OGH 10ObS20/03v

OGH10ObS20/03v18.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf T*****, vertreten durch Philipp & Partner, Rechtsanwälte und Strafverteidiger OEG in Mattersburg, gegen die beklagte Partei Burgenländische Gebietskrankenkasse, 7000 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegekostenzuschuss, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Mai 2002, GZ 8 Rs 133/02s-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Dezember 2001, GZ 17 Cgs 72/01a-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war im Jahr 2000 in einer Wiener Privatkrankenanstalt, mit der die beklagte Gebietskrankenkasse keine vertragliche Regelung gemäß § 149 ASVG hatte, viermal in Anstaltspflege, die jeweils - unstrittig - medizinisch notwendig, aber nicht unaufschiebbar war. Der Kläger war ohne Einweisung durch die beklagte Partei in der Privatkrankenanstalt untergebracht worden.

Das Erstgericht wies das auf § 150 ASVG gestützte Klagebegehren auf Gewährung eines Pflegekostenzuschusses im gesetzlichen Ausmaß für diese stationären Aufenthalte ab, weil die im § 150 ASVG genannte Anspruchsvoraussetzung der Unaufschiebbarkeit der Anstaltspflege nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte schließlich die ordentliche Revision im Sinn des - hier noch anzuwendenden - § 46 Abs 1 ASGG für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Pflegekostenzuschusses nach § 150 ASVG fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Verweisungen in der Revision auf den Inhalt der Berufungsschrift für den Obersten Gerichtshof unbeachtlich ist (RIS-Justiz RS0043579).

Die Revision macht ausschließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 150 Abs 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung des 2. SRÄG 1996, BGBl 1996/764, geltend. Die Bestimmung sei insofern wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und wegen Verletzung des Eigentumsrechts verfassungswidrig, als die Leistung eines Pflegekostenzuschusses von der Unaufschiebbarkeit der Anstaltspflege abhängig gemacht werde. Die Regelung sei gleichheitswidrig und willkürlich, weil

- ASVG-Versicherte bei gleichem Regelungsbedarf schlechter gestellt seien als Versicherte nach den korrespondierenden Bestimmungen des GSVG, des BSVG und des B-KUVG,

- sie den Versicherten trotz Notwendigkeit der Anstaltspflege vom Versicherungsschutz völlig ausschließe,

- sie den Grundsatz der freien Arztwahl, der analog auch für die Wahl der Krankenanstalt anzuwenden sei, missachte.

Im Bereich des GSVG, des BSVG und des B-KUVG gebe es das Kriterium der Unaufschiebbarkeit der Anstaltspflege nicht. Es werde auch der dem EU-Recht innewohnende und daher auch innerstaatlich zu beachtende "Grundsatz der Erwerbsfreiheit" verletzt. Durch die Voraussetzung der "Unaufschiebbarkeit" trotz medizinisch notwendiger Anstaltspflege erwachse bei Unterbringung des Versicherten in einer Privatkrankenanstalt hinsichtlich des Anspruches auf Pflegekostenzuschuss den Privatkrankenanstalten im Vergleich zu den öffentlichen Krankenanstalten ein unzulässiger Wettbewerbsnachteil. Dies vor allem auch unter Berücksichtigung grenzüberschreitender Leistungen (Anstaltspflege eines ASVG-Versicherten in einem anderen EU-Land).

1. Letzterer Ansicht - gemeint ist offenbar der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinn des Art 49 EG - ist zu erwidern, dass bei der gegebenen Sachlage (Unterbringung eines in Österreich wohnhaften und ASVG-Versicherten in einer Privatkrankenanstalt in Österreich) Gemeinschaftsrecht schon mangels jeglichen zwischenstaatlichen Bezugs des vorliegenden Falls nicht zum Tragen kommt, was aber die Grundvoraussetzung für einen denkbaren Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht wäre (vgl VfSlg 15.456).

