OGH 4Ob147/03a

OGH4Ob147/03a16.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GesmbH, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Grassner, Lenz, Thewanger & Partner in Linz, gegen die beklagte Partei P***** s.r.l., ***** vertreten durch Dr. Christian Hopp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 283.756,62 EUR samt Anhang, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 31. März 2003, GZ 3 R 17/03w-19, womit der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 19. November 2002, GZ 3 Cg 148/02v-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts in der Hauptsache (= Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede) wiederhergestellt und im Kostenpunkt dahin abgeändert wird, dass die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei die mit 1.616,42 EUR bestimmten Kosten des Zuständigkeitsstreits (darin 269,40 EUR Ust) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 4.442,58 EUR bestimmten Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens (darin 740,43 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile stehen seit längerer Zeit in Geschäftsverbindung. Die Klägerin liefert Gebäudeverglasungen, die Beklagte liefert Teile zu. Der Bestellvorgang war dabei immer gleich.

Im Jahr 1998 benötigte die Klägerin für die Fassadenverglasung des Kölner Flughafens 23.000 lfm schwarz eloxierte Abstandhalter. Ein Sachbearbeiter der Klägerin rief am 3. 3. 1998 bei der Beklagten an und erkundigte sich, ob die gewünschten Abstandhalter bis 18. 3. 1998 geliefert werden könnten. Da dies die Beklagte bejahte, bestellte er gleich telefonisch. Noch am selben Tag übermittelte die Klägerin die Bestellung mittels Telefax an die Beklagte, in dem die Versandart mit "Frei Haus" benannt wurde. Darüber hinaus erklärte die Klägerin, unter Ausschluss der Bestimmungen der Beklagten zu ihren Einkaufsbedingungen zu bestellen. Weiters verwies sie darauf, dass der Auftrag pönalisiert sei und der Liefertermin 18. 3. 1998 "im Hause E*****" daher exakt eingehalten werden müsse. Sie wies darüberhinaus noch darauf hin, dass ihr Wareneingang Lieferungen nur zu bestimmten Zeiten entgegen nehme (Beilagen ./B bzw ./2). Mit Telefax vom 4. 3. 1998 ergänzte die Klägerin die Bestellung um die benötigte Wandstärke; auch dieses Telefax enthielt die Formulierung: "Wir bestellen unter Ausschluss Ihrer Bestimmungen nachstehend angeführte Leistungen zu unseren Einkaufsbedingungen" sowie den vorgenannten Hinweis auf den Liefertermin "im Hause E*****" und die Wareneingangszeiten der Klägerin (Beilage./A).

Am 5. 3. 1998 faxte die Beklagte eine Auftragsbestätigung, die folgende Klauseln enthielt: "Delivery Term: F. Co Domicilio Cliente" und "Shipment through: Frei Haus Kunde". Die im Rahmen der Geschäftsbeziehung der Streitteile von der Beklagten der Klägerin übersandte Preisliste enthielt die Klausel: "Porto: Frei Haus Kunde".

Am 10. 3. 1998 übersandte die Beklagte der Klägerin die Rechnung für die bestellten Abstandhalter. Auf dieser Rechnung waren ihre Verkaufsbedingungen in italienischer Sprache abgedruckt, welche unter anderem den Hinweis enthalten, dass Austragungsort für Streitfragen der Sitz des Rechnungsausstellers sei.

Die Allgemeinen Einkaufsbedingungen der Klägerin enthalten insbesondere folgende Klauseln: "Erfüllungsort ist die in der Bestellung vorgeschriebene Empfangsstelle" und "Gerichtsstand ist für beide Teile das sachlich zuständige Gericht in Steyr. Es gilt ausschließlich österreichisches Recht". Die an die Beklagte ergangenen Telefaxe enthielten den Text dieser AGB nicht. Es steht nicht fest, dass der Beklagten jemals die AGB der Klägerin tatsächlich zugegangen sind.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 14. 3. 2002 beim Erstgericht eingelangten Klage von der Beklagten 283.756,62 EUR samt Anhang Schadenersatz wegen Mängel der gelieferten Abstandhalter. Dem an die Beklagte erteilten Auftrag seien die AGB der Klägerin zugrunde gelegen, die die Vereinbarung des Gerichtsstands an ihrem Geschäftssitz enthalten. Außerdem sei in der Bestellung der Erfüllungsort ausdrücklich am Geschäftssitz der Klägerin vereinbart worden ("Frei Haus - Klausel"). Die Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aus den Art 5 und 23 EuGVO.

