OGH 11Os60/04

OGH11Os60/0427.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juli 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Finster als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christine M***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB über den Antrag des Generalprokurators auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens AZ 502 Hv 4/02i des Landesgerichtes Korneuburg in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Strafverfahren gegen Christine M*****, AZ 502 Hv 4/02i des Landesgerichtes Korneuburg, wird die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt. Die Urteile des Landesgerichtes Korneuburg vom 28. Jänner 2002, GZ 502 Hv 4/02i-9, und des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Mai 2002, AZ 23 Bs 106/02 (GZ 502 Hv 4/02i-15 des Landesgerichtes Korneuburg), werden aufgehoben und die Strafsache an das Landesgerichtes Korneuburg zur Durchführung der Voruntersuchung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Korneuburg vom 28. Jänner 2002, GZ 502 Hv 4/02i-9, wurde Christine M***** des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihrer Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 16. Mai 2002 (AZ 23 Bs 106/02 = ON 15) ohne Wiederholung oder Ergänzung des Beweisverfahrens nicht Folge.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen erkundigte sich Christine M***** am 18. Dezember 2001 telefonisch bei der Stationskontrolle der Austrian Airlines am Flughafen Wien-Schwechat nach der Ankunftszeit einer Maschine aus London, weil sie ihre Tochter erwartete. Die Fluglinienangestellte Martina D***** teilte mit, dass zwei Flugzeuge mit unterschiedlichen Ankunftszeiten in Betracht kommen könnten und datenschutzrechtliche Gründe eine Auskunft über die Ankunftszeit bestimmter Passagiere nicht zuließen. Im weiteren Gesprächsverlauf äußerte die verärgerte Christine M*****: "Sie (gemeint: ihre Tochter Veronika M*****) könnte eine Bombe an Bord haben. Es gibt ja keinen Sicherheitscheck." Sie versuchte ferner, die begehrte Auskunft indirekt durch die Frage zu erhalten, in welchem Flugzeug eine Schülergruppe sei. Als ihr auch diese Mitteilung verweigert wurde, sagte Elisabeth M***** gereizt und in schärferem Tonfall: "... und jetzt sage ich Ihnen, meine Tochter ist von der Al Kaida." Mit dieser Äußerung beendete sie sofort das Gespräch, welches ungefähr 5 Minuten gedauert hatte.

Der Einzelrichter gelangte zur Auffassung, dass die Verurteilte mit den wörtlich wiedergegebenen Äußerungen die AUA-Angestellte gefährlich mit dem Tod und einer Gefährdung der Crew und der Passagiere der AUA-Maschine durch Sprengmittel bedrohen wollte und es ihr darauf angekommen sei, die Angestellte dadurch in Furcht und Unruhe zu versetzen. Es sei ihr auch darauf angekommen, dass sich die Vorstellung vom Herannahen des angedrohten Übels, nämlich dem Tod und einer Gefährdung dieser Personengruppe durch Sprengmittel, der Bedrohten so vollständig bevollmächtigen solle, dass dies all ihre Gedanken beherrschen und ihre ganze Aufmerksamkeit nach diesem Übel hingerichtet werden solle. Dabei habe sie bei der Drohung durch ihr behauptetes Naheverhältnis (Mutter eines mit einer Bombe ausgestatteten Al Kaida-Mitgliedes) den Eindruck erweckt, der Eintritt des Übels, nämlich des Todes der Flugzeuginsassen und deren Gefährdung durch Sprengmittel, sei von ihrem Willen abhängig, wobei eine Kontaktaufnahme mittels Mobiltelefon jedenfalls nicht auszuschließen gewesen sei. Der Eindruck der Realisierbarkeit des angedrohten Übels sei - von der Angeklagten gewolltermaßen - gegeben gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsachenannahmen, dass die Verurteilte einerseits mit ihren Äußerungen ein von ihrem Willen abhängiges Attentat angekündigt habe und andererseits überhaupt einen solchen Bedeutungsinhalt auch habe ausdrücken wollen, ergeben sich, wie der Generalprokurator in seinem deshalb eingebrachten Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO zutreffend aufzeigt, erhebliche Bedenken:

Zur Rechtslage:

Die Annahme einer gefährlichen Drohung im Sinn der Legaldefinition des § 74 Z 5 StGB setzt voraus, dass der Täter ein Übel, nämlich eine Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen, ankündigt, auf dessen Eintritt er selbst (allenfalls über Dritte) Einfluss hat oder zu haben vorgibt (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 RN 31 mwN), und welches zudem geeignet ist, dem Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse der Realisierung dieses Übels einzuflößen.

