OGH 2Ob305/02w

OGH2Ob305/02w24.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois U*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Agrargemeinschaft Tulfes, vertreten durch den Obmann Friedrich P*****, dieser vertreten durch Dr. Eva Maria Posch, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 4.360,37), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. November 2001, GZ 4 R 619/99d-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hall vom 10. Mai 1999, GZ 5 C 74/98x-18, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist aufgrund des Übergabsvertrages vom 9. 5. 1988 Alleineigentümer des geschlossenen Hofes "H*****" in T*****, zu dessen Gutsbestand unter anderem das landwirtschaftlich genützte Grundstück 1648 im Ausmaß von rund 7 ha gehört. Die beklagte Partei ist Körperschaft des öffentlichen Rechtes, in deren Eigentum unter anderem die Liegenschaft EZ 193 GB 8***** T***** steht. Der Kläger begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das Befahren des im Bereich der nordöstlichen Hälfte der Nordwestgrenze vom Grundstück 1645 zu Grundstück 1648 Grundbuch T***** verlaufenden Wegstückes (Wegstück a) sowie des im südlichen Teil vom Grundstück 1648 mit einer Länge von 50 m verlaufenden Wegstückes (Wegstück b) zu unterlassen. Die beklagte Partei sei zur Benützung dieses Weges nicht berechtigt; auch die Rechtsvorgänger des Klägers hätten keinerlei Zustimmung zur Benützung erteilt. Ein Dienstbarkeitsvertrag sei von der beklagten Partei lediglich mit den Eigentümern von Nachbargrundstücken abgeschlossen worden. In einem vor dem Erstgericht ausgetragenen Rechtsstreit sei im Vergleich vom 1. 7. 1996 klargestellt worden, dass der im Dienstbarkeitsvertrag geregelte Weg auch auf einer Länge von annähernd 90 m über Grundstück 1648 verlaufe; der Grenzverlauf sei einvernehmlich festgelegt worden. Die beklagte Partei sei nicht bereit, mit dem Kläger einen entsprechenden Dienstbarkeitsvertrag zu schließen. Eine Ersitzung der Wegbenützung sei nicht eingetreten. Eine allfällige Ersitzung durch die beklagte Partei sei durch die Errichtung einer neuen Weganlage im Jahr 1980 abgebrochen worden. Der beklagten Partei mangle es an der für eine Ersitzung erforderlichen Redlichkeit.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass der Weg seit unvordenklicher Zeit auf ein und derselben Trasse verlaufen sei. Bei Abschluss von Dienstbarkeitsverträgen mit Anrainern im Jahr 1982 seien die Vertragspartner offensichtlich der Überzeugung gewesen, dass der Weg nicht auf dem klägerischen Grundstück, sondern auf einem Nachbargrundstück verlaufe. Wenn sich heute ein Teil des Weges auf dem klägerischen Grundstück befinde, sei dies auf eine Grenzänderung zurückzuführen. Mit der Übernahme des Weges in das Eigentum des Klägers habe dieser auch die Belastung mit der verbücherten und offenkundigen Dienstbarkeit übernommen. Die beklagte Partei übe ihr Wegerecht sowohl aus diesem Grunde, als auch aus dem Titel der Ersitzung aus. Sie habe den Weg seit mehr als 30 Jahren im Umfang des jeweiligen Bedarfs benützt und das Wegerecht ersessen. Das Erstgericht wies im ersten Rechtsgang das Klagebegehren zur Gänze ab.

