OGH 13Os48/04

OGH13Os48/0416.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Kirchbacher und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart des Richters Mag. Redl als Schriftführer in der Strafsache gegen Mag. Reinhard E***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 16. Dezember 2003, GZ 28 Hv 176/03f-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. Reinhard E***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 10. September 2002 in E***** als Bürgermeister der Gemeinde E*****, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, den Gemeindebürger Hubert G***** in seinem Recht auf Erlassung rechtmäßiger Rückstandsausweise zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er mit Rückstandsausweis vom 10. September 2002 unter dem Titel „Entsorgung Sperrmüll" dem Hubert G***** auch die der Gemeinde E***** als Klägerin im Verfahren 17 Cg 221/00t des Landesgerichtes Innsbruck aufgelaufenen Prozesskosten vorschrieb.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Schuldspruch aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. Den Feststellungen zufolge ist der Angeklagte selbständiger Steuerberater und Bürgermeister der Gemeinde E*****. Mit von ihm als Bürgermeister unterfertigtem Bescheid vom 10. Dezember 1998 wurde Hubert G***** verpflichtet, auf dessen Grundstücken in E***** gelagerte Autowracks, Metallteile, Bauteile und Gerümpel bei sonstiger Ersatzvornahme zu entfernen. Weil dies nicht geschah, veranlasste der Angeklagte die zwangsweise Räumung im Zuge behördlicher Ersatzvornahme durch ein Entsorgungsunternehmen. Hubert G***** erhielt Rechnungen über die Kosten der Aufräumarbeiten, die er nicht beglich.

Daraufhin stellte der Angeklagte am 8. Mai 2000 einen Rückstandsausweis mit Vollstreckbarkeitsbestätigung über 141.872,40 S unter dem Titel „Aufräumarbeiten" aus. Auf Grund dessen beantragte die Gemeinde E***** beim Bezirksgericht Reutte die Zwangsvollstreckung, welche bewilligt wurde. Einem dagegen von G***** erhobenen Rekurs wurde stattgegeben, weil kein dem § 1 Z 13 EO entsprechender Exekutionstitel vorliege. Nach Ansicht des Rekursgerichtes seien Forderungen wegen „Aufräumarbeiten" privatrechtlicher Natur und könnten daher nicht mittels Rückstandsausweises eingebracht werden.

Die Gemeinde E*****, vertreten durch den Angeklagten als Bürgermeister, erhob deshalb Klage wegen derselben Forderung, die mittels Rückstandsausweises nicht einbringlich gemacht werden konnte, beim Landesgericht Innsbruck (AZ 7 Cg 221/00t). Die Klage wurde mit Urteil vom 11. Juli 2001 zurückgewiesen, weil die Gemeinde nicht als Träger von Privatrechten tätig geworden sei und daher Unzulässigkeit des Rechtsweges vorliege. Aus diesem Grund wurde die Gemeinde E***** zum Kostenersatz verpflichtet. Die dagegen von der Gemeinde ergriffenen Rechtsmittel wurden vom Oberlandesgericht Innsbruck und vom Obersten Gerichtshof (3 Ob 28/02t) verworfen. In der Folge bezahlte die Gemeine E***** Prozesskosten von 3.398,73 Euro an den Vertreter des Hubert G*****.

Am 10. September 2002 stellte die Gemeinde E*****, wieder vertreten durch den Angeklagten als Bürgermeister, erneut einen Rückstandsausweis zu Lasten des Hubert G***** aus, und zwar über 19.491,90 Euro unter der Bezeichnung „Entsorgung Sperrmüll". Dieser nicht näher detaillierte Rückstandsausweis umfasste dieselben Positionen wie der Rückstandsausweis vom 8. Mai 2000 und zudem die gesamten im Verfahren AZ 7 Cg 221/00t des Landesgerichtes Innsbruck entstandenen Prozesskosten.

Im September 2002 beantragte die Gemeinde E***** gegen Hubert G***** Forderungsexekution zur Hereinbringung des im Rückstandsausweis genannten Betrages. Die Exekution wurde bewilligt, der dagegen von G***** erhobenen Rekurs hatte keinen Erfolg.

Den Feststellungen nach schuf der Angeklagte durch den Rückstandsausweis einen Exekutionstitel, aus dem die Gemeinde die eigenen und die an den Rechtsvertreter des Hubert G***** geleisteten Kosten des Zivilverfahrens einbringlich machen wollte. Er „versuchte somit", wie es im Urteil wörtlich heißt, „sämtliche im Zivilrechtsstreit vor dem Landesgericht Innsbruck aufgelaufenen Kosten der Klagsführung gegen Hubert G***** nach dessen Obsiegen im Wege der Vorschreibung mittels Rückstandsausweises einbringlich zu machen. Er wusste, dass ein Rückstandsausweis zur Hereinbringung vollstreckbarer Abgabenverbindlichkeiten erlassen werden kann, aber auch, dass in einen Rückstandsausweis nicht Kosten eines von der Gemeinde verlorenen Prozesses aufgenommen werden können. Durch diese Vorgangsweise wurde Hubert G***** in seinem Recht auf Erlassung rechtmäßiger Rückstandsausweise geschädigt, was der Angeklagte bedachte, sich jedoch damit abfand" (US 3 bis 6).

Zur inneren Tatseite führte das Erstgericht in der Beweiswürdigung aus, dass der Angeklagte in seinem Hauptberuf Steuerberater sei, ein betriebswirtschaftliches Studium abgeschlossen habe und „deshalb keineswegs als rechtsunkundig, sondern als rechtskundig anzusehen" sei. Sowohl für seine berufliche Tätigkeit als Steuerberater als auch als Bürgermeister seien „Kenntnisse des Abgabenrechts notwendig", welches unter anderem auch das Wesen eines Rückstandsausweises zum Gegenstand habe. Die Rechtsnatur eines Rückstandsausweises sowie dessen Zweck und dessen Inhaltserfordernisse seien dem Angeklagten „daher vertraut" gewesen (US 7).

