OGH 1Ob249/03d

OGH1Ob249/03d10.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang H*****, vertreten durch Dr. Günter Tews und Mag. Christian Fischer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Ulrike H*****, vertreten durch Dr. Gudrun Truschner, Rechtsanwältin in Wels, wegen Ehescheidung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Mai 2003, GZ 15 R 151/03m-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 27. Dezember 2002, GZ 3 C 150/00m-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen über den Antrag der beklagten Partei, das alleinige (in eventu das überwiegende) Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen, werden einschließlich der Kostenentscheidungen aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das auf Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der beklagten Partei gerichtete Hauptbegehren (rechtskräftig) ab und sprach (ebenfalls rechtskräftig) die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG aus. Ausgehend von gleichgewichtigen schweren Eheverfehlungen beider Streitteile vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Ehegatten hätten die Zerrüttung ihrer Ehe zu gleichen Teilen verschuldet, weshalb der von der beklagten Partei begehrte Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nicht in Betracht komme. Die Beklagte habe mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht, wogegen der Kläger durch die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft den maßgeblichen Grund für die unheilbare Zerrüttung der Ehe der Streitteile gesetzt habe; die Aufnahme einer intimen Beziehung zu einer anderen Frau einige Monate nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft falle bei der Verschuldensabwägung nicht mehr ins Gewicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Der Beklagten sei vorzuwerfen, dass sie trotz entsprechender Hinweise des Klägers im Juni 1998, ihre hohen Ausgaben würden ihre künftige finanzielle Existenz gefährden, bereits im Dezember 1998 wieder einen Debetsaldo von über 140.000 S auf ihrem Konto habe anwachsen lassen, sodass es im Frühjahr 1999 neuerlich erforderlich gewesen sei, das Konto auszugleichen. Die völlig übersteigerte "Einkaufstätigkeit" der Beklagten - spätestens ab Juni 1998 auch gegen den ausgesprochenen Willen des Klägers - sei die wesentliche Ursache für den Beginn der Ehezerrüttung gewesen. Abgesehen davon, dass eine (schlüssige) Verzeihung ihres Fehlverhaltens nicht erfolgt sei, sei die Frage der Verzeihung bei der Abwägung des Zerrüttungsverschuldens ohne wesentliche Bedeutung. Dem Kläger sei für den Zeitraum vor der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft keine einzige Eheverfehlung anzulasten. Die Information seiner Mutter über die ungünstige finanzielle Situation der Beklagten sei ihm schon deshalb nicht vorzuwerfen, weil gerade seine Mutter dazu beigetragen habe, den Negativsaldo auf dem Konto der Beklagten auszugleichen. Ebensowenig stelle die im Mai 1999 getroffene Vereinbarung zwischen den Ehegatten über eine Beschränkung der Ausgaben der Beklagten durch ein "Taschengeld" von nur 1.000 S je Woche eine als schwere Eheverfehlung zu beurteilende Bevormundung der Beklagten dar; der Kläger sei vielmehr im Rahmen seiner ehelichen Beistandspflicht geradezu verpflichtet gewesen, die Beklagte bei ihren Versuchen, ihre Ausgaben zu reduzieren, zu unterstützen, nachdem vorher getroffene schlichte Vereinbarungen (ohne Rückgabe von Bankomat- und Kreditkarte sowie eine Ausgabenbeschränkung auf bestimmte Beträge) keine Wirkung gezeigt hätten. Dem Kläger sei allein die einseitige Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft anzulasten. Dieser Verfehlung komme indes trotz der gesundheitlichen Beschwerden der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt kein zusätzliches Gewicht zu, weil eine besondere Hilfsbedürftigkeit weder behauptet noch bewiesen worden sei. Auch wenn nicht feststehe, zu welchem Zeitpunkt der Kläger nach seinem Auszug die eheliche Gesinnung verloren habe, was schließlich die unheilbare Zerrüttung herbeigeführt habe, sei unzweifelhaft, dass die ab Herbst 1999 folgende ehewidrige Beziehung zu einer anderen Frau mit seinem Auszug in keinen Zusammenhang gebracht werden könne. Damit liege aber ein keinesfalls mehr vernachlässigbarer Anteil der Beklagten am Zerrüttungsverschulden vor, sodass der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers nicht sachgerecht wäre. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Beurteilung des Verschuldens an der Zerrüttung einer Ehe immer von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Feststellungen der Vorinstanzen nicht ausreichen, um den Einfluss der jeweiligen Eheverfehlungen auf die Zerrüttung der Ehe verlässlich beurteilen zu können. Sie ist damit in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Zutreffend verweist die Revisionswerberin insbesondere darauf, dass die Vorinstanzen den (ungefähren) Zeitpunkt der endgültigen Zerrüttung der Ehe nicht festgestellt haben, sodass für die Beurteilung, die Aufnahme einer Beziehung zu einer anderen Frau habe auf die Zerrüttung der Ehe keinen Einfluss mehr haben können, in Wahrheit die Grundlage fehlt. Unheilbare Zerrüttung einer Ehe ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem der Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 36.360, 41.241, 57.157 ua), wobei es genügt, dass einer - in der Regel der klagende - Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren hat (SZ 35/31, EFSlg 57.158 ua).

