OGH 11Os35/04

OGH11Os35/0427.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Margret Katharina E***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 9. November 1998, GZ 3 U 358/98s-49, und gegen die Verlesung von Zeugenaussagen in der der Urteilsfällung vorausgegangenen Hauptverhandlung zu dieser Strafsache nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Dr. Nordmeyer, und des Verteidigers Dr. Insam zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Strafverfahren AZ 3 U 358/98s des Bezirksgerichtes Kufstein wurde das Gesetz verletzt

1) durch die Verlesung der Aussagen des Zeugen Erwin E***** in der in Abwesenheit der Beschuldigten Margret Katharina E***** durchgeführten Hauptverhandlung vom 9. November 1998 sowie

2) durch die Verwertung der Angaben des Zeugen Erwin E***** im Urteil trotz dessen berechtigter Aussageverweigerung in den Bestimmungen der §§ 458 Abs 5, 252 Abs 1 StPO.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 9. November 1998, GZ 3 U 358/98s-49, aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Kufstein verwiesen.

Mit ihrer Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wird die Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Margret Katharina E***** wurde im Verfahren AZ 3 U 358/98s des Bezirksgerichtes Kufstein mit dem in ihrer Abwesenheit gefällten Urteil vom 9. November 1998 (ON 49) der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (2), der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (3) sowie des Betruges nach § 146 StGB (4 und 5) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf eine Verurteilung durch das Amtsgericht München vom 12. März 1998 zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Zusatzfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Ein gegen dieses Abwesenheitsurteil erhobener Einspruch wurde abgewiesen (ON 80) und der dagegen eingebrachten Beschwerde vom Landesgericht Innsbruck nicht Folge gegeben (ON 87). Über die mit der Beschwerde gemäß § 478 Abs 2 StPO verbundene Berufung wegen Nichtigkeit (aus dem Grunde des § 468 Abs 1 Z 3 [§ 281 Abs 1 Z 4] StPO), Schuld und Strafe wurde bisher nicht entschieden. Zur Hauptverhandlung am 9. November 1998 erschienen weder die im Rechtshilfeweg geladene (ON 47 iVm ON 79 und 79a) unvertretene Beschuldigte noch der laut Abfertigungsvermerk der richterlichen Verfügung vom 3. Juli 1998 geladene (ON 43) Zeuge Erwin E*****. Das Protokoll über diese Hauptverhandlung enthält neben Aussagen der Zeugen Sebastian W***** und Maria E***** die Vermerke, dass (unter anderem) die Strafanzeige ON 3, welche auch niederschriftlich festgehaltene Angaben des Geschädigten Erwin E***** (S 35 bis 39) enthält "gemäß § 252 Abs 2 StPO dargetan und verlesen" wird und dass "gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO dargetan und verlesen werden die Aussagen der Zeugen Maria E*****, ON 10, Erwin E***** ON 10" (S 169).

Rechtliche Beurteilung

Diese Aktenverlesung in der in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung sowie die Verwertung der Aussagen des Erwin E***** im Urteil stehen, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Während die Verlesung der Aussage der Maria E***** (ON 10) nicht der Regelung des § 252 Abs 1 StPO unterfällt, weil die Genannte in der Hauptverhandlung vom 9. November 1998 ordnungsgemäß über ihre Wahrheitspflicht sowie über ihr Entschlagungsrecht als Tante der Beschuldigten belehrt wurde, auf letzteres ausdrücklich verzichtete und unmittelbar vor dem erkennenden Richter aussagte, wobei sie ihre zu ON 10 festgehaltenen Angaben zum Inhalt auch dieser Zeugenaussage machte (S 169), war die Verlesung der (belastenden) Aussage des Zeugen Erwin E***** mangels Vorliegens eines der hiefür maßgeblichen Ausnahmetatbestände des § 252 Abs 1 StPO - aus dem Nichterscheinen der Beschuldigten zur Hauptverhandlung ist deren Einverständnis iSd Z 4 leg cit nicht ableitbar (RZ 1999/26) - nicht zulässig. Durch das (konsenslose) Verlesen der Aussage des Erwin E***** in ON 10 und seiner Angaben vor der Sicherheitsbehörde (ON 3, S 35-39), auf die das Erstgericht das kondemnierende Urteil (jedenfalls in seinen Punkten 1 bis 3) stützte, wurde das gemäß § 458 Abs 5 StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren geltende, in § 252 Abs 1 StPO normierte Unmittelbarkeitsprinzip somit verletzt.

Die hinsichtlich der Aussage Erwin E***** aufgezeigten Verfahrensmängel begründen Urteilsnichtigkeit nach § 468 Abs 1 Z 3 StPO, die mangels Geltendmachung in der Berufung vom Rechtsmittelgericht nicht aufgegriffen werden kann. Der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen war, weil sie sich zum Nachteil der Beschuldigten auswirkten, iSd § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen und das davon betroffene Urteil - aus Gründen des Sachzusammenhanges und der Verfahrensökonomie zur Gänze - aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen.

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