OGH 14Os155/03

OGH14Os155/0318.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dachsberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Anna S***** wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB über die vom Generalprokurator gegen das Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Juni 2002, GZ 052 EHv 87/02x-11, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Lässig und des Verteidigers Dr. Zwolanek, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Juni 2002, GZ 052 EHv 87/02x-11, mit dem Anna S***** wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB schuldig gesprochen wurde, verletzt § 127 StGB.

Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anna S***** des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie zwischen März 2001 und Februar 2002 in Wien in wiederholten Angriffen gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, Berechtigten der Firma T*****GmbH fremde bewegliche Sachen in einem 2.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich Bargeld im Betrag von ca 11.000 Euro, weggenommen.

Den erstgerichtlichen Feststellungen zufolge machte sich die Verurteilte als Angestellte eines von der T*****GmbH betriebenen Sonnenstudios den Umstand zu Nutze, dass die von ihr zurückbehaltene Chipkarte eines Kunden aufgrund eines technischen Fehlers anstatt eines Guthabens von rund 1.100 S ein solches von 2,400.000 S auswies. In der Folge behielt sie wiederholt von anderen Kunden einkassierte Bargeldbeträge mit Bereicherungsvorsatz ein und buchte zur Deckung ihrer Malversationen die von diesen Barzahlern konsumierten Leistungen im Gegenwert von etwa 11.000 Euro von der fehlerhaft programmierten Chipkarte ab.

Rechtliche Beurteilung

Der Schuldspruch steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung einer durch vorsätzliche und widerrechtliche Entziehung fremder beweglicher Sachen begangenen Tat als Diebstahl oder aber als Veruntreuung ist in objektiver Hinsicht, ob der Täter die faktische Verfügungsmacht durch Gewahrsamsbruch erlangt oder ob er Sachen an sich bringt, die sich bereits zulässigerweise in seinem Alleingewahrsam befunden haben (vgl SSt 59/56; 58/46; 53/27).

Ein inkassobefugter Dienstnehmer, der sich von Kunden für den Dienstgeber entgegengenommene Bargeldbeträge mit Bereicherungsvorsatz zueignet, verantwortet demnach Diebstahl, wenn er unter laufender Aufsicht und Kontrolle des Dienstgebers tätig wird (womit dieser Mitgewahrsam behält), wie dies etwa bei Geldbeträgen zutrifft, die in einem Verkaufslokal von den Angestellten in Anwesenheit ihres Chefs sozusagen unter dessen Augen übernommen werden (nachgeordneter Mitgewahrsam; vgl Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 127 Rz 91; RZ 1978/114; EvBl 1953/37).

Anders aber, wenn das vereinnahmte Geld ohne unmittelbare Kontrolle durch den Geschäftsinhaber oder von diesem beauftragten Personen zunächst im Gewahrsam des Bediensteten verbleibt und erst zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Arbeitgeber verrechnet wird (vgl RZ 1978/114). Fehlt es an einer laufenden, unmittelbaren Kontroll- und Überwachungstätigkeit, so kommt Mitgewahrsam des Dienstgebers an den von einem Angestellten (unter welchem Rechtstitel immer) vereinnahmten Kundengeldern selbst dann nicht in Betracht, wenn der diesbezügliche Gewahrsamswechsel in Betriebsräumlichkeiten stattfindet (vgl 12 Os 76/86; RZ 1978/114). Insbesondere bei selbständiger und eigenverantwortlicher Tätigkeit eines Angestellten beim Umgang mit Geldbeträgen besteht daher regelmäßig Alleingewahrsam am übernommenen Bargeld (vgl Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 127 Rz 84, 91 und 210 sowie § 133 Rz 117; SSt 50/34; RZ 1978/114). Ausgehend von diesen Grundsätzen zeigt sich, dass das Erstgericht die zur Beurteilung der Gewahrsamsfrage erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Der trotzdem gefällte Schuldspruch verletzt daher das Gesetz im § 127 StGB.

Da die Subsumtion der Tathandlungen unter den Tatbestand der Veruntreuung einen geringeren Strafrahmen (erster Strafsatz des § 133 Abs 2 StGB) als den im angefochtenen Urteil herangezogenen (erster Strafsatz des § 130 StGB) bedingen würde, war der Feststellung der Gesetzesverletzung konkrete Wirkung zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil zur Gänze aufzuheben und dem Erstgericht die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

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