OGH 1Ob279/03s

OGH1Ob279/03s16.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gisela O*****, vertreten durch Dr. Ludwig Franckenstein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Brigitte M*****, vertreten durch Hoffmann & Brandstätter, Rechtsanwälte KEG in Innsbruck, wegen EUR 43.603,70 sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2003, GZ 3 R 124/03i-23, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin liegt in der Qualifikation der schriftlichen Vereinbarung der Streitteile vom 5. 3. 2002 als Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Die Beklagte übersieht offenbar, dass die Klägerin ihr Klagebegehren von Anfang an auch auf diese Vereinbarung gestützt hat, mag sie sie auch rechtlich als Anerkenntnis qualifiziert haben. Der Inhalt dieser Urkunde wurde bereits vom Erstgericht wörtlich festgestellt, sodass unverständlich ist, inwieweit eine Beweiswiederholung in Betracht gekommen wäre bzw der Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt worden sein könnte. Ebenso ist nicht ersichtlich, warum der Revisionswerberin "gemäß § 473a ZPO" die Möglichkeit eines Schriftsatzes einzuräumen gewesen wäre, hat doch die Klägerin in ihrer Berufung ausdrücklich moniert, das Erstgericht hätte die Urkunde als konstitutives Anerkenntnis "bzw als Vergleich" werten müssen. Die Beklagte hatte somit zweifellos die Möglichkeit, zu einer allfälligen Auslegung dieser Urkunde als Vergleich in ihrer Berufungsbeantwortung Stellung zu nehmen, sodass es überrascht, wenn sie nunmehr behauptet, von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts überrascht worden zu sein.

2. Auch der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Voraussetzung dafür wäre, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts maßgeblich von einer der Aktenlage widersprechenden Grundlage abhinge. Wenn das Berufungsgericht gegen Ende seiner Rechtsausführungen von einem "beiderseits unterfertigten Schuldversprechen" spricht, bezieht es sich entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ersichtlich allein auf die am 5. 3. 2002 von beiden Streitteilen unterfertigte Urkunde, nicht aber auch auf das Schreiben der Beklagten vom 7. 3. 2002, das vom Berufungsgericht auch nur als "ergänzendes Schreiben vom 7. 3. 2002" bezeichnet wird. Diese (unbestrittenermaßen einseitige) Erklärung der Beklagten wird lediglich als weiteres Argument dafür herangezogen, dass sich die Beklagte in der Vereinbarung vom 5. 3. 2002 unter anderem auch zur Zahlung des Klagebetrags verpflichten wollte. Entscheidende Bedeutung für die Auslegung hat das Berufungsgericht der Urkunde aber nicht beigemessen. Der in diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin sinngemäß erhobene Vorwurf einer bewusst unrichtigen Urkundenauslegung durch das Berufungsgericht ist in höchstem Maße unangebracht.

3. Es entspricht ganz herrschender Judikatur, dass die Auslegung von - auch schriftlichen - Vereinbarungen im Einzelfall regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufwirft, sofern nicht ausnahmsweise ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde oder die allgemein anerkannten Auslegungsregeln missachtet wurden (vgl nur RIS-Justiz RS0042936, RS0042776, RS0044358 ua). Dies gilt grundsätzlich auch für die Beurteilung, ob eine bestimmte Vereinbarung als Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB anzusehen ist. Angesichts der Negativfeststellungen zur "Vorgeschichte" der zu beurteilenden Vereinbarung hatte sich das Berufungsgericht weitgehend auf eine objektive Auslegung nach dem Wortsinn und dem den Parteien danach vernünftigerweise zu unterstellenden Absichten zu beschränken. Die Auffassung, das von beiden Streitteilen unterfertigte Schriftstück sei insbesondere in Anbetracht der darin enthaltenen Generalklausel als Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB zu beurteilen, stellt jedenfalls keine erhebliche Fehlbeurteilung dar, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit aufgegriffen werden müsste.