Das Erstgericht hat festgestellt, die Streitteile hätten im Mai 1999 die Vereinbarung über die Rückgabe der Kredit- und Bankomatkarte durch die Beklagte sowie die Beschränkung auf ein "Taschengeld" beschlossen; der Kläger habe nur darin noch eine Chance gesehen, die Beklagte zu einer geordneten finanziellen Gebarung zu veranlassen. Nach gemeinsamen Urlauben im Mai und im Juni 1999 sei der Kläger Ende Juli 1999 aus der bisherigen Ehewohnung ausgezogen und habe dabei erstmals seine Scheidungsabsicht geäußert. Dabei sei er der Meinung gewesen, dies werde für die Beklagte ein Schockerlebnis sein und für sie heilsame Wirkung zeitigen; er sei auch "allenfalls" dazu bereit gewesen, wieder zur Beklagten zurückzukehren, und habe gedacht, sie würde sich noch ändern. Im Laufe des Herbstes 1999 habe sich eine engere Beziehung zu einer anderen Frau entwickelt, ab Herbst 2002 sei es dabei auch zu intimen Kontakten gekommen. Zum Zeitpunkt des Auszugs sei der Kläger bereit gewesen, die eheliche Gemeinschaft "allenfalls" fortzusetzen; bei ihm sei die eheliche Gesinnung noch nicht gänzlich zerstört gewesen. Für die Beklagte sei die Ehe bis Mai/Juni 1999 harmonisch verlaufen; sie habe bis etwa Mitte/Ende 2000 gehofft, die Beziehung würde wieder in Ordnung kommen. Diese Feststellungen lassen jedoch gerade offen, ob sich die Beklagte in der Zeit nach dem Auszug des Klägers vereinbarungsgemäß verhielt und mit dem "Taschengeld" von S 4.000 im Monat auskam. Offen bleibt auch, ob ein Verstoß der Beklagten gegen diese Vereinbarung für den Kläger Anlass war, seine ursprüngliche Bereitschaft zur Rückkehr aufzugeben oder ob andere Ursachen für seinen Gesinnungswandel maßgeblich waren. Nachdem schon das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die einseitige Beendigung der ehelichen Gemeinschaft bei der Beurteilung des "Zerrüttungsverschuldens" durchaus erheblich ins Gewicht fallen kann, wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren die maßgeblichen Feststellungen zum Anlass und zum Zeitpunkt der Aufgabe der ehelichen Gesinnung durch den Kläger nachzuholen haben.

Wie schon das Berufungsgericht dargelegt hat, kommt ein Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG bei beiderseitigem Verschulden an der Zerrüttung nur in Betracht, wenn die Schuld des Klägers deutlich überwiegt (EFSlg 41.289, 43.699, 46.254 ua), wenn also der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ganz augenscheinlich hervortritt (EFSlg 41.291, 51.664, 69.265 ua). Dabei müsste das Verschulden der Beklagten gegenüber jenem des Klägers fast völlig in den Hintergrund treten (EFSlg 46.261, 51.666, 69.266 ua). Hat das schuldhafte Verhalten eines Teils das des anderen hervorgerufen, so wird dem früheren Beitrag zur Zerrüttung der Ehe häufig größeres Gewicht beizumessen sein (EFSlg 87.507). Es ist allerdings nicht nur zu berücksichtigen, wer mit dem zur Zerrüttung der Ehe führenden Verhalten begonnen hat, sondern vor allem, wer in deutlich überwiegendem Maße dazu beigetragen hat, dass die Ehe schließlich unheilbar zerrüttet wurde (EFSlg 51.667, 69.267, 90.347 ua). Ein den ehelichen Verpflichtungen widersprechendes Verhalten erst nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist regelmäßig nicht zu berücksichtigen (RZ 1983/15). Einer "Verzeihung" kommt bei Beurteilung der Frage des Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe keine Bedeutung zu (RZ 1983/15 = EFSlg 41.296).

Sollte nach den Ergebnissen des fortgesetzten Verfahrens dem Kläger der Vorwurf zu machen sein, dass er durch die Aufrechterhaltung der Trennung und die Eingehung einer "engeren Beziehung" zu einer anderen Frau zur Zerrüttung der Ehe ganz entscheidend beigetragen habe, so wird im Rahmen der dargelegten Grundsätze zu beurteilen sein, ob sein Beitrag zur Zerrüttung derart deutlich schwerer wiegt als jener der Beklagten, dass der Ausspruch überwiegenden Verschuldens im Sinne des § 61 Abs 3 EheG berechtigt wäre. Der Oberste Gerichtshof schließt sich bei Beurteilung der sonst ins Treffen geführten - teilweise verneinten - Eheverfehlungen der Streitteile der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts an, sodass es insoweit ausreicht, auf dessen Begründung zu verweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte