OGH 8ObS5/04z

OGH8ObS5/04z29.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Siegfried N*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Mag. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei IAF-Service Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch die Finanzprokurator, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 13.807,53 EUR netto sA Insolvenz-Ausfallgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2004, GZ 7 Rs 135/03g-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. August 2003, GZ 22 Cgs 77/03h-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie - einschließlich des bestätigten Teils - zu lauten haben wie folgt:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 13.807,53 EUR netto binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Zinsenbegehren wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 812,52 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 135,42 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 30. 3. 1992 bis 31. 8. 2002 bei der späteren Gemeinschuldnerin als Arbeiter beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch einen vom Kläger am 31. 8. 2002 erklärten vorzeitigen Austritt, der ausschließlich auf § 25 KO gestützt wurde.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben zu 17 S 112/02t vom 6. Mai 2002 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers der Konkurs eröffnet. Am 10. Juli 2002 fand die erste Berichtstagsatzung statt, die mangels Vorlage eines ausreichenden Finanzplanes auf den 24. Juli 2002 erstreckt wurde. Im Bericht des Masseverwalters vom 23. Juli 2002 wurde aufgrund des zu erwartenden Betriebsergebnisses eine negative Unternehmensprognose erstellt und die unverzügliche Unternehmensschließung beantragt.

Im Berichtstagsatzungsprotokoll vom 24. Juli 2002 wurde nach Vortrag des Berichtes des Masseverwalters festgehalten, dass die Fortführung des Unternehmens nur im Falle des Erlages einer Kaution möglich sei. Der Gemeinschuldner bekundete seine Bereitschaft zum Kautionserlag binnen 14 Tagen. Dem Gemeinschuldner wurde aufgetragen, binnen 14 Tagen eine Fortführungskaution von 30.000 EUR zu erlegen, widrigenfalls das Unternehmen geschlossen werde. Für den Fall des rechtzeitigen Kautionserlages gab die Konkursrichterin bekannt, dass eine befristete Unternehmensfortführung bis 24. Oktober 2002 bewilligt werde.

Nachdem der Masseverwalter am 7. August 2002 berichtet hatte, dass die Kaution von 30.000 EUR fristgerecht erlegt wurde, genehmigte das Konkursgericht mit Beschluss vom 9. August 2002 die befristete Betriebsfortführung bis 31. Oktober 2002 im bisherigen Umfang.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 2. 4. 2003 die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 14.112,63 EUR netto ab.

Nach einer Einschränkung des Klagebegehrens begehrt der Kläger 13.807,53 EUR netto an Insolvenzausfallgeld (Kündigungsentschädigung vom 1. 9. bis 26. 10. 2002 2.923,92 EUR; SZ zur Kündigungsentschädigung 493,28 EUR; Urlaubsersatzleistung für 12 Werktage 844,91 EUR; vier Monatsentgelte Abfertigung 9.545,43 EUR) "samt Zinsen". In der erstreckten Berichtstagsatzung vom 24. 7. 2002 sei kein Beschluss über eine befristete Unternehmensfortführung erfolgt. Erst mit Veröffentlichung des Beschlusses auf Genehmigung der befristeten Fortführung des Unternehmens (9. 8. 2002) sei die Monatsfrist des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO ausgelöst worden. Der Austritt des Klägers sei davon ausgehend rechtzeitig erfolgt.

