Spruch:
Im Verfahren AZ 3 U 43/02t des Bezirksgerichtes Linz-Land wurde § 295 StGB verletzt
- 1. durch das Urteil dieses Gerichtes vom 13. März 2002 (ON 11) sowie
- 2. durch das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 11. September 2002, AZ 20 Bl 52/02 (= ON 15).
Beide Urteile werden aufgehoben. Gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 292 letzter SatzStPO wird in der Sache selbst erkannt:
Redzo O***** wird von dem Antrag auf Bestrafung, er habe am 16. März 2001 an einem unbekannten Ort zwischen Venedig und der österreichischen Grenze durch Wegwerfen der Fahrtenschreiberschaublätter vom 11. März 2001, 22.00 Uhr bis 16. März 2001, 21.17 Uhr, sohin zur Überprüfung der einzuhaltenden Lenk- und Ruhezeiten gemäß § 102 KFG dienende Beweismittel, die zur Verwendung in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren bestimmt waren und über die er nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz vernichtet, zu verhindern, dass diese im Verfahren gebraucht werden, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 13. März 2002, GZ 3 U 43/02t-11, wurde Redzo O***** wegen des aus dem Spruch ersichtlichen Sachverhalts des Vergehens der Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB schuldig erkannt.
Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen trat Redzo O*****, der als angestellter Kraftfahrer seit den Abendstunden des 11. März 2001 allein mit einem Sattelzugfahrzeug samt Anhänger in Österreich, in der BRD und in Italien unterwegs war, am 16. März 2001 von Mailand aus die Heimreise nach Österreich an. Da er schon zuvor auf den Terminfahrten die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten hatte, aber aufgrund eines langen Staus und starker Präsenz der Polizei in Italien mit Kontrollen rechnete, fuhr er gegen 21.00 Uhr - noch in Italien - zu einer Autobahnraststation und warf dort die Schaublätter der gesamten Woche ab Sonntag, dem 11. März 2001, weg.
Das Erstgericht hielt ferner fest, dem Angeklagten sei im Zeitpunkt der Vernichtung der Schaublätter bewusst gewesen, dass er diese eigentlich als Beweismittel bei Verkehrskontrollen zur Überprüfung der Einhaltung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten mitführen müsste. Er habe bei Vernichtung der Schaublätter zumindest mit dem bedingten Vorsatz gehandelt, zu verhindern, dass diese Tachografenscheiben als Beweismittel im Falle einer Verkehrskontrolle gebraucht werden.
Den weiteren Urteilsannahmen zufolge legte er daraufhin ein neues Schaublatt in das Kontrollgerät ein und fuhr nach Verlassen der Raststation über die österreichische Grenze. Als er in den späten Abendstunden auf der Südautobahn von "der Polizei" zu einer Verkehrskontrolle angehalten wurde, händigte er den Kontrollorganen (nur) das zuletzt eingelegte Schaublatt aus und gab erst nach Vorhalt zu, die vorgesehenen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten und deshalb die Schaublätter vernichtet zu haben (US 2 f). Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts gelangte das Bezirksgericht in seiner rechtlichen Beurteilung zum Ergebnis, der Beschuldigte sei gemäß der Regelungen des § 102 Abs 1 KFG iVm der Verordnung (EWG) Nr 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr sowie die mitgeführten Schaublätter verpflichtet gewesen, die Schaublätter der laufenden Woche sowie jenes für den letzten Tag der vorangegangen Woche, an dem er fuhr, mitzuführen und diese auf Verlangen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der Straßenaufsicht auszuhändigen. Er habe jederzeit mit einer Überprüfung durch die Exekutive im Rahmen der üblichen Verkehrskontrollen sowie damit rechnen müssen, dass diese (einzigen) Beweismittel in einem derartigen Verfahren künftig benützt werden sollten oder könnten (US 4 f).
Das Landesgericht Linz gab mit Urteil vom 11. September 2002, AZ 20 Bl 52/02 (= ON 15), der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld keine Folge.
Es begegnete - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - dem Nichtigkeitsvorwurf, zum Zeitpunkt der Unterdrückung sei die erforderliche Verwendungsbestimmung der Schaublätter (in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren) noch nicht vorgelegen, mit dem Argument, der Angeklagte habe "aufgrund der Verordnung 3821/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr, Art 14 Abs 2, die Verpflichtung, die benutzten Schaublätter seinem Arbeitgeber auszufolgen, zumal 'das Unternehmen die Schaublätter nach der Benutzung zumindest ein Jahr lang gut geordnet aufbewahrt'" (US 13).
