OGH 2Ob123/04h

OGH2Ob123/04h4.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Alexander I*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Ing. Walter H*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Pitkowitz und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Mag. Eva B*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wegen Zahlung von EUR 10.552,33 sA und Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2004, GZ 3 R 193/03d-46, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Weiz vom 25. August 2003, GZ 3 C 5/02t-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Gemeinschuldner ist Eigentümer einer Liegenschaft, auf welcher sich das Schloss K***** befindet. Am 20. 11. 1997 hat er mit seiner Tochter, der Beklagten, einen unbefristeten, mit 1. 11. 1997 beginnenden Mietvertrag über ein in diesem Schloss gelegenes Bestandobjekt geschlossen. Der monatliche Mietzins betrug 3.000 S zuzüglich Umsatzsteuer. Die Beklagte hat Investitionen in der Höhe von 742.557 S gemacht. Vor Unterzeichnung des schriftlichen Mietvertrages sind der Gemeinschuldner und die Beklagte übereingekommen, dass die Beklagte das Bestandobjekt bewohnbar machen müsse. Noch vor Abschluss des Mietvertrages vereinbarten sie, dass diese Investitionsersatzansprüche, sowie das von der Beklagten dem Gemeinschuldner gewährte Darlehen in der Höhe von 200.000 S, gegen die Mietzins- und Betriebskostenforderung des Gemeinschuldners aufgerechnet werden. Die Beklagte hat den Mietvertrag und die Aufrechnungsvereinbarung geschlossen, weil sie aus Anlass ihrer Scheidung mit ihren beiden minderjährigen Kindern in die Steiermark übersiedeln und in der Nähe ihrer Eltern leben wollte. Sie tat dies nicht in der Absicht oder auch in dem Wissen, dass dadurch die Gläubiger ihres Vaters geschädigt werden könnten. Auch der Gemeinschuldner hat nicht in dieser Absicht oder in diesem Wissen gehandelt. Die Beklagte hat zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses und der Aufrechnungsvereinbarung über die wirtschaftliche Situation der Unternehmen des Gemeinschuldners nicht Bescheid gewusst. Erst im Herbst 1999 ist ihr bekannt geworden, dass es diesen Unternehmen "nicht gut geht". Die wirtschaftliche Situation der Unternehmen des Gemeinschuldners ist bis 1998 und Anfang 1999 "nicht schlecht" gewesen.

Die Beklagte hat seit Beginn des Mietverhältnisses keine direkten Mietzinszahlungen an die Gemeinschuldner oder den Masseverwalter geleistet. Betriebskostenzahlungen hat sie seit der Aufforderung durch den Kläger auf ein von diesem angegebenes Anderkonto bezahlt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung von EUR 10.552,33 als Mietzinsrückstand für den Zeitraum vom Beginn des Mietverhältnisses bis Juni 2001 sowie die Räumung des Bestandobjektes. Die Investitionen seien nicht von der Beklagten, sondern von der insolvent gewordenen Unternehmensgruppe des Gemeinschuldners oder sogar von diesem persönlich getragen worden. Die Beklagte sei daher zur Aufrechnung nicht berechtigt. Die Aufrechnungsvereinbarung sei in Benachteiligungsabsicht der Gläubiger erfolgt und daher anfechtbar. Es werde die Gegeneinrede der Anfechtbarkeit der Aufrechnung erhoben. Dem Gemeinschuldner sei insbesondere zum Zeitpunkt der vereinbarten Aufrechnung bewusst gewesen, dass seine Unternehmensgruppe unmittelbar vor dem Zusammenbruch stehe. Hilfsweise werde das Zahlungs- und Räumungsbegehren auf ein schuldhaft deliktisches Verhalten der Beklagten im Zusammenwirken mit dem Gemeinschuldner gestützt. Die Beklagte hafte für den durch die Entwertung der Liegenschaft entstandenen Vermögensschaden mit der Höhe des Zahlungsanspruches und dem Begehren auf Naturalrestitution. Infolge der Benützung der zentralen Räume des Schlosses durch die Beklagte seien die intensiven Bemühungen des Klägers, das Schloss zu veräußern, gescheitert.

Die Beklagte wendete ein, es bestehe kein Mietzinsrückstand, sie habe eine Mietzinsvorauszahlung im Betrag von 866.321,71 geleistet. Der Kläger sei von der Verrechnungsvereinbarung in Kenntnis gewesen und habe diese akzeptiert. Der Anfechtungsanspruch sei verfristet. Es seien ihr die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Gemeinschuldners nicht bekannt gewesen. Sie habe der Masse weder wissentlich noch unwissentlich einen Schaden zugefügt, vielmehr habe sie "massiv" in das Bestandobjekt investiert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die von der Beklagten mit dem Gemeinschuldner geschlossene Vereinbarung, ihre Investitionsersatzansprüche sowie ihren Rückforderungsanspruch aus dem Darlehen gegen die Mietzins- und Betriebskostenforderungen des Gemeinschuldners aufzurechnen, sei als zulässige Vereinbarung einer Mietzinsvorauszahlung zu werten. Die Forderungen der Beklagten überstiegen die eingeklagten Mietzinsforderungen, weshalb ein Mietzinsrückstand nicht vorliege.

