OGH 12Os1/04

OGH12Os1/0411.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Abdolhamid H***** wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs 1, Abs, 2 Abs 3 und Abs 5 FrG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. Oktober 2003, GZ 043 Hv 49/03v-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen (A/I-V) unberührt bleibt, im Schuldspruchpunkt B (wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB) und demzufolge auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufgehoben und dem Erstgericht die neue Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung aufgetragen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf sein erfolgloses Rechtsmittel entfallenden Kosten des Rechtmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Abdolhamid H***** (richtig:) der Verbrechen der (zu ergänzen: teils versuchten) Schlepperei nach § 104 Abs 1, Abs, 2 Abs 3 und Abs 5 FrG (zu ergänzen:) und § 15 StGB (A/I-V) sowie der kriminellen Organisation nach (richtig:) § 278a StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien und an anderen Orten Österreichs

"A) fortgesetzt in mehrfachen Tathandlungen gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise von Fremden, die aus ihren Heimatländern nach Österreich und von hier nach Deutschland gebracht wurden, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, dass dies gegen einen nicht bloß geringen Vermögensvorteil für ihn oder einen anderen geschieht und zwar zusammen mit den nachfolgend genannten gesondert verfolgten Personen oder bisher noch nicht ausgeforschten Tätern

I. von Juli 2001 bis September 2001 zusammen mit Abdul Matin A***** und unbekannten Tätern durch Verbringen von insgesamt mindestens 35 Fremden von Wien über Salzburg nach Deutschland,

II. in nicht mehr genau festzustellenden Zeiten zusammen mit nicht mehr auszuforschenden Tätern durch Verbringen von insgesamt 501 Fremden in verschiedene EU-Länder,

III. im Juli 2001 zusammen mit Roshan L***** und unbekannten Tätern durch Verbringen von zwei Fremden von Wien nach Deutschland, im August 2002 zusammen mit Roshan L***** und unbekannten Tätern durch Verbringen IV. von zwei Fremden von Wien nach Deutschland, wobei es bei einem Fremden beim Versuch geblieben ist,

V. vom 23. März 2001 bis 6. September 2001 zusammen mit den gesondert verfolgten Josef L*****, Chander P*****, Jayant P*****, Christl Karin Elisabeth H*****, Naquibullah H*****, Ahmad Zaher S*****, Angar L***** und einem nicht mehr auszuforschenden Täter namens T***** durch Verbringen von Afghanen aus Österreich in die im Folgenden genannten Orte, und zwar

1. am 23. und 24. März 2001 durch Verbringen von sechs Fremden nach Hamburg,

2. zwischen 25. und 27. März 2001 durch Verbringen von sieben Fremden nach Hamburg,

3. am 4. und 5. April 2001 durch Verbringen von fünf Fremden nach Hamburg,

4. vom 8. zum 9. April 2001 durch Verbringen von zehn Fremden nach Hamburg,

5. vom 15. zum 16. April 2001 durch Verbringen von 12 Fremden nach Hamburg,

6. vom 19. zum 20. April 2001 durch Verbringen von 12 Fremden nach Frankfurt und Hamburg,

7. vom 23. zum 24. April 2001 durch Verbringen von fünf Fremden nach München, von zehn Fremden nach Frankfurt und von einem Fremden nach Hamburg,

8. zwischen 26. und 28. April 2001 durch Verbringen von 13 Fremden nach Hamburg,

9. zwischen 30. April und 2. Mai 2001 durch Verbringen von 19 Fremden nach Frankfurt und Hamburg,

10. zwischen 4. und 6. Mai 2001 durch Verbringen von 19 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

11. am 31. Mai 2001 durch Verbringen von sechs Fremde nach Frankfurt und sieben nach Hamburg,

12. am 4. und 6. Juni 2001 durch Verbringen von sechs Fremden nach Frankfurt und von sechs Fremden nach Hamburg,

13. vom 14. zum 15. Juni 2001 durch Verbringen von 15 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

14. vom 19. zum 20. Juni 2001 durch Verbringen von 14 Fremden nach Frankfurt und Hamburg,

15. vom 21. zum 22. Juni 2001 durch Verbringen von 15 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

16. vom 9. zum 10. Juli 2001 durch Verbringen von 15 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

17. zwischen 11. und 13. Juli 2001 durch Verbringen von 15 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

18. zwischen 17. und 21. Juli 2001 durch Verbringen von 13 Fremden nach unbekannten Zielorten in Deutschland,

19. zwischen 24. und 28. Juli 2001 durch Verbringen von 15 Fremden nach München und Frankfurt,

20. zwischen 24. und 28. Juli 2001 durch Verbringen von zwei Fremden nach München und von zehn Fremden nach Frankfurt,

21. zwischen 24. und 28. Juli 2001 durch Verbringen von 17 Fremden nach München,

22. am 6. September 2001 durch Verbringen von 20 Fremden nach Teisenberg (Bayern),

wobei Abdolhamid H***** in einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur fortgesetzten Begehung der Schlepperei führend tätig war;

B) von März 2001 bis September 2001 sich zusammen mit den unter Punkt A namentlich bezeichneten sowie mit unbekannten Mittätern an einer auf längere Zeit ausgerichteten, unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Anzahl von Personen beteiligt, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen auf dem Gebiet der Schlepperei ausgerichtet ist".