Es traf Feststellungen über die Wegbenützung seit den Vierzigerjahren durch die Mitglieder der beklagten Partei, die in den Fünfzigerjahren gegründet worden war. Weiters stellte es fest, dass sie im Jahr 1980 beabsichtigt habe, den bereits bestehenden Weg asphaltieren zu lassen. Zu diesem Zwecke habe am 19. 2. 1980 eine Besprechung zwischen den in Betracht kommenden Waldbesitzern und dem damaligen Obmann der beklagten Partei stattgefunden. Die Mutter des Klägers und damalige Eigentümerin des betreffenden Grundstückes sei mit der damals getroffenen Einigung, wonach die Waldbesitzer entschädigt werden sollten und die Breite des Weges maximal 4 m betragen sollte, einverstanden gewesen. Da unklar gewesen sei, ob das klägerische Grundstück durch den Wegverlauf überhaupt betroffen sei, sei eine Vermessung des Weges beschlossen worden. Eine spätere Vermessung habe das unrichtige Ergebnis erbracht, dass der strittige Weg nicht über das klägerische Grundstück verlaufe. In der Annahme, dass daher der Weg nicht über das klägerische Grundstück verlaufe, sei am 11. 5. 1982 zwischen der beklagten Partei und den übrigen Waldbesitzern, nicht aber auch mit der Mutter des Klägers, ein Dienstbarkeitsvertrag über die Wegbenützung geschlossen worden.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass die beklagte Partei eine unregelmäßige Dienstbarkeit ersessen habe. Der von ihr ins Treffen geführte Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1982 sei aber weder mit dem Kläger noch mit dessen Rechtsvorgängerin abgeschlossen worden und vermöge daher nicht zu greifen. Wohl habe die beklagte Partei das Servitutsrecht ersessen, weil sowohl ihre Gutgläubigkeit als auch ihr Besitzwille zu bejahen seien. Die Mitglieder der beklagten Partei hätten den Weg benutzt, dies habe ihr zum Vorteil gereicht. Der von ihr abgeschlossene Dienstbarkeitsvertrag vermöge die Redlichkeit nicht zu erschüttern, weil dieser mit der Rechtsvorgängerin des Klägers nur deshalb nicht abgeschlossen worden sei, da man angenommen habe, dass der Weg nicht auf ihrem Grundstück verlaufe. Es bestehe kein Zweifel, dass der Kläger Kenntnis von der tatsächlichen Benützung gehabt habe. Die Zunahme des Verkehrs über den Weg stelle keine unzulässige Erweiterung der ungemessenen Dienstbarkeit dar. Das Berufungsgericht bestätigte zunächst mit Teilurteil diese Entscheidung in Ansehung des nördlichen Wegstückes. Diese Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, entweder aufgrund der vorhandenen Sachverhaltsgrundlage eine neuerliche Entscheidung über den Ersitzungstatbestand hinsichtlich des nördlichen Weges a zu fällen oder den Parteien die Erörterung des Sachverhaltes betreffend die vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht herangezogenen Vereinbarung aus dem Jahre 1980 zu ermöglichen.

Mit dem angefochtenen Teilurteil hat das Berufungsgericht neuerlich die Abweisung des Klagebegehrens in Ansehung des nördlichen Wegstückes bestätigt und zunächst ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, diesen Ausspruch aber über Antrag nach § 508 ZPO dahin abgeändert, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Es vertrat die Rechtsansicht, dass die beklagte Partei Anfang der Fünfzigerjahre gegründet worden sei und ihre Mitglieder damals berechtigt gewesen seien, Holz aus ihrem Wald zu beziehen. Ende der Fünfzigerjahre sei der Weg mit Traktoren und fallweise einem Jeep zur Holzbringung befahren worden. Da somit die Mitglieder der beklagten Partei das Wegstück a seit Anfang der Fünfzigerjahre benutzt hätten, sei davon auszugehen, dass die uneigentliche Ersitzung bereits Anfang der Fünfzigerjahre begonnen und Anfang der Achtzigerjahre geendet habe. Die Redlichkeit der Mitglieder der beklagten Partei sei durch den Abschluss des Dienstbarkeitsvertrages vom 19. 2. 1980 nicht in Frage zu stellen. Aus der Tatsache, dass die beklagte Partei gegen Ende der Ersitzungszeit einen entgeltlichen Dienstbarkeitsvertrag über die Benützung des Weges mit anderen Grundeigentümern abgeschlossen habe, könne nicht auf mangelnde Redlichkeit geschlossen werden. Es bleibe einem Ersitzungsbesitzer unbenommen, eine gerichtliche Auseinandersetzung zur grundbücherlichen Einverleibung der ersessenen Wegdienstbarkeit zu vermeiden und den Weg einer einvernehmlichen vertraglichen Regelung zu wählen. Der Abschluss eines Dienstbarkeitsvertrages könne nicht dahin gedeutet werden, dass die beklagte Partei im Hinblick auf ein Wegstück, das von dieser Vereinbarung nicht umfasst sein sollte, auf ihre schon fast zur Gänze abgelaufene Ersitzungszeit verzichte. Sollte ein rechtsgeschäftlicher Erwerb der Dienstbarkeit der beklagten Partei durch die Vereinbarung am 19. 2. 1980 nicht erfolgt sein, könne diese Vereinbarung keinesfalls die Redlichkeit der beklagten Partei als Ersitzungsbesitzerin in Frage stellen.

