OGH 13Os166/03

OGH13Os166/0317.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Marianne G***** wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht als Bestimmungstäterin, nach §§ 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 Hv 71/02d des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, gegen einen Vorgang des Oberlandesgerichtes Graz im Berufungsverfahren zu AZ 11 Bs 125/03 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Sole, des Verteidigers Mag. Strampfer und der Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Berufungsverfahren AZ 11 Bs 125/03 des Oberlandesgerichtes Graz verletzt das Unterbleiben einer Mitteilung der zur Berufung der Staatsanwaltschaft Graz gegebenen Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Graz vom 28. März 2003 an die Angeklagte Marianne G***** zur allfälligen Äußerung das Gesetz in der Bestimmung des § 35 Abs 2 StPO.

Der "Beschluss" dieses Gerichtes vom 29. April 2003, der im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld Folge gebenden Teil aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, die Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Graz vom 28. März 2003 der Angeklagten Marianne G***** mitzuteilen, ihr eine angemessene Frist zur Äußerung einzuräumen und sodann neuerlich über die Berufung der Staatsanwaltschaft zu erkennen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21. November 2002, GZ 4 Hv 71/02d-36, wurde Marianne G***** des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht als Bestimmungstäterin gemäß §§ 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Von den Anklagevorwürfen der Verleumdung, weiterer teils versuchter, teils vollendeter Bestimmung zur falschen Beweisaussage vor Gericht sowie der schweren Nötigung wurde sie hingegen gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Während die Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen den sie verurteilenden Teil des erstgerichtlichen Erkenntnisses erhob (ON 43), legte die Staatsanwaltschaft volle Berufung gegen den Teilfreispruch ein (ON 42). Zur Berufung der Anklagebehörde erstattete die Angeklagte eine Gegenausführung (ON 47). In ihrer (schriftlichen) Stellungnahme vom 28. März 2003 (in 11 Bs 125/03 des Oberlandesgerichtes Graz) beantragte die Oberstaatsanwaltschaft Graz, "in Stattgebung der jeweils vollen Berufung der Angeklagten Marianne G***** und der Staatsanwaltschaft Graz das angefochtene Urteil gemäß § 470 Z 3 StPO in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen", weil der Berufung des öffentlichen Anklägers aus den in der Berufungsschrift ersichtlichen Gründen Berechtigung zukomme und auch jene der Angeklagten einen formalen Begründungsmangel aufzeige. Dieser Schriftsatz wurde nach der Aktenlage der Angeklagten nicht zur Kenntnis gebracht.

Mit Beschluss vom 29. April 2003, AZ 11 Bs 125/03 (= GZ 4 Hv 71/02d-53 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), gab das Oberlandesgericht Graz sowohl der Berufung der Angeklagten Marianne G***** wegen Nichtigkeit als auch jener der Staatsanwaltschaft Graz wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld Folge, hob das angefochtene Urteil teilweise auf, verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht und sämtliche Rechtsmittelwerber mit ihren (weiteren) Berufungen auf das kassatorische Erkenntnis.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht die Vorgangsweise des Oberlandesgerichtes Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 35 Abs 2 StPO hat das über ein Rechtsmittel erkennende Gericht, wenn der Staatsanwalt bei diesem zu einem Rechtsmittel oder einem Rechtsbehelf Stellung nimmt, dem Beschuldigten (Angeklagten, Betroffenen) diese Stellungnahme mit dem Bedeuten mitzuteilen, dass er sich binnen einer festzusetzenden angemessenen Frist hiezu äußern könne.

Nach dem letzten Satz dieser Gesetzesstelle kann eine solche Mitteilung (nur) unterbleiben, wenn der Staatsanwalt bloß zugunsten des Beschuldigten Stellung nimmt oder wenn dem Rechtsmittel des Beschuldigten zur Gänze Folge gegeben wird.

Durch diese (durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl Nr 762, neugefasste) Regelung sollte klargestellt werden, dass dem Beschuldigen jede seinem Rechtsmittelbegehren entgegentretende Stellungnahme der staatsanwaltschaftlichen Behörde beim Rechtsmittelgericht zur Kenntnis zu bringen ist, also auch eine solche, die keine (weiteren) Argumente gegen den Standpunkt des Beschuldigten vorbringt. Ausnahmen sollten - wie schon bisher - nur dann bestehen, wenn die Staatsanwaltschaft dem Rechtsmittelbegehren des Beschuldigten beitritt oder das Rechtsmittelgericht diesem Begehren zur Gänze entspricht, "weil der Grundsatz der 'Waffengleichheit' in diesen Fällen nicht verletzt wird bzw keine Rolle spielt" (JAB 409 BlgNR XX. GP, 11).

Im vorliegenden Fall hat die Oberstaatsanwaltschaft Graz zwar auch dem Rechtsmittelbegehren der Angeklagten zugestimmt, zugleich aber - ungeachtet der Gegenausführungen der Angeklagten dazu - die Ansicht vertreten, dass die gegen den Teilfreispruch der Angeklagten gerichteten Rechtsmittelausführungen der Staatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend sind. Im vorliegenden Fall hat die Anklagebehörde weder bloß zu Gunsten der Angeklagten Stellung genommen, noch wurde (nur) dem Rechtsmittel der Angeklagten zur Gänze Folge gegeben. Diese Gesetzesverletzung gereichte der Angeklagten zum Nachteil, da ihr solcherart keine Möglichkeit einer Äußerung zur Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Graz eingeräumt wurde.

In Stattgebung der Wahrheitsbeschwerde war sohin nicht nur die Gesetzesverletzung aufzuzeigen, sondern der Entscheidung hierüber auch konkrete Wirkung auf den durch den Fehler betreffenden "Beschluss" zuzuerkennen.

Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die gemäß § 470 Z 3 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung gefällte kassatorische Entscheidung (nicht in Beschluss-, sondern) in Urteilsform hätte erfolgen müssen (Ratz WK-StPO Rz 2, Foregger/Fabrizy StPO8 Rz 3, jeweils zu § 470; 13 Os 133/03).

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