Darüber hinaus sei die Gemeinde E***** im erwähnten Zivilverfahren durchgehend rechtsfreundlich vertreten gewesen, „woraus der Schöffensenat den Schluss gezogen hat, dass der Angeklagte, wenn schon nicht aus eigenem Wissen, so doch auch vom damaligen Rechtsvertreter und nunmehrigen Verteidiger über die Tragung der Prozesskosten aufgrund des von der Gemeinde E***** verlorenen Prozesses aufgeklärt wurde. Nach Ansicht des Schöffengerichtes bedürfe es „weder eines rechtswissenschaftlichen Studiums noch besonderer abgabenrechtlicher Kenntnisse, um zu wissen, dass ein Rückstandsausweis jedenfalls nicht zur Hereinbringung der Rechtsanwaltskosten eines verlorenen Prozesses dienen und als solcher erlassen werden kann" (US 7 f).

Offenbar sei es dem Angeklagten als durchaus besorgtem Bürgermeister der Gemeinde E***** darum gegangen, von einem Gemeindebürger, mit dem die Gemeinde nicht unerhebliche Schwierigkeiten habe, nicht nur die durch die Ersatzvornahme der Gemeinde entstandenen Kosten, sondern auch die Kosten eines verlorenen Prozesses zurück zu holen. Der Schöffensenat sei „auf Grund des persönlichen Eindruckes des Angeklagten und der von ihm eingehaltenen Vorgangsweise bei Erlassung des Rückstandsausweises vom 10. August 2002" davon ausgegangen, dass dieser seine Stellung als Bürgermeister bewusst missbräuchlich bei Erlassung des Rückstandsausweises verwendete, um auf diese ungesetzliche Weise von Hubert G***** auch die Kosten des verlorenen Prozesses hereinzubringen (US 8).

Mit diesen Erwägungen wurde die Feststellung des Wissens des Angeklagten vom Befugnismissbrauch nur offenbar unzureichend begründet, wie der Beschwerdeführer zutreffend rügt (Z 5 vierter Fall). Die im Urteil genannten, vorstehend wiedergegebenen Prämissen allein lassen noch nicht den Schluss zu, dass sich der Angeklagte bei der Ausstellung des Rückstandsausweises (nach § 177 der Tiroler Abgabenordnung) der Unrichtigkeit seines Verhaltens gewiss (§ 5 Abs 3 StGB) war (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444 bis 446, 448). Im zweiten Rechtsgang wird dabei zu berücksichtigen sein, dass der aus der Annahme einer aus der Absolvierung eines betriebswirtschaftlichen Studiums gefolgerten Rechtskundigkeit gezogene Schluss auf das Wissen des Angeklagten um die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Erlassung eines Rückstandsausweises nach denklogischen Gesichtspunkten nur unter der - weder notorischen noch sich aus allgemeinen Erfahrungssätzen ergebenden, somit begründungsbedürftigen - Prämisse zulässig ist, dass Gegenstand dieses Studiums die Vermittlung von Kenntnissen gerade jenes spezifischen Teils des Abgabenrechtes ist. Auch die Ableitung jenes Wissens aus der Erwägung einer Notwendigkeit entsprechender Kenntnisse des Abgabenrechtes für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit als Steuerberater und als Bürgermeister ist (als Schluss von einer Anforderung auf eine tatsächliche Gegebenheit) nicht tragfähig, weil daraus denkgesetzlich (allenfalls) eine fahrlässige Unkenntnis, nicht aber ein positives Wissen gefolgert werden kann. Mit dem Argument, für ein Wissen um die Unzulässigkeit der Erlassung eines Rückstandsausweises zur Hereinbringung der Verfahrenskosten eines "verlorenen" Zivilprozesses bedürfe es weder eines rechtswissenschaftlichen Studiums noch besonderer abgabenrechtlicher Kenntnisse, wird ein derartiges Allgemeinwissen als - mit den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens nicht ohne weiteres vereinbare - Erfahrungstatsache ohne erforderliche Begründung bloß behauptet (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 157), wobei überdies damit unerörtert bleibt, dass der Angeklagte nach seiner Verantwortung die Geltendmachung jener - somit vom Verwaltungsverfahren nicht isoliert gesehenen - Prozesskosten (der zivilrechtlichen Hereinbringung der Kosten der Ersatzvornahme) als "Folgekosten" der Nichtbefolgung des Räumungsbescheides für zulässig erachtet hat. Auch die bloße Heranziehung des persönlichen Eindruckes des Angeklagten in der Hauptverhandlung vermag mangels jeglicher Darlegung dafür ausschlaggebender konkreter Verhaltenskomponenten die Feststellungen zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauches nicht tragfähig zu begründen. Dass schließlich auch den Feststellungen zum bedingten Schädigungsvorsatz, wozu das Schöffengericht bloß ausgeführt hat, "es liege auf der Hand und bedürfte wohl keiner näheren Begründung", dass dem Angeklagten bekannt und bewusst gewesen sei, Gemeindebürgern nur vollstreckbare Abgabenschuldigkeiten mittels Rückstandsausweises nach der Tiroler Landesabgabenordnung vorschreiben zu können, ein Begründungsmangel anhaftet, bedarf keiner näheren Erörterung. Der demnach vorliegende Begründungsmangel zwang - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zur Aufhebung des Urteils und zur Anordnung der Verfahrenserneuerung (§ 285e StPO).

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