OGH 14Os11/04

OGH14Os11/0425.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Mai 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Baboucarr J***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. November 2003, GZ 8 Hv 203/02w-73, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Peschl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Baboucarr J***** wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG nach § 28 Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 (sechs) Jahren verurteilt. Die Vorhaftanrechnung wird aus dem angefochtenen Urteil übernommen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthält, wurde Baboucarr J***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er (hier zusammengefasst wiedergegeben) von Ende 2000 bis Juli 2002 in Graz den bestehenden Vorschriften zuwider in zahlreichen Angriffen Suchtgifte, deren Menge zumindest das 25fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmachte, nämlich insgesamt 1914 Gramm Heroin und 75 Gramm Kokain, durch Verkauf an 21 im Urteil namentlich angeführte Personen gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nur teilweise im Recht.

Der unter den Nichtigkeitsgründen der Z 3, 5 und 11 StPO erhobene Einwand, es bestehe ein Widerspruch in der angefochtenen Entscheidung, weil der Angeklagte nach dem Urteilsspruch zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt wurde, während in den Gründen eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren angeführt sei, ist durch den Berichtigungsbeschluss des Erstgerichtes vom 29. Jänner 2004 (S 291b f) obsolet geworden.

Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert, über zunächst schriftlich gestellte, dann in der Hauptverhandlung wiederholte Beweisanträge sei nicht entschieden und diese seien tatsächlich auch nicht durchgeführt worden. Nach dem Protokoll über die (wegen Zeitablaufs und geänderter Senatszusammensetzung) am 5. November 2003 gemäß § 276a StPO neu durchgeführte Hauptverhandlung wurden indes Beweisanträge nicht gestellt. Die in der Hauptverhandlung am 26. Juni 2003 beantragte Vernehmung von Zeugen wurde nicht wiederholt; diese Antragstellung kann daher nicht Grundlage für eine Nichtigkeitsbeschwerde sein (Mayerhofer StPO4 § 276a E 5 f).

Soweit die Mängelrüge (Z 5) die vom Schöffengericht angenommene "Straßenqualität" des vom Angeklagten verkauften Suchtgiftes in Frage stellt und behauptet, der Reinheitsgehalt des Heroins hätte nur mit 10 %, jener des Kokains lediglich mit 40 % festgestellt werden dürfen, berührt sie keine entscheidungswesentliche Tatsache. Denn auch bei Annahme, das in Verkehr gesetzte Heroin habe nur 10 % Reinsubstanz enthalten, wäre die Grenzmenge (drei Gramm) um das 63fache überschritten, sodass alle vom Erstgericht angenommenen Qualifikationen trotzdem verwirklicht worden wären. Die subjektive Tatseite wurde nicht nur festgestellt, sondern insbesondere durch Hinweis auf den Geldbedarf des Beschwerdeführers und die Wiederholung der Taten über einen längeren Zeitraum auch ausreichend begründet (vgl US 15).

Die Zeugin Tanja P***** hat in der Hauptverhandlung zur Menge des von ihr vom Angeklagten gekauften Suchtgiftes auf ihre Angaben vor Untersuchungsrichter und Exekutive verwiesen, diese als richtig bezeichnet und bekräftigt, bei diesen zu bleiben, obwohl sie jetzt (zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung) nicht mehr wisse, "wieviel es insgesamt war" (S 203 f). Im Hinblick auf diesen direkten Verweis auf Aussagen, welche konkrete Angaben über Suchtgiftmengen enthalten, waren die Tatrichter nicht verpflichtet, den in der Beschwerde thematisierten Satzteil näher zu erörtern.

Das Vorbringen, das Erstgericht habe sich nicht mit der Aussage des Zeugen Michael G***** im Kontext mit den Angaben seiner Freundin Elisabeth H***** auseinandergesetzt, ist nicht nachvollziehbar und bezeichnet einen Nichtigkeitsgrund weder deutlich noch bestimmt. Mit dem Erkennen des Beschwerdeführers durch die Zeugin H***** in der Hauptverhandlung und mit deren Identifizierung an Hand von Lichtbildern bei der Polizei haben sich die Erkenntnisrichter ohnedies in der Beweiswürdigung befasst (US 13).

Richtig ist zwar, dass die Aussagen der Zeugen Elisabeth H*****, Thomas C***** und Markus K***** vor der Polizei in der Hauptverhandlung nicht verlesen, die entsprechenden Seitenzahlen der jeweils darüber aufgenommenen Protokolle aber bei den Feststellungen zu den einzelnen Fakten angeführt wurden. Das Erstgericht hat sich jedoch zur Begründung seiner Konstatierungen in der Beweiswürdigung ausschließlich auf deren Aussagen in der Hauptverhandlung gestützt. Dort haben die Zeugen ihre belastenden Angaben vor der Polizei ausdrücklich wiederholt (Elisabeth H***** S 216 f, Thomas C***** S 212 f und Michael K***** S 211, jeweils II).