Die beklagte Partei, die das eingeschränkte Klagebegehren rechnerisch nicht bestritt, wendet ein, dass die Monatsfrist des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO ab der (erstreckten) Berichtstagsatzung vom 24. 7. 2002 zu berechnen sei. Der am 31. 8. 2002 erklärte vorzeitige Austritt gemäß § 25 KO sei außerhalb der Frist und daher unberechtigt erfolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Auffassung, dass das privilegierte Lösungsrecht nach § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO mit der Berichtstagsatzung entstehe, wenn in der Berichtstagsatzung kein Beschluss auf Unternehmensfortführung auf unbestimmte Zeit gefasst werde. Die Ansprüche des Klägers seien daher nicht gesichert.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen Rechtsauffassung. Das begünstigte Lösungsrecht nach § 25 KO sei innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem feststehe, dass das Unternehmen nicht fortgeführt werde, auszuüben. Sei das Unternehmen fortführungswürdig, dann bestehe bis zur sogenannten Berichtstagsatzung kein begünstigtes Lösungsrecht. Die Monatsfrist berechne sich in diesem Fall grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Berichtstagsatzung. Werde in dieser Tagsatzung die unbefristete Fortführung beschlossen, dann könne der Arbeitnehmer überhaupt nicht begünstigt lösen. Das Unternehmen der Gemeinschuldnerin sei bis zur Berichtstagsatzung fortgeführt worden. In der Berichtstagsatzung sei kein Beschluss auf Fortführung des Unternehmens auf einstweilen unbestimmte Zeit gefasst worden. Die Monatsfrist für das begünstigte Lösungsrecht habe daher am 24. Juli 2002 zu laufen begonnen. Der allein auf § 25 KO gestützte Austritt des Klägers sei fristwidrig erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Kläger erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil zum Fristenbeginn nach § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO, wenn in der Berichtstagsatzung kein Beschluss über die Unternehmensfortführung oder Unternehmensschließung gefasst wurde, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht. Die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 25 Abs 1 Z 2 KO idF des IRÄG 1997 kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer durch vorzeitigen Austritt innerhalb eines Monats (lit a) nach öffentlicher Bekanntmachung des Beschlusses, mit dem die Schließung des Unternehmens oder eines Unternehmensbereiches angeordnet, bewilligt oder festgestellt wird oder innerhalb eines Monats nach der Berichtstagsatzung (lit b) beendet werden, es sei denn, das Gericht hat dort die Fortführung des Unternehmens auf einstweilen unbestimmte Zeit beschlossen.

Ob die Ansprüche des Klägers im Sinne des § 3a Abs 2 Z 4 IESG gesichert sind, hängt davon ab, ob der Kläger innerhalb der Monatsfrist des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO ausgetreten ist.

Mit der Regelung des § 25 Abs 1 KO stellt der Gesetzgeber nunmehr flexibel auf das konkrete Unternehmensschicksal ab (Gamerith in Buchegger, Österr InsR I § 25 KO Rz 17; Konecny, Beendigungsansprüche der Arbeitnehmer im Konkurs, ZIK 1997, 160 [162]; Weber, Beendigung der Arbeitsverhältnisse im Konkurs nach dem IRÄG 1997, ZIK 1997, 120; 8 ObA 126/02s; 8 ObS 291/00b). Während der Prüfphase ist das Unternehmen im Konkurs gemäß § 114a Abs 1 und 2 KO fortzuführen (Gamerith aaO; Konecny, Insolvenzdatei: Neue/auffallende Rechtsprobleme, ÖJZ 2002, 492 [501]). Nur wenn vor der Berichtstagsatzung offenkundig ist, dass eine Fortführung (bzw eine Wiedereröffnung) zu einer Erhöhung des Ausfalls der Gläubiger führen wird (§ 114a Abs 2 KO), hat das Konkursgericht schon ab Konkurseröffnung die Schließung anzuordnen oder zu bewilligen oder festzustellen, dass das bereits geschlossene Unternehmen geschlossen bleibt (§ 114a Abs 2 KO). Die Einmonatsfrist beginnt dann mit der öffentlichen Bekanntmachung dieses Beschlusses (Gamerith aaO).

Ein solcher Beschluss erging hier nicht.

Nach der Anordnung des § 91a KO hat - wenn nicht bereits eine Unternehmensschließung erfolgte - spätestens 90 Tage nach Konkurseröffnung die Berichtstagsatzung (Gläubigerversammlung) stattzufinden, in der die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise (Fortführung oder Schließung des Unternehmens, Zwangsausgleich) getroffen werden soll.