Unabdingbare Voraussetzung in allen Definitionen der Drohung ist das vom Täter - zumindest scheinbar - zu beeinflussende Ereignis. Damit unterfallen Äußerungen, die diesem Kriterium nicht entsprechen, nämlich nicht vom Drohenden beeinflussbare Ereignisse, als bloße Warnungen nicht dem strafrechtlichen Drohbegriff (Maurach-Schroeder-Maiwald, Strafrecht BT I9 § 13 Rz 24). Das Überbringen sogenannter (wahrheitswidriger) Schreckensbotschaften scheidet sowohl unter dem Aspekt der Zukünftigkeit aber auch der Ingerenzmöglichkeit grundsätzlich als Tathandlung aus (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 RN 31, 2. Absatz). Auch das bloße Versetzen eines plötzlichen, aber kurzfristigen "Schreckens" entbehrt im Allgemeinen dem Erfordernis der Zukünftigkeit eines Ereignisses, es sei denn, dass damit zugleich auch eine (darin gelegene) Drohung verbunden ist, also die Ankündigung eines bevorstehenden Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt (10 Os 175/81 = EvBl 1982/108).

Lediglich unter dem Blickwinkel einer schlüssigen Erklärung über zukünftig herbeizuführende Übel kann daher Einschüchterungen, Warnungen oder Schreckensbotschaften ein tatbildlicher Erklärungswert dann beizumessen sein, wenn sich hinter solchen Äußerungen eine Drohung "versteckt" (vgl Maurach-Schroeder-Maiwald, Strafrecht BT I9 § 13 Rz 24).

Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Feststellung des Sinns oder des Bedeutungsinhaltes einer Äußerung eine solche tatsächlicher Natur (Jerabek in WK² § 74 Rz 34), während die Besorgniseignung als Rechtsfrage zu lösen ist. Welche von mehreren nach dem Sprachgebrauch, nach den Gewohnheiten und nach dem Bildungsgrad des sich Äußernden, sowie nach den Begleitumständen in Betracht kommenden Bedeutungen einer Äußerung zukommt, hat somit das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung festzustellen (SSt 37/39).

Zur Tatsachenebene:

Gemäß den vom Erstgericht für glaubhaft befundenen und für die Sachverhaltsfeststellung herangezogenen Angaben der Äußerungsempfängerin Martina D***** - die sich auf ein unmittelbar nach dem Vorgang angefertigtes Gedächtnisprotokoll (S 31) zu stützen vermochte - reagierte die Verurteilte auf die Auskunftsverweigerung über die Ankunftszeit ihrer Tochter verärgert, bezeichnete die Sicherheitsstandards als "nicht sehr gut" und sagte dann, dass ihre "Tochter eine Bombe im Gepäck haben" könnte. Sie versuchte ferner, die Fluglinienangestellte zur Auskunftserteilung zu überreden und wenigstens einen Tipp zu bekommen, in welcher Maschine eine Schülergruppe sei. Als auch dieses Ansinnen verweigert wurde, sagte die Verurteilte "Ich sage Ihnen jetzt was, meine Tochter ist von der Al Kaida" und beendete sogleich das Telefonat.