2. Wenn § 150 Abs 1 ASVG idF 2. SRÄG die Leistung eines Pflegekostenzuschusses an die Voraussetzung der Unaufschiebbarkeit der Anstaltspflege knüpft, unterscheidet er sich deutlich von der Regelung des § 131 ASVG, der für eine Kostenerstattung bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes das Erfordernis der Unaufschiebbarkeit der (nicht stationären) Krankenbehandlung nicht vorsieht. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung SSV-NF 4/8 (in Bezug auf § 93 BSVG) ausführlich dargelegt, dass er ob dieser Belastung der Wahlfreiheit des Versicherten keine verfassungsrechtliche Bedenken hegt. Ausführungen, die Anlass zu einem Abgehen von dieser Auffassung geben könnten, enthält die Revision nicht.

3. Der Oberste Gerichtshof vermag auch nicht die Ansicht zu teilen, in der Verweigerung des Pflegekostenzuschusses bei eigeninitiativem Aufsuchen der privaten Krankenanstalt sei eine Enteignung des Versicherungsbesitzstandes zu erblicken. War die Anstaltspflege in der privaten Krankenanstalt unaufschiebbar, so erhielt der Versicherte nach der hier maßgeblichen Rechtslage ohnehin einen Pflegekostenzuschuss. Sonst genoss der Versicherte immerhin in landesfondsfinanzierten Krankenanstalten, in Vertragsanstalten oder in eigenen Krankenanstalten des Versicherungsträgers Versicherungsschutz (§§ 144 Abs 1, 145, 149 Abs 1 ASVG je idF des 2. SRÄG; vgl Binder in Tomandl, Der OGH als Sozialversicherungshöchstgericht, Die Krankenversicherung und der OGH, 1 [36 f]).

4. a) Entgegen der Meinung des Klägers knüpft auch § 93 Abs 1 BSVG idF 2. SRÄG die Leistung eines Pflegekostenzuschusses an die Unaufschiebbarkeit der Anstaltspflege.

b) Anders als im ASVG und BSVG ist die Leistung eines Pflegekostenzuschusses bei Inanspruchnahme der Anstaltspflege in einer privaten Krankenanstalt nach dem GSVG (§ 98a idF 2. SRÄG) und dem B-KUVG (§ 68a idF 2. SRÄG) nicht an das Vorliegen von "Unaufschiebbarkeit" der Anstaltspflege gebunden. Allein dieser Unterschied soll nach Auffassung des Revisionswerbers die Verfassungswidrigkeit des § 150 Abs 1 ASVG idF 2. SRÄG unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art 7 B-VG; Art 2 StGG) begründen. Wie der Verfassungsgerichtshof indes wiederholt ausgesagt hat (VfSlg 13.634 mwN), gebietet der Gleichheitsgrundsatz keine einheitliche Regelung der Sozialversicherungssysteme. Er hat insbesondere ausgesprochen (VfSlg 6004), dass der Gleichheitsgrundsatz keineswegs eine bundesheitliche Regelung des Krankenkassenwesens erfordert, sondern territoriale Abweichungen oder Differenzierungen nach Berufsgruppen gestatte; es sei leicht einzusehen, dass eine solche Sonderzuständigkeit einer bestimmten Krankenkasse zu Unterschieden in der Erstellung der Kassenbeiträge, aber auch der Leistungen zu führen vermöge.

Die Krankenversicherung nach dem GSVG und dem B-KUVG weist in Relation zu den Versicherten des ASVG eine wesentlich unterschiedliche Gestaltung des Beitrags- und Leistungsrechts auf (vgl zur Anstaltspflege § 96 GSVG und § 59 Abs 1 B-KUVG je idF 2. SRÄG), sodass aus dem Umstand, dass § 150 Abs 1 ASVG in der anzuwendenden Fassung die Leistung des Pflegekostenzuschusses an das Vorliegen der "Unaufschiebbarkeit" der Anstaltspflege knüpft, nicht auf eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung der nach dem ASVG Versicherten geschlossen werden könnte. Außer dem Unterschied in den Regelungen des Anspruchs auf Leistung eines Pflegekostenzuschusses führt die Revision aber keine Umstände an, die verfassungsrechtliche Bedenken an der Ungleichbehandlung erwecken könnten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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