Spruch:
Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 9. Mai 2003, AZ 13 d Bl 261/03 (= ON 26 des Strafaktes), verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8. Juli 2002, GZ 18 U 586/01z-18 (nunmehriges AZ 11 U 528/03x), wurde Mag. Werner W***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Nur der Angeklagte bekämpfte das Urteil.
"Aus Anlass der Berufung wegen Nichtigkeit" hob das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 9. Mai 2003, AZ 13 D Bl 261/03 (= ON 26 des Strafaktes) das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Mit "seiner Berufung wegen Schuld und Strafe" wurde der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
In den Gründen führte das Berufungsgericht aus:
"Im Rahmen des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 5 StPO wird Aktenwidrigkeit, Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit des angefochtenen Urteiles gerügt.
Im erstinstanzlichen Urteil wird sowohl im Spruch als auch in der Begründung dargelegt, dass die Zeugin Dr. Gerda L***** eine an sich schwere Körperverletzung erlitten hat, dies mit einer Gesundheitsschädigung mit Berufungsunfähigkeit von jeweils mehr als 14-tägiger Dauer. Diese Feststellungen sind im amtsärztlichen Gutachten Seite 57 begründet.
In ihrer Einvernahme vor der Gendarmerie gab aber die Zeugin an, dass sie insgesamt vier Wochen im Krankenstand war, Schmerzen sie jedoch länger verspürte.
Es ist nun doch für die Straffrage als von Bedeutung anzusehen, ob die Zeugin nur eine an sich schwere Verletzung erlitten hat oder ob auch noch eine Gesundheitsstörung bzw Berufsunfähigkeit von über 24-tägiger Dauer hinzugekommen ist.
Es wird daher im neu durchzuführenden Rechtsgang diesbezüglich ein medizinisches Sachverständigen-Gutachten einzuholen sein.
Des weiteren wird im erstgerichtlichen Urteil festgestellt, dass der Seitenabstand, den der Angeklagte zum rechten Fahrbahnrand der Treitlstraße einhielt, nicht genau festgestellt werden konnte, ebenso die genaue Kollissionsstelle, die Endlage der Fahrräder sowie jene der beiden Radfahrer.
Da die diesbezüglichen Angaben des Angeklagten sowie der vernommenen Zeugen unklar bzw teilweise widersprüchlich sind, erscheint es doch zweckmäßig, einen Ortsaugenschein als auch die Zeugen an Ort und Stelle zu vernehmen. Es besteht zumindest doch die Möglichkeit, dass sich sämtliche Beteiligten an Ort und stelle besser an das Geschehen erinnern können, präzisere Angaben machen können als nur theoretische Angaben unter Zuhilfenahme einer Skizze.
Es werden sohin nach Durchführung des neuen Verfahrens entsprechende Feststellungen zu treffen sein und diese einer rechtlichen Beurteilung zu unterziehen sein.
Aus oben angeführten Gründen war sohin das Urteil aufzuheben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen."
Rechtliche Beurteilung
II. Dieses Urteil steht, wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach § 477 Abs 1 erster Satz StPO hat sich das Berufungsgericht auf die in Beschwerde gezogenen Punkte zu beschränken und darf nur die Teile des erstrichterlichen Erkenntnisses ändern, gegen die die Berufung gerichtet ist. Überzeugt er sich jedoch aus Anlass einer von wem immer ergriffenen Berufung, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§ 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO) oder dass dieselben Gründe, auf denen seine Verfügungen zugunsten eines Angeklagten beruht, auch einem Mitangeklagten zustatten kommen, der die Berufung nicht oder nicht in der Frage kommenden Richtung ergriffen hat, hat der Gerichtshof so vorzugehen, als wäre eine solche Berufung eingelegt (§ 477 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Abgesehen vom zuletzt angeführten, hier nicht aktuellen Fall des sogenannten beneficium cohaesionis kann daher das Berufungsgericht aus Anlass einer Berufung nur dem Angeklagten zum Nachteil gereichende materielle Nichtigkeitsgründe von Amts wegen aufgreifen.
Ein solcher Grund wurde aber vom Berufungsgericht, das keineswegs den aus Z 5 erhobenen Einwand erledigt hat, gar nicht angenommen.
Statt dessen hat das Berufungsgericht zum einen die zum Vorteil des Angeklagten wirkende Nichtannahme einer weiteren Qualifikation des § 84 Abs 1 StGB (erster oder zweiter Fall - welche mit jener des dritten Falles echt konkurrieren können [Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 84 Rz 73]) unter Bezugnahme auf Beweiserwägungen als amtswegig wahrzunehmenden Grund für die Urteilsaufhebung angenommen, zum anderen auch mit der - wiederum aus Beweiserwägungen - für notwendig erachteten Durchführung eines Ortsaugenscheins mit neuer Vernehmung der Beteiligten (die etwa dem Berufungsgericht selbst im Rahmen der Behandlung der Schuldberufung möglich gewesen wäre [§ 473 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 9]) keinen einem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund zuzuordnenden Fehler des Ersturteils behauptet.
Weil die Beseitigung des erstinstanzlichen Schuldspruchs dem Angeklagten zum Vorteil gereichte (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 44) war die Gesetzesverletzung lediglich festzustellen.
Im weiteren Verfahren vermag die gesetzwidrige Entscheidung des Berufungsgerichtes keine Bindung an die in den Gründen jener Entscheidung angeführte Rechtsansicht zu entfalten.
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