OGH 12Os97/03

OGH12Os97/0323.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hülya T***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 35 Hv 145/02x des Landesgerichtes Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 22. Juli 2003, AZ 7 Bs 257/03 (= ON 78), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Hülya T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Hülya T***** wurde mit - noch nicht in Rechtskraft erwachsenem - Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 10. Juni 2003, GZ 35 Hv 145/02x-63a, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, weil sie am 6. Mai 2001 in Völs ihre knapp zwei Monate alte Tochter Gürser T***** dadurch, dass sie mit erheblicher Wucht auf das Kind trat, tötete.

Nach Urteilsverkündung verhängte der Schwurgerichtshof über die Angeklagte die Untersuchungshaft nach § 180 Abs 7 StPO. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Innsbruck der dagegen erhobenen Beschwerde der Angeklagten nicht Folge. Mit der gegen diesen Beschluss erhobenen Grundrechtsbeschwerde bekämpft die Angeklagte allein die Annahme der Voraussetzungen nach § 180 Abs 7 StPO. Sie bringt dazu im Wesentlichen vor, dass eine - vom Beschwerdegericht festgestellte, aus dem gegenständlichen Wahrspruch der Geschworenen resultierende - "wesentliche Veränderung gegenüber dem vorangegangenen Verfahren" tatsächlich nicht vorliege, weil "die seit langem anwaltlich vertretene Angeklagte über das ihr angelastete Verbrechen natürlich eingehend informiert und hinsichtlich der allenfalls zu erwartenden Folgen umfänglich aufgeklärt worden ist", sodass sie ab der Angeklageerhebung grundsätzlich mit der Möglichkeit eines Schuldspruchs und einer hohen Freiheitsstrafe habe rechnen müssen. Aus dem konkreten Verhalten der Beschwerdeführerin, die eine fünfjährige herzkranke Tochter und ein Kleinkind zu betreuen habe, sei der Schluss zu ziehen, "dass sie nicht nur keine Fluchtgedanken gehegt hat, sondern dass es ihr ... überhaupt nicht möglich gewesen wäre, die Flucht zu ergreifen".

Ferner beruhe die Mutmaßung des Beschwerdegerichtes, wonach die Angeklagte im Hinblick auf ihre Heirat in der Türkei "doch auch in der Türkei Verwandte haben dürfte", auf Spekulation. Schließlich verweist die Beschwerde darauf, dass es "in grobem Maß ungerecht erscheine, der - im Wesentlichen vermögenslosen - Angeklagten die Möglichkeit der Substituierung der Haft durch eine von dritter Seite angebotene Sicherheitsleistung von 75.000 EUR mit der Begründung zu verwehren, dass finanzielle Mittel, die eine Flucht ermöglichen könnten, ersichtlich zur Verfügung stehen.

Rechtliche Beurteilung

Mit keinem dieser Argumente ist sie im Recht:

Umstände, die einen Haftgrund (vorliegendenfalls Fluchtgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 StPO) lediglich - wie hier durchwegs von der Beschwerde releviert - nicht annehmen lassen, sind keineswegs bereits solche, die ihn auch auszuschließen vermögen. Zu solchen müssten noch die im § 180 Abs 7 StPO vorausgesetzten bestimmten, Haftgründe ausschließenden Tatsachen treten, wie etwa besondere physische, die Mobilität einschränkende Beeinträchtigungen, über das übliche Maß hinaus gehende soziale und familiäre Gebundenheit oder das Fehlen jeglicher wirtschaftlicher Möglichkeiten, die ein der Strafverfolgung entzogenes Leben ermöglichen könnten (15 Os 22/00). Diese Kautelen sind fallbezogen nicht gewährleistet. Zunächst ist festzuhalten, dass die bis dahin nur als möglich beurteilte Verhängung einer (unbedingten) Freiheitsstrafe, noch dazu im Ausmaß von 14 Jahren, sinnfällig, wie schon in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung zutreffend ausgeführt, einen Fluchtimpuls zu begründen oder zu verstärken vermag. Dazu kommt, dass die Angeklagte französische Staatsangehörige ist und - wie auch die Beschwerde einräumt - über familiäre Beziehungen nach Frankreich und Deutschland verfügt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei realitätsbezogener Beurteilung aktueller Reisemöglichkeiten (auch mit Kindern) und des hiefür erforderlichen finanziellen Aufwandes der Umstand, dass die Beschwerdeführerin eine Tochter und einen Sohn betreut, kein Fluchthindernis darstellt.

Vom Vorliegen bestimmter Fluchtgefahr ausschließender Tatsachen kann somit keine Rede sein.

Da die angebotene Sicherheit (S 59/III) fallbezogen den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht zu substituieren vermag, erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Beschwerdeführerin dazu dargelegte Argumentation.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Stichworte