Die Tatrichter haben die Einlassung des Nichtigkeitswerbers, insgesamt nur 500 Gramm Heroin und 70 bis 80 Gramm Kokain verkauft zu haben, als Schutzbehauptung abgelehnt (US 12). Sie sind diesbezüglich den Aussagen der von ihnen als glaubwürdig angesehenen Zeugen gefolgt (US 14). Soweit die Beschwerde diese Begründung in Frage stellt, bekämpft sie, was schon durch den Hinweis auf den Grundsatz "in dubio pro reo" zum Ausdruck kommt, nur unzulässig die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes, bezeichnet damit aber keinen Begründungsfehler im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zeigt keine Umstände aus den Akten auf, welche erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen ergeben könnten. Vielmehr versucht sie nur neuerlich die Beweiswürdigung der Erkenntnisrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung zu bekämpfen. Hiezu bleibt anzumerken, dass die Zeugen Tanja P***** (S 203 f/II) und Thomas C***** (S 212 f/II) den Angeklagten in der Hauptverhandlung erkannt und die Mengen der von ihm bezogenen Suchtgifte angegeben oder auf ihre Protokolle in der Anzeige verwiesen haben. Der Zeuge Michael G***** wurde in der Hauptverhandlung nicht vernommen, seine Angaben im Vorverfahren aber einverständlich verlesen (S 241/II). Elisabeth H***** hinwieder hat den Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung erkannt, zunächst zwar angegeben, von ihm nichts gekauft zu haben, dann aber auf ihre belastenden Depositionen vor der Polizei verwiesen und diese als richtig bezeichnet (S 216/II).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) ist nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die prozessordnungsgemäße Darstellung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert nämlich, ausgehend vom gesamten festgestellten Sachverhalt, den Nachweis, dass dem Gericht bei dessen Unterstellung unter das Gesetz ein Irrtum unterlaufen ist. Entgegen dem Rechtsmittel hat das Schöffengericht konstatiert, dass das Verhalten des Angeklagten von einem Gesamtvorsatz getragen war, große Mengen von Suchtgift in Verkehr zu setzen, und der Verkauf einer insgesamt übergroßen Menge in der Absicht erfolgte, sich durch wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 11 unten iVm 15 oben). Auch der an die kontinuierliche Begehung geknüpfte Additionseffekt und die Absicht, große Mengen in Verkehr zu setzen, wurde ausdrücklich feststellt (neuerlich US 15). Da die Beschwerde diese Tatsachen missachtet, ist sie nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Im bisher dargestellten Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über Baboucarr J***** "unter Bedachtnahme auf § 28 StGB" nach § 28 Abs 4 SMG eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren. Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend das "Zusammentreffen von mehreren Verbrechen", "die Inverkehrsetzung von zwei besonders gefährlichen Suchtgiften", die Abgabe der Suchtgifte an Jugendliche und den langen Tatzeitraum; als mildernd die Unbescholtenheit des Angeklagten und die teilgeständige Verantwortung.

Den Strafausspruch bekämpft der Beschwerdeführer sowohl mit einer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde als auch mit Berufung.

In der Strafbemessungsrüge (Z 11) macht er unter anderem geltend, es sei ihm zu Unrecht die Begehung von "zwei getrennten Verbrechen" angelastet worden.

Setzt ein Täter Suchtgift in einer Menge in Verkehr, die zumindest das 25-fache der Grenzmenge beträgt, so sind die jeweiligen Handlungseinheiten zu einer Subsumtionseinheit zusammenzufassen. Er begeht damit - auf den vorliegenden Fall bezogen - nur das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG (vgl Ratz, Häufige Kritikpunkte an Urteilen und staatsanwaltschaftlichen Rechtsmitteln aus der Sicht eines OGH-Richters, RZ 2003 S 198). Dem entgegen hat das Erstgericht bei der Strafzumessung zu Unrecht das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen als erschwerend gewertet. Darüber hinaus hat es das Inverkehrsetzen von "zwei besonders gefährlichen Suchtgiften" als Erschwerungsgrund angenommen, obwohl diesem Umstand keine zusätzliche erschwerende Bedeutung zukommt. Die Untergrenze ("Grenzmenge") einer großen Menge wird nämlich für die einzelnen Suchtgifte in der Suchtgift-Grenzmengenverordnung festgesetzt. Dabei wird auf die Eignung des Suchtstoffes Bedacht genommen, eine Gewöhnung hervorzurufen und im großen Ausmaß eine Gefahr für Leben oder der Gesundheit von Menschen herbeizuführen. Das Gefährdungspotenzial von Kokain und Heroin ist damit bereits in der die Strafdrohung des § 28 Abs 2 SMG bestimmenden Grenzmenge berücksichtigt. Dessen aggravierende Bewertung bei der Strafbemessung verstößt demgemäß gegen das Doppelverwertungsverbot (14 Os 134/03). Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils war daher aufzuheben und mit einer Strafneubemessung vorzugehen.

Dabei wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die Fortsetzung der Straftat durch eine längere Zeit, das Überlassen von Suchtgift an Jugendliche sowie die Tatsache, dass die vom Angeklagten in Verkehr gesetzte Menge an Suchtgift die übergroße Menge des § 28 Abs 4 Z 3 SMG um ein Mehrfaches überstieg; als mildernd hingegen die bisherige gerichtliche Unbescholtenheit des Angeklagten in Österreich sowie seinen teilweisen Beitrag zur Wahrheitsfindung, indem er zugab, 500 g Heroin und 70 bis 80 g Kokain verkauft zu haben.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen und der Tatsache, dass der Angeklagte unter verschiedenen Namen bereits in der Schweiz und in Deutschland aufgetreten ist und dort jeweils mit Suchtgift betreten wurde, sowie unter Berücksichtigung der über einen beträchtlichen Zeitraum verkauften hohen Suchtgiftmenge ist eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren schuld- und tatangemessen. Entgegen der Berufung des Angeklagten liegt weder ein volles (reumütiges) Geständnis vor, noch hat er in untergeordneter Rolle gehandelt.

Im Hinblick auf die Strafhöhe ist die begehrte bedingte oder teilbedingte Nachsicht der Strafe ex lege ausgeschlossen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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