Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der zu I/2 und 3 genannten Taten des Mike L***** und des Roman B***** als Verbrechen des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB sowie in den gegen diese Angeklagten ergangenen Strafaussprüchen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Es haben Mike L***** zu I/2 und Roman B***** zu I/2 und 3 jeweils das Verbrechen des versuchten Menschenhandels nach §§ 15, 217 Abs 1 erster Fall StGB begangen.
Es werden nach § 217 Abs 1 StGB in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB jeweils für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt, und zwar Mike L***** von 16 Monaten,
Roman B***** von 10 Monaten.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Mike L***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Den Angeklagten Werner E***** und Mike L***** fallen auch die auf ihre erfolglosen Nichtigkeitsbeschwerden entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Werner E***** wurde des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II/2), Mike L***** hingegen zweier Verbrechen des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB (I/1 und 2), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II/1) und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt. Gegen Roman B*****, hinsichtlich dessen das Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen ist, erging unter anderem ein Schuldspruch wegen Verbrechen des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB (I/2 und 3).
Soweit aus Anlass der ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung, haben im Zusammenwirken mit anderen namentlich genannten
Beteiligten
I. in G*****, N*****, L***** und anderen Orten in Österreich und Ungarn ungarische Staatsangehörige (zu ergänzen:) ohne gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, mögen sie auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben gewesen sein, dieser Unzucht in Österreich zugeführt, nämlich
Mike L***** am 30. Oktober 2001 Erzsebet B*****;
Mike L***** und Roman B***** am 12. November 2001 Andrea H*****;
Roman B***** am 9. Jänner 2002 Katalin J*****;
II. in N*****, G***** und anderen Orten Österreichs Reisepässe, über die sie nicht verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis "eines Rechtes, nämlich der jeweiligen Ausreise aus Österreich ohne ihre Einwilligung", gebraucht werden, nämlich
Mike L***** im Oktober 2001 denjenigen der Erzsebet B*****;
Werner E***** zwischen 6. und 10. Jänner 2001 denjenigen der Katalin J*****;
III. Mike L***** vom 12. bis 15. November 2001 in G***** Andrea H***** "dadurch, dass sie diese über den angeführten Zeitraum am Verlassen ihres Zimmers hinderten und sie kontrollierten", widerrechtlich gefangen gehalten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich aus Z 5 und 9 lit a (von Mike L***** auch aus Z 5a) des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Werner E***** und Mike L*****, welchen keine Berechtigung zukommt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Werner E*****:
Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) wird die subjektive Tatseite der Urkundenunterdrückung keineswegs bloß auf "Vermutungen bzw vage Verweise" gestützt, vielmehr eingehend begründet (US 20 ff). Auch wenn sich die Zeugin Andrea S***** in ihrer - in den Entscheidungsgründen erörterten (US 14 bis 16) - Aussage mehrfach in allgemeiner Weise abschätzig über Katalin J***** geäußert hat ("nicht normal"), bedurften ihre Bemerkungen (Bd III, S 406, 410 f) angesichts des Gebotes zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) keiner besonderen Erörterung (Z 5 zweiter Fall). Die Einschätzung der Timea K*****, man könne J***** "nicht alles glauben" (Bd I, S 139), ändert daran nichts, zumal der Schuldspruch keineswegs allein auf der Aussage dieser Zeugin gründet. Dass in Hinsicht auf den Beschwerdeführer - im Gegensatz zu Mitangeklagten - die subjektiven Erfordernisse des Menschenhandels verneint, jene der Urkundenunterdrückung aber bejaht wurden, ist nach Denkgesetzen und grundlegender Lebenserfahrung durchaus miteinander in Einklang zu bringen, sodass auch der behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) nicht vorliegt. Einen Widerspruch zwischen Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und Entscheidungsgründen spricht die Beschwerde schließlich nicht mit Bestimmtheit an.
Die die Feststellung der Willenskomponente des Urkundenunterdrückungsvorsatzes (US 13: " ... nahmen die Reisepässe der Mädchen an sich, um zu verhindern, dass ...") missachtende Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich solcherart nicht am Verfahrensrecht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mike L*****:
Aus Z 5 wird nur unzulässig - teils auch unter Berufung auf isoliert herausgegriffene Teile der Aussage der Zeugin H***** (vgl demgegenüber Bd III, S 375, wo diese auf die Frage, "wer mich zum Haus gebracht hätte und ob ich eingesperrt worden wäre", ausdrücklich auch den Beschwerdeführer als Beteiligten bezeichnet hatte) - die Beweiswürdigung der Tatrichter zum Schuldspruch I/1 und 2 sowie II/1 in Zweifel gezogen. Ein über deren Beförderung hinausgehendes Einwirken auf B***** ist nicht Gegenstand des gegen L***** ergangenen Schuldspruchs. Auch wird - der Sache nach nur aus Z 9 lit a - nicht dargelegt, warum bloß eine der Tatbestandsbeschreibung entsprechende Ausführungshandlung (§ 12 erster Fall StGB) zum Schuldspruch hätte führen dürfen.
Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zum Schuldspruch III. werden aus Z 5a nicht geweckt.
Soweit schließlich die Rechtsrüge (Z 9 lit a) beweiswürdigende Erwägungen anstellt und nicht deutlich macht, welche konkreten Feststellungen sie zum Schuldspruch I/1 und 2, vermisst, ist sie nicht am Verfahrensrecht ausgerichtet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).
Zur Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch von mehrfach unrichtiger Anwendung des Strafgesetzes überzeugt.
Während sich nämlich bei dem - in der Anklageschrift als verwirklicht angesehenen - Menschenhandel nach § 217 Abs 2 StGB bloß der (überschießende) Vorsatz des Täters auf die Aufnahme der Gewerbsunzucht seitens des Tatopfers beziehen muss, ist der vorliegend angenommene Menschenhandel nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB erst mit dem Beginn dieser Tätigkeit vollendet (Philipp in WK2 § 217 Rz 26). Mangels einer darauf bezogenen Feststellung leiden die zu I/2 und 3 ergangenen Schuldsprüche der Angeklagten Mike L***** und des Roman B***** an einer nicht geltend gemachten Nichtigkeit aus Z 10. Diese muss zur Urteilsaufhebung in den Schuldsprüchen I/2 und 3 und in dem gegen die zwei genannten Angeklagten ergangenen Strafausspruch sowie zur rechtlichen Unterstellung der bezeichneten Taten als versuchter Menschenhandel nach §§ 15, 217 Abs 1 erster Fall StGB führen, weil auch in einem nachfolgenden Rechtsgang die Feststellung bereits aufgenommener Gewerbsunzucht nicht zu erwarten ist (WK-StPO § 281 Rz 645, § 288 Rz 24).
Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung war den Angeklagten Mike L***** und Roman B***** neben der Tatsache, dass die vorstehend genannten Taten beim Versuch geblieben sind, ihr Beitrag zur Wahrheitsfindung und der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB zugute zu halten. Als erschwerend fiel ihnen das gleichartige und ungleichartige Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen zur Last.
Davon ausgehend erschien eine maßvolle Reduktion gegenüber der vom Erstgericht ausgemessenen - bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe angebracht.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte Mike L***** auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten E***** und L***** gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)