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider hat sich das Schöffengericht ohnedies mit den im Verlauf des Verfahrens widersprüchlichen Angaben des Zeugen Angar L***** auseinander gesetzt und diese logisch und empirisch einwandfrei damit erklärt, dass er sich zunächst nicht selbst belasten wollte, in weiterer Folge aber die führende Rolle des Angeklagten bei der fortgesetzten Begehung der Schlepperei wahrheitsgemäß bekundete (US 11).

Die Begründungspassage, wonach der genannte Zeuge erst in der Hauptverhandlung eingestand, einige Eintragungen in den die Aufzeichnungen über die Schlepperei enthaltenden Kalender vorgenommen zu haben (abermals US 11), ist zwar - wie die Beschwerde zutreffend darlegt - aktenwidrig, weil Angar L***** auch zuletzt eigene Eintragungen in Abrede stellte (vgl S 213, 233 und 235/III). Im Hinblick darauf, dass diese Aussagen die erstgerichtliche, den Schuldspruch (mit)tragende Annahme stützen, wonach die in Rede stehenden Notizen vom Angeklagten vorgenommen wurden, "weil nicht erklärlich ist, dass in den Aufzeichnungen L***** als Empfänger von Geldsummen in der dritten Person angeführt ist, wenn er selbst Urheber der Eintragungen sein soll" (US 7, 10), ist unzweifelhaft erkennbar, da die reklamierte Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO).

Die geforderte Erörterung des von Angar L***** angegebenen Umstands, wonach er als Dolmetsch für den Angeklagten beim Kontakt mit "K*****" fungierte, war nicht geboten, weil er ohnedies darlegte, dass sich der Genannte mit dem Angeklagten verständigen konnte und seine Tätigkeit damit umschrieb, dass er wiederholt Telefonate führte und "alles mit ihm (K*****) machen" musste (S 255/III). Mit Spekulationen darüber, dass der als Zeuge vernommene Mittäter L***** den Angeklagten hätte sehen müssen, wenn er sich entsprechend der Darstellung des Angar L***** dem Wohnwagen (mit den geschleppten Personen) genähert hätte, bekämpft der Beschwerdeführer bloß die mängelfreie Beweiswürdigung nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Dies trifft auch auf die Beschwerdebehauptung zu, in der Äußerung des Zeugen Angar L*****, dass der Angeklagte der Chef (ua) seines Bruders (Roshan L***** = "Djahangir") war und seiner Aussage, "wir (gemeint: der Angeklagte und Angar L*****) haben beide nicht mit Djahangir zu tun gehabt, Djahangir hat für sich gearbeitet und wir haben für uns gearbeitet", liege ein erörterungsbedürftiger Widerspruch. Trachtet die Beschwerde doch auch in diesem Fall unter Vernachlässigung der weiteren Zeugendepositionen, wonach sein Bruder und er im Auftrag des Angeklagten als Schlepper fungierten, bei den einzelnen Aufträgen aber nicht zusammen arbeiteten (S 241/III), der isoliert herausgegriffenen Aussagepassage einen von der Aussage insgesamt nicht getragenen Bedeutungsinhalt zu geben.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), wonach "nach Ansicht des Berufungswerbers ein gewisser Feststellungsmangel hierin zu erblicken ist, da offenbar das Faktum II und das Faktum V ident ist", setzt sich über die - auf die Erhebungen des Landesgendarmeriekommandos für Burgenland (ON 53) gestützten - gegenteiligen Urteilsannahmen (US 7 und 8 f) hinweg und verfehlt so den notwendigen Vergleich des im Urteil festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz und damit die prozessordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes.

Die teils offenbar unbegründete, teils nicht gesetzmäßig ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Aus Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass das Urteil im Schuldspruch wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a Abs 1 StGB aF mit dem Mangel an rechtsirrtümlich unterlassenen Feststellungen behaftet ist, die insoweit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO bewirken.

Denn durch die unkritische Übernahme der in der Anklage vertretenen, rechtlich verfehlten Auffassung durch das Erstgericht, die Z 1 des § 278a StGB (im Urteilszeitpunkt galt bereits die neue Fassung) stelle für sich allein den Tatbestand des in Rede stehenden Verbrechens dar, hat es keine Feststellungen zu den kumulativ erforderlichen Tatbestandselementen der Z 2 und Z 3 leg cit getroffen. Es kann daher nicht abschließend beurteilt werden, ob das Tatverhalten unter den - nach dem Anzeigesubstrat massiv indizierten - Verbrechenstatbestand der kriminellen Organisation nach § 278a StGB oder (bloß) unter den (für den Angeklagten im Vergleich zu dem durch das StRÄG 2002, BGBl I 2002/134 am 1. Oktober 2002 eingeführten Tatbestand der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1-3 StGB günstigeren) Vergehenstatbestand der Bandenbildung nach § 278 Abs 1 StGB aF - zum Günstigkeitsvergleich zwischen §§ 278 StGB aF und nF vgl 13 Os 25/03 - zu subsumieren ist.

Die aufgezeigte materielle Nichtigkeit erfordert die Kassation des in Rede stehenden Schuldspruchpunktes B, damit auch des Strafausspruchs und die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung durch das Erstgericht (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Stichworte