Die Beklagte erhob die Einrede fehlender internationaler Zuständigkeit des Erstgerichts. Der telefonischen Bestellung seien ihre eigenen AGB, allenfalls überhaupt keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, jedenfalls aber nicht die AGB der Klägerin zugrunde gelegen. Es gebe daher keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung. Die "Frei Haus-Klausel" bedeute nur eine Kostentragungsregel und begründe keinen Erfüllungsort im Sinne des Art 5 EuGVO.

Das Erstgericht verwarf die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Es verneinte eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung im Wege der Vereinbarung der AGB der Klägerin, weil deren Gültigkeit jedenfalls die - nicht erwiesene - Übersendung an die Beklagte voraussetzte. Die Streitteile seien sich über die Geltung der "Frei Haus-Klausel" einig gewesen. Diese Lieferklausel lege den Erfüllungsort am Sitz der Klägerin fest und wirke nach Art 5 Z 1 lit b EuGVO zuständigkeitsbegründend.

Das Rekursgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit des Erstgerichts zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zur Auslegung des Art 5 Z 1 lit b EuGVO zulässig sei. Es verneinte gleichfalls die wirksame Vereinbarung der von der Klägerin aufgestellten AGB und damit die wirksame Vereinbarung eines Klägergerichtsstands. Die Vertragsklausel "Frei Haus" sei als eine Spesenklausel anzusehen, aus der auch abgeleitet worden sei, dass Lieferort (zumindest im Sinne von Bestimmungsort) die Niederlassung des Käufers sei. Dass aber die Vertragsparteien durch eine solche den Lieferort festlegende Klausel zugleich auch einen Gerichtsstand des Erfüllungsorts im Sinne des Art 5 Z 1 EuGVÜ an diesem Ort begründen wollten, sei keineswegs automatische Folge, sondern Auslegungsfrage. Art 5 Z 1 lit b EuGVO definiere den Erfüllungsort nunmehr als den Lieferort. Hiefür komme aber nicht bloß ein einziger Ort in Frage, vielmehr könne der Lieferort sowohl der Ort sein, an dem der Verkäufer seine (letzte) Erfüllungshandlung vornehme, als auch der Bestimmungsort, an dem der Käufer die Ware übernehme. Zwar bewirke die Vertragsklausel "Frei Haus", dass der Lieferort die Niederlassung des Käufers sei; Klauseln, nach denen die Lieferpflicht in der Versendung der Ware bestehe, könnten aber keinen Gerichtsstand am Bestimmungsort begründen. Im vorliegenden Fall könne aus der von den Streitteilen vereinbarten Versandklausel lediglich eine Kostentragungsregel abgeleitet werden. Durch die Hinweise "Porto" und "Versandart" werde die Spesen- und Kostenklausel als solche deutlich; die damit angesprochenen Kostenfragen würden sich gar nicht mehr stellen, wenn ohnehin die Erfüllung am Sitz der Klägerin vereinbart worden wäre. Auch lasse sich aus dem Wortlaut des Art 5 Z 1 lit b EuGVO keinesfalls zwingend ableiten, dass die Lieferhandlung des Verkäufers am Bestimmungsort der Ware zu erbringen sei. Im Übrigen habe die Klägerin kein Tatsachenvorbringen erstattet, aus dem konkret ableitbar wäre, dass die Beklagte - zumindest faktisch - ihre Lieferpflicht am Sitz der Klägerin erfüllt habe (tatsächlicher Lieferort).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SZ 69/26) die von der Klägerin behauptete Gerichtsstandsvereinbarung im Wege ihrer eine solche enthaltende Allgemeinen Geschäftsbedingungen verneint haben. AGB müssen, um in einen Vertrag einbezogen werden zu können, nach dem dem Adressaten erkennbaren Willen der erklärenden Partei (Art 8 Abs 1 und 2 UN-KaufrechtsÜbk) Bestandteil des Angebots geworden sein. Im vorliegenden Fall steht weder fest, dass der Beklagten die AGB der Klägerin überhaupt bekannt waren, noch dass der Beklagten bei der Entgegennahme der telefonischen Bestellung der Klägerin erkennbar gewesen wäre, dass die Klägerin nur zu ihren Einkaufsbedingungen habe abschließen wollen. Die Auslegung von Willenserklärungen im Einzelfall ist aber ebenso wie die Beurteilung der Schlüssigkeit eines Erklärungsverhaltens - von groben Auslegungsfehlern und sonstigen krassen Fehlbeurteilungen abgesehen - vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen (RIS-Justiz RS0044088, RS0042555 und RS0044298; Kodek in Rechberger, ZPO2 § 502 Rz 5 mwN). Der mit dem Problem der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung im Zusammenhang stehende Versuch der Klägerin, von ihr bereits im Rekursverfahren behauptete, vom Rekursgericht allerdings verneinte Verfahrensmängel in dritter Instanz neuerlich geltend zu machen, muss scheitern (stRsp RIS-Justiz RS0042963; Kodek aaO § 503 Rz 3 mwN).

