OGH 3Ob239/03y

OGH3Ob239/03y26.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Greta K*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in Neusiedl am See, wider die beklagte Partei Elisabeth P*****, vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OEG in Neusiedl am See, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 19. August 2003, GZ 13 R 152/03f-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neusiedl am See vom 20. März 2003, GZ 6 C 274/02h-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Klägerin kündigte als Verpächterin landwirtschaftlicher Nutzflächen (Weingärten) den Pachtvertrag mit der Beklagten zum 30. November 2002 auf, wobei sie vorbrachte, im Pachtvertrag sei ausdrücklich vereinbart, dass sie bei Veräußerung der Grundstücke zur Aufkündigung des Pachtvertrags berechtigt sei, dies selbst während der bestimmt vereinbarten Vertragsdauer; sie habe die Grundstücke nun verkauft.

Die Beklagte erhob gegen die gerichtliche Aufkündigung vom 2. April 2002 Einwendungen; eine derartige Vereinbarung sei nie geschlossen worden. Bei der Vereinbarung, dass bei Verkauf der Grundstücke dem Pächter eine dementsprechende Ablöse zu entrichten sei, seien die rechtsunkundigen Parteien irrig davon ausgegangen, dass der Verkauf den Pachtvertrag breche; ein Kündigungsrecht sei aber nie besprochen worden.

Die Klägerin brachte in der Folge vor, jedenfalls liege ein gemeinschaftlicher Irrtum der Parteien vor, der die Klägerin zur Auflösung des Pachtvertrags infolge Vorliegens eines Kaufvertrags berechtige.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtsunwirksam und wies das Räumungsbegehren ab; es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin war am 20. August 2000 zufällig bei der Beklagten und deren Familie zu Besuch. Bei dieser Gelegenheit vereinbarten die Parteien über Drängen der Beklagten die Verpachtung der gegenständlichen Grundstücke. Hierüber wurde ein Vertragsurkunde verfasst, und zwar unter Verwendung eines Vordrucks, in den nur mehr die Namen der Parteien, die Grundstücksdaten, die Laufzeit und der Pachtzins eingesetzt werden mussten. Die Klägerin meinte aber, für sie sei es wichtig, das Grundstück schon vor Ablauf der vereinbarten Pachtzeit verkaufen zu dürfen, worauf hin der Ehegatte der Beklagten angab, dies sei kein Problem, es müsse aber klargestellt sein, dass die Beklagte (die schon bei Vertragsabschluss das Auspflanzen eines Weingartens auf der Bestandfläche plante) ihre Investitionen ersetzt erhält. Der Ehegatte der Beklagten und die Klägerin waren nämlich der Meinung, dass dann, wenn die Klägerin die Grundstücke verkauft, der Pachtvertrag aufgelöst wird. Die Parteien nahmen daher folgende Zusatzvereinbarung in den Vertragstext auf: "Sollte das Grundstück vorher verkauft werden, ist dem Pächter eine dementsprechende Ablöse zu entrichten. Die Eigentümerin behält sich das Recht, das Grundstück oder Teil des Grundstückes jederzeit verkaufen zu können."

Darüber hinaus wurde zwischen den Parteien nichts gesprochen, insbesondere wurde nicht über ein vorzeitiges Kündigungsrecht der Klägerin gesprochen. Auch wenn die Beklagte gewusst hätte, dass der Pachtvertrag durch einen Verkauf des Grundstücks nicht aufgelöst wird, hätte sie der Klägerin kein Kündigungsrecht eingeräumt, sondern hätte nur die Vereinbarung über die Ablöse für entbehrlich gehalten.

Am 12. Juni 2002 unterbreitete die P***** GmbH der Klägerin ein Kaufangebot über die gegenständlichen Grundstücke, jedoch unter der Bedingung der rechtswirksamen Aufkündigung dieses Pachtvertrags. Die Klägerin nahm dieses Anbot an.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die vorzeitige Auflösung eines auf bestimmte Dauer abgeschlossenen Bestandvertrags sei nur bei Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 1118 ABGB zulässig. Diese Vorschrift sei aber dispositiver Natur; es sei daher zu prüfen, ob die Parteien einen (zusätzlichen) Kündigungsgrund vereinbart hätten. Diese hätten im Pachtvertrag nur klargestellt, dass die Klägerin (was ohnedies selbstverständlich sei) das verpachtete Grundstück auch während der Vertragslaufzeit verkaufen dürfe und die Beklagte dann - im Hinblick darauf, dass die Parteien der Meinung gewesen seien, dass dann der Pachtvertrag automatisch aufgelöst werde - ihre Investitionen ersetzt erhalte. Von der Einräumung eines zusätzlichen Kündigungsgrunds könne daher keine Rede sein, zumal die Parteien dies auf Grund ihrer irrigen Rechtsmeinung nicht für erforderlich gehalten und selbst bei Kenntnis der wahren Rechtslage kein Kündigungsrecht vereinbart, sondern nur die Vereinbarung über die Investitionsablöse nicht getroffen hätten. Die Frage, warum kein Kündigungsgrund vereinbart worden sei, sei aber irrelevant; Tatsache sei, dass zwischen den Parteien über die Möglichkeit der vorzeitigen Kündigung nicht einmal gesprochen worden sei.

Das Berufungsgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagte zur Räumung der von ihr gepachteten Grundstücke; es sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Bedeutung dieser Entscheidung über den Einzelfall nicht hinausgehe; es handle sich um eine einzelfallbezogene Vertragsauslegung, bei der von den Grundsätzen der stRsp ausgegangen werde.