Auch die Prozesseinrede der Anfechtung der Aufrechnung sei nicht erfolgreich. Mangels Benachteiligungsabsicht scheide eine Anfechtung nach § 28 Z 1 KO aus. Eine Anwendung des § 28 Z 2 und 3 KO komme deswegen nicht in Betracht, weil der Abschluss des Mietvertrages und der Aufrechnungsvereinbarung mehr als zwei Jahre vor der Konkurseröffnung erfolgt seien. Überdies sei auch die Jahresfrist des § 43 Abs 2 KO zu beachten.

Das gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von EUR 4.076,94 sA und des Räumungsbegehrens angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht verwies zur Rechtsfrage auf § 24 KO, wonach eine aus dem öffentlichen Buch nicht ersichtliche Vorauszahlung des Bestandzinses dem Masseverwalter unbeschadet des Anspruches auf Ersatz des verursachten Schadens nur für die Zeit eingewendet werden könne, bis zu der das Bestandverhältnis im Falle unverzüglicher Kündigung unter Einhaltung der vereinbarten oder, in Ermangelung einer solchen, der gesetzlichen Kündigungsfrist dauern würde. Maßgeblich sei das fiktive Ende des Bestandvertrages, würde es sofort unter Einhaltung einer vertraglichen oder, in Ermangelung einer solchen, der gesetzlichen Kündigungsfrist aufgekündigt werden. Habe daher ein Bestandnehmer über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus Zahlungen geleistet, die nicht der Masse zugute gekommen seien, müsse er sie nochmals erbringen. Das Risiko, dass sich der spätere Gemeinschuldner Bestandzinse im Voraus zahlen lasse und dieses Geld in der Folge nicht den Gläubigern zur Verfügung stehe, werde auf den Bestandnehmer überwälzt. Da der Zins für eine Zeit bezahlt worden sei, für die im Zeitpunkt der Zahlung für den Bestandnehmer gar nicht sicher gewesen sei, ob er dann noch Bestandnehmer sein werde, sei die Überwälzung nicht unbillig. Auch ohne Insolvenz hätte der Bestandvertrag infolge (ordentlicher) Aufkündigung noch vor dem Zeitpunkt beendet werden können, bis zu dem der Zins bezahlt worden sei. In einem solchen Fall trage eben der Bestandnehmer das Risiko, die Vorausleistung nicht mehr zurückzuerhalten. Die Unwirksamkeit der Vorauszahlung gegenüber der Konkursmasse bestehe aber nur für jene Zinse, die für eine ungewisse Zeit bezahlt worden seien. Sei dem Bestandnehmer keine Leichtsinnigkeit hinsichtlich seiner Handlungen vorzuwerfen, weil er für das von ihm Hingegebene die ihm dafür geschuldeten Gegenleistungen auf jeden Fall erhalte, sei es nicht gerechtfertigt, von ihm die Zinse nochmals zu verlangen. Das gelte für einen unkündbaren Bestandvertrag, sei aber auch für befristete Bestandverträge, die in der Regel unkündbar seien und für Vertragsverhältnisse, wo der Bestandgeber einen Kündigungsverzicht abgegeben habe, bedeutsam. Bei Bestandverhältnissen, die dem MRG unterliegen, liege zwar kein unkündbares Vertragsverhältnis vor, die Kündigungsmöglichkeiten seien aber derart eingeschränkt, dass es faktisch unkündbar sei. Das MRG sichere dem Bestandnehmer eine Position, in der dieser davon ausgehen könne, nicht wirksam gekündigt werden zu können. Zahle er unter diesem Umstand Zins voraus, handle er nicht leichtsinnig. Allein der Gesetzeswortlaut stelle nicht auf die Leichtsinnigkeit des Bestandnehmers, sondern auf die theoretische Kündigungsmöglichkeit ab. Demnach hätte auch ein "MRG-Mieter" die Zahlungen ein zweites Mal zu leisten. Die Einführung der Bestimmung des § 24 KO werde aber ausdrücklich damit gerechtfertigt, dass der Bestandnehmer dasselbe Risiko des Verlustes eben ohne Insolvenz trage. Im Hinblick auf diesen gesetzgeberischen Willen werde der Mieter eines dem MRG unterliegenden Bestandverhältnisses - sein eingegangenes Risiko sei wegen der Kündigungsbeschränkungen verschwindend gering - nicht zu einer neuerlichen Zahlung verhalten werden können, wenn er den Zins über die in § 24 KO genannte Kündigungsfrist im Voraus bezahlt habe. Nur dann, wenn der Mieter gewusst habe oder zumindest hätte wissen müssen, dass das Mietverhältnis realistischerweise gekündigt werden könne - wofür hier keine Anhaltspunkte gegeben seien - könne Zahlungspflicht eintreten (Rathauscher, Bestandrechte und Konkurs, 160 ff).

