen, worüber das Nähere in den §§ 128 und 129 AußStrG bestimmt wird. Ein Verlassenschaftskurator ist aber - über ein enges Verständnis des Wortlautes des § 78 AußStrG hinaus - nicht nur dann zu bestellen, wenn die Erben "gänzlich unbekannt sind" oder wenn sie keine Erbserklärungen abgeben, sondern auch dann, wenn widersprechende Erbserklärungen abgegeben wurden, weil in diesem Fall keinem der erbserklärten Erben die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses (§ 145 AußStrG) übertragen werden kann. Zur Vertretung des Nachlasses, sei es für laufende Verwaltungsgeschäfte oder für Prozesse, muss dann ein Verlassenschaftskurator bestellt werden, weil noch nicht feststeht, wer letzten Endes berechtigt ist, den Nachlass zu vertreten. Der Verlassenschaftskurator ist nicht Vertreter von Beteiligten im Abhandlungsverfahren, sondern der vom Gericht bestellte Vermögensverwalter und Vertreter des ruhenden Nachlasses. Er vertritt nicht die Erben und hat insbesondere auch nicht die Interessen einzelner oder aller erbserklärter Erben zu wahren (4 Ob 501/92 mwN). Der Verlassenschaftskurator hat die Pflicht, die Interessen der Verlassenschaft wahrzunehmen und ist nach Einantwortung zu entheben (4 Ob 231/02b; RIS-Justiz RS0117034).

Nach ständiger Rechtsprechung ist zur Anfechtung eines von einem handlungsunfähigen Erblasser abgeschlossenen Vertrages nach seinem Tod nur seine Verlassenschaft, vertreten durch einen Kurator, legitimiert (NZ 1971, 45; EvBl 1975/111; 4 Ob 501/92; 4 Ob 227/01p). Der Anspruch auf Anfechtung eines vom Erblasser geschlossenen Kaufvertrages ist ein vom Vermögen der Erben verschiedener Anspruch des ruhenden Nachlasses (4 Ob 501/92 mwN). Dasselbe muss auch gelten, wenn der Erblasser vor seinem Ableben einen formungültigen Vertrag abgeschlossen hat (§ 886 ABGB hier iVm § 1 Abs 1 lit e NZwG) oder wenn es um einen Anfechtungsanspruch wegen Verletzung über die Hälfte geht.

Ob die Kuratorbestellung wegen bestimmter Vertretungshandlungen erforderlich ist, entscheidet das Verlassenschaftsgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist nicht auf das Interesse einzelner Erbansprecher, sondern auf das objektive Interesse des ruhenden Nachlasses abzustellen, der vor der Einantwortung noch nicht Vermögen der Erben ist. Besteht die Gefahr, dass der Anspruch des ruhenden Nachlasses später nicht mehr durchgesetzt werden kann, dann ist die Bestellung eines Verlassenschaftskurators zur Durchsetzung eines Anfechtungsanspruches zweckmäßig (4 Ob 501/92). Eine solche besteht hier, weil die (rechtzeitige) Durchsetzung der dem eingeschränkten Wirkungskreis des Kurators übertragenen Ansprüche ohne die Kuratorbestellung durch das Verhalten des anderen Testamentserben erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werden könnte.

Die Kuratorbestellung ist daher nach pflichtgemäßem Ermessen geboten. Die Auswahl des Kurators bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Da der Antrag auf Übertragung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses an den Antragsteller nur hilfsweise für den Fall der Verneinung des Hauptanspruches gestellt wurde, und der Hauptanspruch auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators bejaht wurde, musste über den weiteren Antrag nicht mehr abgesprochen werden. Die Übertragung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses durch einen Erben gegen den Willen des anderen Erben wäre allerdings nicht in Frage gekommen.

Stichworte