Nach herrschender Auffassung beginnt im Fall einer Erstreckung der Berichtstagsatzung innerhalb der 90-Tagesfrist des § 91a KO (zur Zulässigkeit Chalupsky/Duursma - Kepplinger, InsR III § 91a Rz 11; Konecny, Zur Abgrenzung Unternehmensschließung - befristete Unternehmensfortführung, ZIK 1998, 73 [77]) der Fristenlauf erst mit der erstreckten Tagsatzung (Holzer, Insolvenz und Arbeitsverhältnis, DRdA 1998, 325 [329]; Holzer/Reissner/Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4 436; Weber aaO 121, 123; Grießer, Die wesentlichen arbeitsrechtlichen Änderungen des IRÄG 1997, ZAS 1998, 1 [2]; Rothner, Die Arbeitnehmer im Recht der Unternehmensfortführung nach dem IRÄG 1997, ZIK 1998, 10 [14]).

Uneinigkeit besteht hingegen über den Beginn des Fristenlaufes, wenn in der Berichtstagsatzung keine Entscheidung über die Unternehmensfortführung getroffen wurde.

Nach einer Auffassung (Holzer aaO 329; Liebeg, IESG² Fn 47 zu Rz 34; Holzer/Reissner/Schwarz aaO 436; Konecny, Zur Abgrenzung Unternehmensschließung - befristete Unternehmensfortführung ZIK 1998, 73 [77]) beginnt die Lösungsfrist auch dann zu laufen, wenn das Unternehmen zwar fortgeführt wird, in der Berichtstagsatzung aber kein Beschluss ergeht.

Grießer (aaO 2; siehe auch Weber aaO 123) hält dieser Auslegung entgegen, dass dadurch der Gesetzeszweck verfehlt würde. Es werde daher eine teleologische Auslegung des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO dahin zu erfolgen haben, dass die Frist für die Lösung der Arbeitsverhältnisse gemäß § 25 KO erst mit dem Zeitpunkt in Gang gesetzt werde, zu dem ein Beschluss über den in der Berichtstagsatzung zu behandelnden Tagesordnungspunkt der Unternehmensfortführung tatsächlich ergehe.

Dieser Auffassung ist im Hinblick auf die auch in der Revision zutreffend hervorgehobene wesentliche Zielrichtung des § 25 KO der Vorzug zu geben: Solange der Betrieb des Gemeinschuldners fortführbar ist, sollen die Arbeitsverhältnisse gar nicht oder nur im unbedingt notwendigen Ausmaß außerordentlich beendet werden können (8 ObA 126/02s; 8 ObS 291/00b). Andernfalls könnte durch den Austritt von für die Fortführung des Unternehmens wichtigen Beschäftigten die Unternehmenssanierung gefährdet werden (Weber aaO 120; Rothner aaO 13; s. auch RV 734 BlgNR 20. GP 36).

Steht nun in der Berichtstagsatzung noch nicht endgültig fest, ob eine Unternehmensschließung oder eine befristete oder eine auf einstweilen unbestimmte Zeit unbefristete Unternehmensfortführung beschlossen wird, könnte der Zweck der Regelung vereitelt werden, gewährte man dennoch ein innerhalb einer Monatsfrist ab der Berichtstagsatzung auszuübendes begünstigtes Lösungsrecht.