Bereits der Rechtsrüge der Klägerin komme Berechtigung zu. Bei der Auslegung der von den Parteien in den Vertragstext aufgenommenen Zusatzvereinbarung sei nicht bloß von deren Wortlaut und den Gesprächen der Vertragsparteien auszugehen, sondern es seien auch die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen. Bei der Auslegung nach der Übung des redlichen Verkehrs sei aber auch eine ergänzende Auslegung zulässig. Beim Auftreten von Konfliktfällen, welche die Partei nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt hätten, sei unter Berücksichtigung der übrigen Geschäftsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten. Die Vertragsteile seien rechtsirrtümlich davon ausgegangen, dass der Pachtvertrag bei Verkauf der Liegenschaften automatisch aufgelöst werde. Deswegen hätten sie auch nicht die Frage eines Kündigungsrechts der Klägerin ausdrücklich besprochen. Es habe aber Willensübereinstimmung der Parteien dahingehend bestanden, dass die Klägerin diese Liegenschaften veräußern dürfe, dies mit der Folge, dass auch der Pachtvertrag aufgelöst werde. Auf Grund dieser irrtümlichen Einschätzung der Rechtslage durch beide Vertragsparteien sei ein Konfliktfall aufgetreten, den die Parteien nicht bedacht und geregelt hätten. Redliche und vernünftige Vertragsparteien hätten bei Kenntnis des Umstands, dass ein Verkauf der Liegenschaften nicht automatisch zur Auflösung des Pachtvertrags führt, vereinbart, dass der Klägerin ein Kündigungsrecht zukomme. Für eine solche Auslegung spreche auch eine am Vertragszweck orientierte Ergänzung des Vertrags in diesem Punkt nach Treu und Glauben.

Die Feststellung des Erstgerichts, die Beklagte hätte der Klägerin auch bei Kenntnis der wahren Rechtslage kein Kündigungsrecht eingeräumt, sondern nur die Vereinbarung über die Ablöse für entbehrlich gehalten, sei überschießend und daher nicht zu berücksichtigen. Diese Feststellung des Erstgerichts, die sich offenbar auf die - nach Beurteilung des Berufungsgerichts überdies lebensfremde, widersprüchliche und daher unglaubwürdige - Aussage der Beklagten stütze, finde im Prozessvorbringen der Beklagten in erster Instanz keine Deckung.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte macht als Mangel des Berufungsverfahrens geltend, das Berufungsgericht verstoße gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, weil es die Aussage der Beklagten selbst würdige, ohne die Beklagte angehört zu haben.

Hiezu ist festzuhalten, dass das Berufungsgericht die Beweisrüge in der Berufung der Klägerin überhaupt nicht behandelt hat; den Ausführungen der zweiten Instanz zur Glaubwürdigkeit der Beklagten fehlt jegliche Grundlage. Dem Berufungsgericht steht es keinesfalls zu, sich einerseits ausdrücklich auf die Behandlung der Rechtsrüge der Klägerin zu beschränken, andererseits aber die Aussage der Beklagten, auf die das Erstgericht Feststellungen gegründet hat, als unglaubwürdig zu bezeichnen; dies stünde dem Berufungsgericht ausschließlich nach Beweiswiederholung oder Beweisergänzung zu; ansonsten stellt eine solche Vorgangsweise eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes dar (RIS-Justiz RS0043187).

Weiters rügt die Revision, das Berufungsgericht habe eine Feststellung des Erstgerichts als überschießend und daher nicht zu berücksichtigen qualifiziert, obwohl eine solche Mangelhaftigkeit in der Berufung nicht gerügt worden sei. Konkret handelt es sich hiebei um die Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin auch dann kein Kündigungsrecht eingeräumt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass der Pachtvertrag durch einen Verkauf des Grundstücks nicht aufgelöst wird; sie hätte in einem solchen Fall nur die Vereinbarung über die Ablöse für entbehrlich gehalten.

Bei der Frage der Berücksichtigung überschießender Feststellungen ist davon auszugehen, dass das Gericht die bei seiner Beweisaufnahme hervorkommenden Umstände nur insoweit berücksichtigen darf, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. Solche sog. überschießenden Feststellungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrunds oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS-Justiz RS0040318).

Hier bestritt die Beklagte das Vorbringen der Klägerin, im Pachtvertrag sei vereinbart, dass sie bei Veräußerung der Grundstücke zur Aufkündigung des Pachtvertrags berechtigt sei; eine derartige Vereinbarung hätten die Streitteile vielmehr nicht getroffen. Die Auslegung der ein solches Kündigungsrecht jedenfalls nicht explizit einräumenden Vertragsklausel bewegt sich somit sehr wohl im Rahmen des Parteivorbringens. Wenn nun das Erstgericht in diesem Zusammenhang zum Parteiwillen Feststellungen getroffen hat, handelt es sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keineswegs um überschießende Feststellungen. Schon aus diesem Grund durfte das Berufungsgericht diese Feststellungen nicht ohne weiteres bloß anlässlich der Behandlung der Rechtsrüge der Klägerin nicht berücksichtigen.

Wenn das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Feststellungen nicht übernehmen will, wird es nicht umhin kommen, auch die von der Klägerin in der Berufung erhobene Tatsachenrüge, mit der diese Feststellung bekämpft wird, zu behandeln. Erst wenn das Berufungsgericht nach Behandlung der Beweisrüge in der Berufung der Klägerin eine klare Tatsachengrundlage geschaffen hat, wird eine Beurteilung möglich sein, ob bzw welche Parteienvereinbarung über ein Recht der Klägerin, dem Pachtvertrag mit der Beklagten bei Liegenschaftsveräußerung aufzukündigen, getroffen wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 52 ZPO.

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