Das Rekursgericht hat darüber hinaus auch zutreffend auf die Rsp des Obersten Gerichtshofs hingewiesen, wonach es eine Auslegungsfrage ist, ob die Parteien durch eine Klausel, die den Lieferort festlegt, zugleich auch einen Gerichtsstand des Erfüllungsorts im Sinne des Art 5 Nr 1 LGVÜ an diesem Ort begründen wollten (SZ 71/145 ua; RIS-Justiz RS0017616). Diese Auslegung ist an den konkreten Umständen des Falles zu orientieren (vgl 8 Ob 239/02h = ZfRV-LS 2003/52). Die Frage, ob es sich bei der hier zu beurteilenden Vereinbarung - im Sinne der Auffassung des Rekursgerichts - um eine Spesen- und Kostenklausel handelt, die entbehrlich wäre, wenn ohnehin Erfüllung am Sitz der Klägerin vereinbart worden wäre, braucht hier aber nicht beantwortet zu werden.

Zutreffend haben die Vorinstanzen festgehalten, dass die hier am 14. 3. 2002 beim Erstgericht eingelangte Klage nach der am 1. 3. 2002 in Kraft getretenen Verordnung 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) zu beurteilen ist. Art 5 Nr 1 lit b EuGVO enthält nunmehr - im Gegensatz zu der mit Art 5 LGVÜ übereinstimmenden Vorgängerbestimmung des EuGVÜ - eine einheitliche gesetzliche Regelung des Erfüllungsorts, welcher einen einzigen Anknüpfungspunkt für sämtliche Ansprüche aus dem Kauf- oder Dienstleistungsvertrag bildet, somit auch für alle sekundären vertraglichen Ansprüche, wie etwa Schadenersatzforderungen (1 Ob 123/03z; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/G. Kodek, Europäisches Gerichtssstands- und Vollstreckungsrecht2 Art 5 EuGVVO Rz 8; Mayr/Czernich, Das neue europäische Zivilprozessrecht 59; Klauser, JN - ZPO II, Anm 1 und 5 zu Art 5 EuGVO). Schon aus dem Wortlaut des Art 5 Nr 1 lit b EuGVO ("- und sofern nichts anderes vereinbart worden ist -") ist klar erkennbar, dass sich nichts daran geändert hat, dass bei der Ermittlung des Erfüllungsorts zunächst zu untersuchen ist, ob die Parteien eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben, was ausdrücklich oder konkludent geschehen kann (Czernich aaO Rz 27). Die Auslegung der von den Streitteilen getroffenen Vereinbarung des Erfüllungsorts bleibt daher im Sinne bisheriger Rsp in erster Linie Sache der Parteienvereinbarung.