Auch der Wortlaut des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO spricht nicht zwingend gegen diese Auslegung: Die befristete Fortführung auf bestimmte Zeit ist eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit (§ 114b KO). Aus § 91a KO ("Entscheidung über die weitere Vorgangsweise, Fortführung oder Schließung des Unternehmens, Zwangsausgleich") ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass der Beschluss über die Unternehmensfortführung (ob befristet oder auf einstweilen unbestimmte Zeit) oder über die Unternehmensschließung in der Berichtstagsatzung zu fassen ist (RV 734 BlgNR 20. GP 33 und 45; ferner Gamerith aaO § 25 KO Rz 17). Insbesondere Weber (aaO 123) verweist darauf, dass die Beschlussfassung in der Berichtstagsatzung selbst zu erfolgen hat. Behalte sich das Gericht die Beschlussfassung vor, würde die Rechtsfolge des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO ausgelöst werden. Alle Arbeitnehmer könnten sofort von ihrem Austrittsrecht Gebrauch machen. Dadurch könnte eine eventuelle Unternehmensfortführung vereitelt werden. Da das nicht im Sinn des Gesetzgebers wäre, sei davon auszugehen, dass das Konkursgericht in der Berichtstagsatzung selbst einen Beschluss zu fassen habe. Bei noch klärungsbedürftigen Fragen habe das Gericht daher eine Erstreckung vorzunehmen und in der neuerlichen Tagsatzung eine Entscheidung zu treffen.

Die gegenteilige Auffassung (Konecny, ÖJZ 2002, 492 [501]; Lentsch Unternehmensfortführung durch den Masseverwalter 123 f; Konecny ZIK 1998, 73 [78]), dass über eine bloß befristete Unternehmensfortführung in der Berichtstagsatzung keine Beschlussfassung erfolgen müsse, wird weder dem Gesetzeszweck noch der Forderung nach Rechtssicherheit gerecht: Gerade weil das Lösungsrecht nach § 25 KO auch bei bloß befristet bewilligter Unternehmensfortführung entsteht, entspricht es dem Gebot der Rechtssicherheit, dass die Entscheidung über das Unternehmensschicksal in Form eines Gerichtsbeschlusses ergeht, der - nach Abschluss der Prüfphase - in der Berichtstagsatzung zu ergehen hat. Hier hat sich nun das Konkursgericht nicht an die Anordnung des Gesetzgebers gehalten und in der Berichtstagsatzung keinen der in § 91a KO vorgesehenen Beschlüsse gefasst. Die "Absichtserklärung" der Konkursrichterin über eine in Zukunft möglicherweise zu bewilligende befristete Unternehmensfortführung (bei Kautionserlag) ist einer Beschlussfassung nicht gleichzuhalten. Dieser vom Gesetzgeber weder in § 25 KO noch in § 3 Abs 2 Z 4 IESG bedachte Fall ist nach dem dargelegten Zweck der Regelung des § 25 KO so zu beurteilen, dass der Kläger - jedenfalls bis zum Ablauf der 90-tägigen Frist des § 91a KO - mit der Anberaumung einer weiteren zur Beschlussfassung nach § 91a KO bestimmten Tagsatzung oder zumindest - wie in der Folge auch geschehen - mit einer Beschlussfassung außerhalb der Berichtstagsatzung rechnen konnte. Der nach tatsächlicher Beschlussfassung über die befristete Unternehmensfortführung noch innerhalb der Monatsfrist nach Ablauf der 90tägigen Frist nach § 91a KO erklärte Austritt des Klägers ist daher bei am Zweck des Gesetzes orientierter Auslegung noch dem Tatbestand des § 25 Abs 1 Z 2 lit b KO zuzuordnen. Eine über das gesetzlich vorgesehene Ausmaß hinausgehende Belastung des Insolvenzausfallgeldfonds ist mit dieser Auslegung ebenfalls nicht verbunden: Unter Berücksichtigung der 90-tägigen Frist des § 91a KO und der daran anschließenden Monatsfrist für den Austritt ist ohnedies ein maximaler Sicherungszeitraum von vier Monaten ab Konkurseröffnung vorgesehen.

Der berechtigten Revision war daher in der Hauptsache Folge zu geben und das nach Klageeinschränkung rechnerisch unstrittige Klagebegehren zuzusprechen.

Die Abweisung des Zinsenbegehrens war jedoch im Hinblick auf dessen gänzliche Unbestimmtheit (Höhe; Beginn des Zinsenlaufs) zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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