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob eine aus dem öffentlichen Buch nicht ersichtliche Vorauszahlung des Bestandzinses auch bei dem MRG unterliegenden Bestandverhältnissen gegenüber dem Masseverwalter über den in § 24 Abs 1 KO genannten Zeitraum hinaus unwirksam sei, nicht vorliege.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Zahlungsbegehren im Umfang von EUR 4.076,94 sA und dem Räumungsbegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich nicht am Revisionsverfahren beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, nach dem klaren Wortlaut des § 24 Abs 1 zweiter Satz KO könnten Mietzinsvorauszahlungen über den Zeitraum einer vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist hinaus dem Masseverwalter nicht eingewendet werden, wenn die Mietzinsvorauszahlung im Grundbuch nicht ersichtlich gemacht worden sei. Durch die Vorauszahlungen der Beklagten sei genau der Fall eingetreten, den der Gesetzgeber verhindern habe wollen. Die Beklagte habe sich (zumal durch einen unangemessen niedrigen Mietzins) auf praktisch "immerwährende" Zeiten das MRG-geschützte Objekt gesichert. Der Gemeinschuldner habe die Sache so "manipuliert", dass seine Tochter die Investitionen risikolos "abwohnen" könne. Das Risiko trügen somit entgegen den Intentionen des Gesetzgebers allein die Konkursgläubiger. Dies widerspreche dem dem Insolvenzrecht immanenten Gleichbehandlungsgrundsatz. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Beklagte trotz Konkurseröffnung immerhin kündigungsgeschützt bleibe. Die Beklagte hätte behaupten und beweisen müssen, dass ihr vom Gemeinschuldner vertragliche Zusicherungen gemacht worden seien, die ihr das Abwohnen ihres Baukostenvorschusses garantierten und der Gemeinschuldner bei Abschluss der Vereinbarung mit der Beklagten weder gewollt noch in Kauf genommen habe, dass hiedurch seine Gläubiger geschädigt werden.

Hiezu wurde erwogen:

Grundsätzlich kann gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Ob die vom Berufungsgericht vorgenommene (auf Rathauscher, aaO, 166 beruhende) Relativierung, wonach eine Zahlungspflicht eintreten könne, wenn der Mieter wusste oder zumindest wissen hätte müssen, dass das Mietverhältnis realistischerweise gekündigt werden könne (diese ablehnend Oberhammer in Konecny/Schubert, Komm zu den Insolvenzgesetzen, § 24 KO Rz 13), braucht hier nicht beurteilt zu werden.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:

Schon Lehmann (Kommentar zur österreichischen Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung, I, 165 f) hat überzeugend dargelegt, dass bei Unmöglichkeit einer Kündigung die Vorauszahlung des Bestandzinses für die gesamte Vertragsdauer wirksam ist. In einem derartigen Fall ist nämlich die in § 24 Abs 1 KO vorgesehene "unverzügliche Kündigung" ausgeschlossen. In diesem Sinne haben auch Bartsch/Pollak (Konkursordnung I³, § 24 Rz 29) ausgeführt, man könne die Gefahr einer Vorauszahlung nur dann auf den Mieter überwälzen, wenn es sich um Raten über die gesetzliche oder die vereinbarte Kündigungsfrist hinaus handle. Vorauszahlungen für Bestandverhältnisse, die überhaupt nicht gekündigt werden können, seien daher unbedingt und auch dem Masseverwalter gegenüber wirksam (so auch Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österr Insolvenzrecht I4, § 24 Rz 12).

Geht man aber davon aus, dass Vorauszahlungen für Bestandverhältnisse, die de iure überhaupt nicht gekündigt werden können, dem Masseverwalter gegenüber wirksam sind, dann muss dies auch für Bestandverhältnisse gelten, die de facto unkündbar sind, sohin für Bestandverhältnisse, die dem MRG unterliegen. § 24 KO enthält ohnehin schon einen beachtlichen Wertungswiderspruch: Ansonsten könnten derartige "Machenschaften" nur der Anfechtung nach §§ 27 ff KO unterliegen, die allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfindet (Dellinger/Oberhammer, Insolvenzrecht, Rz 432). Der Gesetzgeber der KO war offenbar noch der Meinung, der über die vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfrist hinaus vorauszahlende Bestandnehmer handle "auf eigenes Risiko". Dies ist aber bei einigermaßen lebensnaher Betrachtungsweise im Anwendungsbereich des § 30 MRG heute nicht mehr der Fall. Der Bestandnehmer kann grundsätzlich davon ausgehen, das Objekt im gesamten Vorauszahlungszeitraum nutzen zu können. Daher ist die Regelung des § 24 Abs 1 KO über die Bestandzinsvorauszahlung im Anwendungsbereich des MRG-Kündigungsschutzes (dieser ist hier nicht strittig) unanwendbar (Oberhammer in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen, § 24 KO Rz 13; Dellinger/Oberhammer, aaO, Rz 432).

Es war daher der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

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