4. Nicht leicht nachvollziehbar ist die Auffassung der Revisionswerberin, es handle sich bei der von ihr verfassten und von beiden Streitteilen unterfertigten Urkunde um ein "rechtliches Nichts". Auch von einer Mischung aus "gedruckten und handschriftlichen Satzfetzen" kann vernünftigerweise keine Rede sein, zumal auch die Beklagte selbst nicht etwa behauptet, die Ergänzung (in ihrer Handschrift) habe dem Willen der Vertragsparteien nicht entsprochen. Tatsächlich wurde - abgesehen von Ort und Datum sowie den angeführten (offenbar erst anlässlich der Urkunde im Einzelnen festgelegten) Einrichtungsgegenständen - lediglich ein einziger im maschinschriftlichen Text unvollständiger Satz ergänzt, der somit lautete: "Dafür stelle ich Dir die 'in meinem Besitz befindlichen' aufgelisteten Möbel bis zur Hinterlegung von EUR 43.603 bzw Einzahlung auf das Konto 'zur Verfügung'".

Nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen hatte die Klägerin der Beklagten in der Zeit vor Errichtung der Urkunde vom 5. 3. 2000 in mehreren Tranchen Geldbeträge in einer den Klagebetrag übersteigenden Summe übergeben. Nachdem das ursprünglich gute Verhältnis der Streitteile in einem "Zerwürfnis" geendet und die Klägerin sich dazu entschlossen hatte, die Mietwohnung im Haus der Beklagten aufzugeben, formulierte die Beklagte maschinschriftlich den Großteil des (später handschriftlich ergänzten) Textes der vom Berufungsgericht zur Begründung des Klageanspruchs herangezogenen Urkunde, die in ihrem letzten Satz auch ausdrücklich als "Abmachung" bezeichnet wird, mit der - abgesehen von den im Einzelnen geregelten Fragen - sämtliche Ansprüche abgegolten sein sollten. Soweit das Berufungsgericht die darin getroffenen Vereinbarungen in dem Sinn verstanden hat, dass sich die Beklagte zur Zahlung des Klagebetrags verpflichtet bzw im Rahmen einer Generalbereinigung eine allenfalls bereits vorher erklärte Verpflichtung in diesem Sinn neuerlich bekräftigt, kann darin eine bedenkliche Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Gerade weil die Beklagte im Verfahren in erster Linie die Auffassung vertreten hat, sie wäre zu einer Rückzahlung gar nicht verpflichtet gewesen, weil ihr die Geldbeträge - mit Ausnahme eines Teilbetrags von S 140.000 - geschenkt worden seien, ist ihre nunmehr vertretene Auffassung, die rechtliche Situation wäre zwischen den Streitteilen nicht strittig gewesen, unverständlich. Entgegen ihrer Auffassung spricht auch der Umstand, dass der Vereinbarung vom 5. 3. 2002 allenfalls keine Geltendmachung von Ansprüchen durch die Klägerin voran ging, nicht gegen eine Qualifikation als Vergleich. Ein solches Rechtsgeschäft konnte durchaus auch von der Beklagten vorgeschlagen worden sein, der ein Interesse an einer Beseitigung der objektiv unklaren rechtlichen Situation durch Abschluss einer für die Zukunft allein maßgeblichen Vereinbarung nicht abzusprechen war. Mit welchen Einwendungen der Beklagten sich das Berufungsgericht bei der Urkundenauslegung angeblich nicht auseinandergesetzt hat, führt die Revisionswerberin nicht aus. Das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen eines Willensmangels konnte von den Vorinstanzen nicht festgestellt werden. Inwieweit trotz der Unterfertigung der Urkunde durch beide Streitteile der "für jedes zweiseitige Rechtsgeschäft unerlässliche Konsens" gefehlt haben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Es bedarf auch keiner näheren Erklärung, dass eine wirksam geschlossene Vereinbarung nicht durch einseitigen Widerruf unwirksam gemacht werden kann.

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