Ob diese Beweisumstände allenfalls im Lichte der vom Einzelrichter prinzipiell zu Recht in den Urteilserwägungen angesprochenen zeitlichen Nähe des Vorfalls zu den bekannten Anschlägen am 11. September 2001 in den USA eine logisch und empirisch einwandfreie Ableitung der Annahme zulassen, die Verurteilte habe eine Bedrohung der Insassen eines bestimmten Flugzeuges - nämlich jener Maschine, in der sich ihre 14-jährige Tochter befand, deren Ankunftszeit ihr nicht mitgeteilt wurde - mit Gefährdung durch Sprengmittel und mit Mord ausgedrückt, mag dahinstehen. Für die Annahme, die Verurteilte habe objektiv den Eindruck erweckt, die Verübung des Attentats sei von ihrem Willen abhängig, bieten die Verfahrensergebnisse jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ebenso wenig fundiert ist die Feststellung, dass die Verurteilte in subjektiver Beziehung einen derartigen Eindruck erwecken wollte, wobei nicht übersehen werden kann, dass deklarierte Unwissenheit über den Flugplan und die behauptete Unmöglichkeit einer Kontaktaufnahme mit der Tochter gegen die Zielsetzung spricht, eine Attentatsingerenz vorzutäuschen. Es besteht keine nachvollziehbare Grundlage für die Annahme, der Bedeutungsinhalt der Wortfolge "meine Tochter ist von der Al Kaida" - und zwar selbst nicht im Zusammenhang mit der zuvor in Hinblick auf Sicherheitsstandards getätigten Äußerung, diese könnte "eine Bombe an Bord" haben - sei eine gefährliche Drohung (§ 74 [Abs 1] Z 5 StGB) mit dem Tode oder der Gefährdung durch Sprengmittel, weil dieser Äußerung - soweit sie nicht als bloße Unmutsäußerung zu qualifizieren wäre - kein künftiges, sondern vielmehr ein bereits eingeleitetes Übel inhärent ist. Die weitere Annahme, Christine Elisabeth M***** könnte über ein Mobiltelefon mit ihrer an Bord einer der fraglichen Maschinen der AUA befindlichen Tochter überhaupt in Kontakt treten, findet in der Aktenlage keinerlei Deckung.

Die vom Schöffengericht zum objektiven und subjektiven Sachverhaltselement des vorgegebenen Einflusses der Verurteilten auf ein angedrohtes Bombenattentat angestellte Erwägung, "eine Kontaktaufnahme mittels Handy" sei jedenfalls nicht auszuschließen gewesen, hat rein spekulativen Charakter und wird durch die handschriftlichen Aufzeichnungen der Zeugin Martina D***** (S 31) in einer erörterungsbedürftigen Weise in Zweifel gezogen. Dieses Gedächtnisprotokoll weist nicht nur darauf hin, dass die Verurteilte gleich von Anfang an auf ihre 14-jährige Tochter als Mitglied einer Schülergruppe Bezug nahm, sondern im weiteren Gesprächsverlauf sogar die fehlende Kontaktmöglichkeit mit ihrer Tochter argumentativ für ihr Auskunftsverlangen einsetzte ("Handy abgedreht an Bord - warum?"). Anhaltspunkte, die nur im entferntesten auf die Möglichkeit hindeuten, es könnte sich bei der Tochter der Angeklagten um eine Selbstmordattentäterin handeln, fehlen zudem zur Gänze. Die damit aufgezeigten erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Urteilsannahme des Bedeutungsinhaltes unter Einschluss der Ernstlichkeit der festgestellten Erklärung und einer für Dritte nachvollziehbaren Ingerenzmöglichkeit in Bezug auf ein drohendes Übel führen zur Anordnung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten der Angeklagten im außerordentlichen Weg, um die auf anderem Weg nicht mehr behebbare (Ratz in WK-StPO § 362 Rz 12 f, insbes Rz 17) Benachteiligung der Verurteilten durch Aufhebung der Entscheidungen des Erst- und Rechtsmittelgerichtes sowie Zurückverweisung der Strafsache in den Stand der Voruntersuchung zu beseitigen. Im wiederaufgenommenen Verfahren wird die Tat der Beschuldigten auch unter den Gesichtspunkten der Täuschung nach § 108 StGB und der Verleumdung nach § 297 StGB zu prüfen sein.

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