Fasste man die von den Parteien in diesem Fall getroffene Vereinbarung "Versandart frei Haus" bzw "Porto: Frei Haus Kunde" entgegen der der Rekursentscheidung zugrundeliegenden Ansicht als Vereinbarung eines Erfüllungsorts am Sitz der Klägerin auf - wofür der ausdrückliche und unwidersprochen gebliebene Hinweis der Klägerin auf den Liefertermin "im Hause E*****" samt Angaben zu den Warenübernahmezeiten in ihren Faxen (Beil./B und 2) spricht -, so wäre die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts infolge der nach Art 5 EuGVO primär maßgeblichen Parteienvereinbarung des Erfüllungsorts begründet.

Folgt man hingegen der Auslegung des Rekursgerichts, dass die "Frei Haus"-Vereinbarung im vorliegenden Fall nur als Spesen- und Kostenklausel aufzufassen ist, dann ist - mangels Vereinbarung des Erfüllungsorts durch die Parteien - die nunmehr in Art 5 Z 1 lit b EuGVO enthaltene gesetzliche Regel über den Erfüllungsort im Falle des Verkaufs beweglicher Sachen - worunter nach zutreffender Auffassung des Rekursgerichts auch Werklieferungen wie in diesem Fall zu verstehen sind (Czernich aaO Rz 28 mwN) - anzuwenden. Hiebei handelt es sich um eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts, die primär an tatsächlichen und nicht rechtlichen Kriterien anzuknüpfen sucht ("..Ort..., an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen"; Czernich aaO Rz 8 mwN; Klauser aaO). Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Beklagte die bestellten Abstandhalter tatsächlich an die Klägerin geliefert hat (Klage S 3, Klagebeantwortung S 3), wobei nach den von beiden Streitteilen vorgelegten Urkunden (Beil./B und 2) Lieferung "im Hause E*****", also am Sitz der Klägerin, zu bestimmten Warenübernahmezeiten vorgesehen war. Damit ergibt sich aber der nach Art 5 Z 1 lit b EuGVO zuständigkeitsbegründende "Ort, an dem (die Waren) nach dem Vertrag geliefert worden sind" eindeutig am Sitz der Klägerin und im Sprengel des angerufenen Erstgerichts.

Entgegen der diesbezüglichen Anregung der Beklagten war von einer Vorlage an den EuGH Abstand zu nehmen, weil es keinem Zweifel unterliegt, dass im Fall einer konkreten Vereinbarung der Parteien über den Lieferort (innerhalb der Gemeinschaft) dies der nach Art 5 Z 1 lit b EuGVO den Gerichtsstand des Erfüllungsorts begründende Ort ist, "an dem (die Waren) nach dem Vertrag geliefert worden sind".

Die die internationale Zuständigkeit zu Recht bejahende Entscheidung des Erstgerichts ist daher wiederherzustellen.

In Erledigung des von der Beklagten erhobenen Kostenrekurses gegen die erstinstanzliche Entscheidung über die Kosten des Zuständigkeitsstreits (Kodek in Rechberger, ZPO² § 528 Rz 5 mwN) ist diese dahin abzuändern, dass die Honorierung des Schriftsatzes der Klägerin vom 18. 9. 2002 (ON 12), der auch Vorbringen zur Hauptsache enthält, aus den von der Beklagten als Unterlegenen im Zwischenstreit über die (internationale) Zuständigkeit zu ersetzenden Kosten auszuscheiden ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO; die Beklagte ist im Zwischenstreit über die (internationale) Zuständigkeit unterlegen.

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