OGH 14Os66/04

OGH14Os66/0422.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Paul S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die vom Generalprokurator gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 11. September 2001, GZ 3 U 35/01p-11, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten DI Walter Ü***** und seines Verteidigers Dr. Pohle zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren 3 U 35/01p des Bezirksgerichtes Krems an der Donau verletzt die gesonderte Ausfertigung des Urteils vom 11. September 2001 hinsichtlich DI Walter Ü***** in gekürzter Form (ON 11) § 458 Abs 3 StPO.

Dieses Urteil wird betreffend DI Walter Ü***** aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Krems an der Donau verwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 3 U 35/01p des Bezirksgerichtes Krems an der Donau legte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau mit Anträgen auf Bestrafung vom 31. Mai 2001 Paul S***** (ON 7) und DI Walter Ü***** (ON 8) - jeweils die als unmittelbare Täter bei einem gemeinsamen Verkehrsunfall begangenen - Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zur Last. In der Hauptverhandlung am 11. September 2001, bei welcher DI Walter Ü***** durch einen Verteidiger vertreten war, erging ein Schuldspruch gegen beide Beschuldigte (S 115). Paul S*****, welchem die Verletzung seiner Beifahrerin Eva Maria S***** aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall angelastet wurde, meldete sogleich "Berufung" an (S 117). DI Walter Ü***** ließ seine Verurteilung durch Verstreichenlassen der (vorbehaltenen) 3-tägigen Anmeldungsfrist in Rechtskraft erwachsen.

Der Bezirksrichter fertigte hierauf das Urteil hinsichtlich DI Walter Ü***** gesondert in gekürzter Form aus (ON 11). Nach dem Tenor habe er beim Linksabbiegen den überholenden Pkw-Lenker Paul S***** übersehen, wodurch es zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge kam und Paul S***** schwer sowie (dessen Beifahrerin) Eva Maria S***** "leicht" (mit dem Beisatz: "jedoch eine über 24 Tage Gesundheitsschädigung") verletzt wurden.

DI Walter Ü***** wurde zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je ATS 1.200 ("sohin insgesamt ATS 60.000"), für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 1 StGB "die Geldstrafe im Betrag von ATS 40.000" - ohne Bestimmung einer Probezeit - bedingt nachgesehen wurde. Mit Beschluss, datiert mit 11. September 2001, "berichtigte" der Richter den Urteilsspruch dahin, dass die Geldstrafe "hinsichtlich eines Betrages von ATS 40.800, das sind 34 Tagessätze á ATS 1.200 unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen" werde (ON 12).

Das Landesgericht Krems an der Donau gab der Berufung des Paul S***** wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) mit Urteil vom 18. Juni 2002, AZ 11 Bl 13/02 (= ON 27) Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. In einem von diesem Gericht eingeholten Gutachten führte der medizinische Sachverständige OA Dr. Carl St***** nämlich aus, dass bei der zum Zeitpunkt des Unfalls bereits in Pension befindlichen Eva Maria S***** nach der Ambulanzkarte und dem berichteten Beschwerdebild eine traumatisch bedingte Gesundheitsschädgung im Sinne einer erheblichen Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes von "über drei Tagen" nicht ableitbar sei (ON 30). Infolge Rücktritts der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau von der Anklage wurde daraufhin das Verfahren gegen Paul S***** gemäß § 227 Abs 1 (§ 447) StPO eingestellt (S 1e).

Rechtliche Beurteilung

Die Abfassung einer gesonderten Urteilsausfertigung betreffend den Beschuldigten DI Walter Ü***** in gekürzter Form steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Wird der Beschuldigte freigesprochen oder nach einem umfassenden und durch die übrigen Ergebnisse der Verhandlung unterstützenden Geständnis verurteilt oder wird die aus mehreren Punkten bestehende Anklage teils auf die eine, teils auf die andere Art erledigt und verzichten in allen diesen Fällen die Parteien auf alle Rechtsmittel oder melden sie innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel an, so kann das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt werden (§ 458 Abs 3 StPO). Liegen bezüglich eines Endurteils über mehrere Personen (§ 56 Abs 1 StPO) auch nur bei einer die genannten Voraussetzungen nicht vor, so ist die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form unzulässig (Rainer, WK-StPO § 458 Rz 9 f; Fabrizy StPO9 § 458 Rz 1; SSt 62/118).

Aufgrund der rechtzeitigen Berufungsanmeldung des Mitbeschuldigten war demnach eine gesonderte Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form hinsichtlich DI Walter Ü***** nicht zulässig.

Dem Landesgericht Krems an der Donau als Berufungsgericht, welches dem Rechtsmittel (nur) zugunsten des Beschuldigten Paul S***** stattgab (ON 27), war angesichts der gekürzten Urteilsausfertigung die amtswegige Wahrnehmung allfälliger Begründungsmängel im Rahmen des beneficiums cohaesionis (§ 477 Abs 1 zweiter Satz StPO) hinsichtlich der Urteilsfehler, die konkret als Grundlage für eine Verfügung zugunsten eines Mitangeklagten dienten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 416; Fabrizy StPO9 § 477 Rz 2), und ebenso die Prüfung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO zugunsten des DI Walter Ü***** verwehrt.

Somit kann sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, weshalb das ihn betreffende Urteil aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 292 letzter Satz StPO).

In Hinblick auf die damit erforderliche Neudurchführung des Verfahrens sei angemerkt, dass der Ausspruch über die bedingte Nachsicht eines Teiles der Geldstrafe - wie auch der Begründung des nachfolgenden "Berichtigungsbeschlusses" zu entnehmen ist (S 143) - das Wesen des Tagessatzsystems verkennt, welches nicht nur die Ausmessung der Strafe, sondern auch den vorläufigen Aufschub des Vollzuges derselben determiniert. Die bedingte Nachsicht eines Teiles der über DI Walter Ü***** verhängten Strafe (§ 43a Abs 1 StGB) wurde überdies ohne Festsetzung einer Probezeit und damit ohne Angabe eines Endzeitpunktes (der Bewährung) ausgesprochen, obwohl das Gesetz insoweit zwingend eine Probezeit von mindestens einem und höchstens drei Jahren vorsieht (§ 43 Abs 1 StGB). Einer - wie vorliegend - in Rechtskraft erwachsenen bedingten Nachsicht ohne Bestimmung einer Probezeit kommt jedoch die Wirkung einer endgültigen Nachsicht zu (Jerabek in WK2 § 43 Rz 26). Die nachträgliche (beschlussmäßige) "Berichtigung" des (gemäß § 260 Abs 1 Z 3 StPO bei sonstiger Nichtigkeit im Urteilsspruch festzusetzenden) bedingt nachgesehenen Teils der Geldstrafe verstieß als in der Prozessordnung nicht vorgesehene - weil außerhalb des Rahmens des § 270 Abs 3 erster Satz StPO liegende - Abänderung eines bereits rechtskräftigen Urteils (im Strafausspruch) gegen den sich aus den Bestimmungen des XX. Hauptstücks der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

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