Der Kläger macht in seiner Revision geltend, dass die beklagte Partei Rechtspersönlichkeit erst nach deren Regulierung in den Siebzigerjahren erlangt habe und erst ab diesem Zeitpunkt sie als Rechtsperson Ersitzungshandlungen habe setzen können. Für den Erwerb einer unregelmäßigen Servitut finde keine Einrechnung von Besitzzeiten eines Vormannes statt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger hat zwar vorgebracht, eine Ersitzung des strittigen Weges durch die beklagte Partei habe nicht erfolgen können, weil diese erst in den Siebzigerjahren "reguliert" worden sei.

Die beklagte Partei hat dazu ausgeführt, dass durch die Regulierung keinesfalls eine Änderung in der Rechtspersönlichkeit der beklagten Partei eingetreten sei, weil die "Regulierung" lediglich ein Festschreiben der Satzung darstelle (AS 113). Darauf hat der Kläger erwidert, dass die Agrargemeinschaft mit Regulierungsplan vom 15. 2. 1960 gebildet worden sei, weshalb die "mit dem Zeitpunkt der Begründung der Agrargemeinschaft eingewendete mangelnde Ersitzung zufolge Zeitablaufes zurückgezogen werden müsse" (AS 115). Der Kläger hat sich zum Nachweis seiner Behauptung auf einen Regulierungsplan des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 15. 2. 1960 (Beilage K) berufen.

Der Kläger verweist nun in seiner Revision darauf, dass die Frage, ob Agrargemeinschaften als juristische Personen anzusehen, in erster Linie anhand jener Vorschriften zu beurteilen sind, die die einzelnen Bundesländer in Ausführung des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes erlassen haben. Die erstgerichtliche Feststellung, die beklagte Partei sei "Anfang der Fünfzigerjahre" gegründet worden, lasse noch keine Beurteilung über deren Rechtsnatur zu.

Zu diesen Ausführungen ist zunächst anzumerken, dass der Kläger auch in seinem Rechtsmittel gegen das Ersturteil die "Gründung" der Beklagten Anfang der Fünfzigerjahre nicht in Frage stellt (Berufung ON 19 S 4).

Zur Frage, ob die Beklagte vor ihrer "Regulierung am 15. 2. 1960" Rechtspersönlichkeit erlangen konnte, ist aber auf die bis zur Erlassung des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes BGBl 1951/103 ergangene Rechtsprechung zu verweisen, wonach Agrargemeinschaften juristische Personen sind (SZ 24/98, vgl SZ 48/62). Seit Erlassung des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes ist die Rechtsfähigkeit von Agrargemeinschaften nach den Vorschriften, die die einzelnen Bundesländer in Ausführung des Grundsatzgesetzes erlassen haben, zu beurteilen (SZ 48/62).

Nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1952 (TLGBl 1952/32), auf das sich der Regulierungsbescheid betreffend das Gemeindegut T***** bezieht, sind körperschaftlich eingerichtete Agargemeinschaften rechtsfähig und müssen eine Verwaltungssatzug haben (§ 37 Abs 2 leg cit). Nach § 81 TFLG 1952 ist den aus mindestens fünf Mitgliedern bestehenden Agargemeinschaften, die nicht körperschaftlich eingerichtet sind, durch Ausstellung von Verwaltungssatzungen eine körperschaftliche Verfassung zu geben. Abgesehen davon, dass die Beklagte, wie sich aus dem Bescheid vom 15. 2. 1960 ergibt, aus mehr als fünf Mitgliedern, nämlich 70 Mitgliedern, besteht, bezieht sich dieser Bescheid ausdrücklich auf § 86 leg cit, der die Abänderung eines bestehenden Regulierungsplanes zum Inhalt hat. Daraus kann eindeutig darauf geschlossen werden, dass lediglich ein bestehender Regulierungsplan abgeändert wurde. Unabhängig davon, ob nun der beklagten Partei erstmalig mit dem genannten Bescheid eine Verwaltungssatzung ausgestellt wurde oder nur ein bereits bestehender Regulierungsplan abgeändert wurde, ist nach der zitierten Rechtsprechung unzweifelhaft davon auszugehen, dass die beklagte Partei als juristische Person schon zuvor bestanden hat und danach eine Änderung der Rechtspersönlichkeit nicht eingetreten ist. Ihr sind daher alle Ersitzungshandlungen ihrer Mitglieder zuzurechnen.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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