Dem Einwand der Schuldberufung, das Vorliegen eines verwaltungsbehördlichen Straftatbestandes sei erst durch das Geständnis des Täters offenbar geworden, sodass eine Strafbarkeit nach § 295 StGB ausscheide, setzte das Berufungsgericht die Überlegung entgegen, "die gesetzliche Verpflichtung zur Aufbewahrung und Ausfolgung besteht, die Kontrollbefugnis der Behörde ist unabhängig vom Geständnis des Täters, das Beweismittel gehört nicht ihm alleine, er ist nicht allein verfügungsberechtigt" (US 18).
Rechtliche Beurteilung
Beide Urteile stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht in Einklang:
Gemäß § 295 StGB ist - sofern die Tat nicht nach den §§ 229 oder 230 StGB mit Strafe bedroht ist - mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wer ein Beweismittel, das zur Verwendung in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren bestimmt ist und über das er nicht oder nicht allein verfügen darf, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt, wenn er mit dem Vorsatz handelt zu verhindern, dass das Beweismittel im Verfahren gebraucht werde. Es muss demnach in Ansehung dieses Beweismittels schon im Tatzeitpunkt der Entschluss bestanden haben, es in einem konkreten Verfahren der bezeichneten Art zu gebrauchen (Leukauf/Steininger Komm3 § 295 RN 3). Die Verwendungsbestimmung des Beweismittels ist kein prozessualer Begriff; es ist damit kein förmlicher Akt gemeint. Es genügt vielmehr, dass sich ein - wenn auch nicht erklärter - maßgebender Wille für die Verwendung in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren entschieden hat. Der Willensentschluss kann vom Gericht oder von der Verwaltungsbehörde, aber auch von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder von einer (zur Stellung von Anträgen berechtigten) Partei gefasst und durch einen Beschluss auf Beweisaufnahme, eine Verfügung auf Beschlagnahme oder Sicherstellung, durch faktische Maßnahmen (wie Fahndung nach dem Tatgegenstand) oder durch eine förmliche Antragstellung oder Berufung einer Partei auf das Beweismittel zum Ausdruck gebracht werden (vgl 14 Os 150/02).
Fraglich bleibt, ob eine solche Beweismittelbestimmung auch durch Gesetz erfolgen kann. Wenn die Rechtsordnung - wie in §§ 102 Abs 1, 103 Abs 4 letzter SatzKFG - eine Verpflichtung zur Aufbewahrung von Beweismitteln für ein nur allfällig stattfindendes, konkret aber nicht voraussehbares Verwaltungsverfahren vorgibt, kann jedenfalls noch nicht von einer Bestimmung dieses Beweismittels in einem solcherart bloß möglichen Verwaltungsverfahren iSd § 295 StGB gesprochen werden, weil - anders als bei einem nach einer von Amts wegen zu verfolgenden Straftat nach dem Legalitätsprinzip jedenfalls durchzuführenden (sicherheitsbehördlichen, staatsanwaltschaftlichen und/oder gerichtlichen) Verfahren - im Handlungszeitpunkt noch gar nicht feststeht, ob überhaupt ein behördliches Verfahren eingeleitet wird.
Das hier zu prüfende Verhalten des Verurteilten, der mit dem Wegwerfen der Schaublätter nur einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten verschleiern wollte und der sein Fehlverhalten den Organen der Exekutive erst durch sein Geständnis offenbarte, kann daher mangels eines konkret gegen ihn zum Tatzeitpunkt in Aussicht genommenen (verwaltungsbehördlichen) Verfahrens bzw eines zur Tatzeit bereits existent gewesenen Entschlusses der Behörde, die unterdrückten Schaublätter in einem konkreten verwaltungsbehördlichen Verfahren als Beweismittel zu gebrauchen, nicht dem Tatbestand des § 295 StGB unterstellt werden (sondern verwirklicht - lediglich - eine Verletzung der Vorschrift des § 102 Abs 1 KFG).
Ungeachtet einer durch die vom Berufungsgericht zitierten Vorschriften bedingten höheren Wahrscheinlichkeit, Gegenstand einer Zufallskontrolle zu werden, war zum Zeitpunkt der Beseitigung der Schaublätter ein sicherheitsbehördlicher Erhebungsakt weder eingeleitet noch stand er unmittelbar bevor (SSt 55/9). Die vom Berufungsgericht problematisierte Frage der inländischen Gerichtsbarkeit ist nicht Gegenstand der Wahrungsbeschwerde. Die Gesetzesverletzung gereicht dem Verurteilten zum Nachteil, weshalb spruchgemäß mit Freispruch vorzugehen war (§ 292 letzter Satz StPO).
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