OGH 12Os61/03

OGH12Os61/0323.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Christian W***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 29. Jänner 2003, GZ 2 Hv 95/02v-97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Christian W***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1) sowie der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (2) und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (3) schuldig erkannt.

Demnach hat er in Gschaid seine Gattin Renate W*****

1. am 14. Februar 2002 dadurch, dass er sie wuchtig mit dem Kopf gegen einen nicht näher bekannten Gegenstand oder eine Wand stieß, wodurch die Genannte eine 2 bis 3 cm lange halbmondförmige Rissquetschwunde am Übergang vom rechten Scheitelbein zum rechten Anteil des Hinterhauptbeines, darunterliegend einen Berstungsbruch der Schädelbasis, einen Bruch am Übergang vom rechten Scheitel zum Schläfenbein, eine Blutung zwischen der inneren Knochentafel und der harten Hirnhaut im Bereich der rechten Schläfe, weiters eine Blutung unter den harten Hirnhäuten im linken Schläfenbein, Hirnprellungsblutungen links am Übergang der Stirn zum Scheitelbein (Gegenstoßverletzungen) und einen langdauernden Zustand der Bewusstlosigkeit erlitt, vorsätzlich zu töten versucht, wobei die Vollendung der Tat infolge operativer Maßnahmen unterblieb,

2. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt wenige Tage vor dem 14. Februar 2002 mit Gewalt, indem er sie heftig anfasste und vom Balkon der gemeinsamen Wohnung zurück in das Wohnzimmer stieß, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme vom Verlassen des Wohnhauses durch Überklettern des Balkongeländers und Hinunterklettern auf den darunter liegenden Balkon, genötigt,

3. zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Februar 2000 in mehrfachen Angriffen widerrechtlich gefangen gehalten, indem er die Wohnzimmertür versperrte und sich weigerte, ihr das Verlassen des Wohnzimmers zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 345 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht. Soweit der Beschwerdeführer die Schuldsprüche 2 und 3 anficht, werden dazu keine Umstände deutlich und bestimmt bezeichnet, die einen Nichtigkeitsgrund bewirken sollten, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu diesen Fakten ohne sachliche Erörterungsmöglichkeit zurückzuweisen war (§§ 285a Z 2, 344 StPO). Durch die Abweisung (S 507 f/II) der zu Faktum 1 gestellten und in der Rechtsmittelschrift näher bezeichneten Beweisanträge wurden - der Beschwerde zuwider - Verteidigungsrechte nicht verletzt. So konnte die beantragte Einholung "eines weiteren technischen Gutachtens, allenfalls die Ergänzung des bereits erstatteten zum Beweise dafür, dass eine Flugparabel ausgehend von der vom Angeklagten im Rahmen des gerichtlichen Ortsaugenscheines gezeigten Absprungposition und zu der weiters demonstrierten Auffallstelle technisch möglich ist" (S 505/II), zurecht unterbleiben. Der Angeklagte behauptete zwar zur Untermauerung seines Beweisbegehrens insofern eine Mangelhaftigkeit des bereits erstatteten Gutachtens, "als der Herr Sachverständige zwar Möglichkeiten darlegte, diese nach seinen eigenen Angaben jedoch nicht berechnete. Erst durch die entsprechende Darlegung der anzuwendenden Formel und durch die Ausfüllung dieser Formel mit den entsprechenden Parametern kann es daher möglich sein, Beweis darüber zu erheben, dass Absprungposition und Auffundstelle vereinbar sind."

Er legt aber nicht dar, aus welchem Grund die mathematische Durchrechnung zu einem anderen Ergebnis führen soll, zumal der Sachverständige zur Flugparabel ausdrücklich erklärte, dass diese Berechnung keine Änderung des Resultates oder Erhöhung der Aussagekraft des Gutachtens ergeben würde (S 464 f/II). Die über das in der Hauptverhandlung benannte Beweisthema hinausgehenden Beschwerdeausführungen sind schon deshalb unbeachtlich, weil bei Prüfung der Beweisanträge stets von der Verfahrenslage zum Zeitpunkt der Antragstellung auszugehen ist (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 40, 41; Ratz WK-StPO § 281 Rz 325).

Der von der Beschwerde relevierte Antrag auf Vernehmung der Polizeibeamten Leo K***** und Matthias R***** als Zeugen zum Beweis dafür, dass "anlässlich der Spurensicherung an Ort und Stelle blutähnliche Auftragungen festgestellt wurden, welche von Renate W***** stammen und den von mehreren Zeugen beschriebenen Blutfleck bzw dessen Reste darstellten, wobei sich diese Spuren und damit der ursprünglich Blutfleck in einer Entfernung von 2,57 m von der Hauswand befanden" (S 504/II), und auf Vorname einer entsprechenden Auswertung "der gesicherten Spuren zur Zuordnung zum Unfallgeschehen, falls diese noch nicht ausgewertet wurden" (S 505/II), wurde vom Erstgericht zutreffend abgelehnt; lässt doch das Beweisthema nicht erkennen, zu welchen Wahrnehmungen die Polizeibeamten über die in der schriftlichen Sachverhaltsaufnahme festgehaltene Lokalisation der ausgewaschenen blutähnlichen Spuren hinaus Auskunft geben und welche zusätzlichen Erkenntnisse durch eine "Spurenauswertung" gewonnen werden könnten. Außerdem beachtet der zur Relevanz der Beweisaufnahme hinzugefügte Hinweis auf das technische Sachverständigengutachten weder dessen wesentlichen Inhalt noch jenen der medizinischen Expertise, wonach die vom Angeklagten demonstrierte Absprungposition und Endlage nicht in Einklang zu bringen und mit den eingetretenen Verletzungsfolgen nicht vereinbar sind.

Soweit der Beschwerdeführer moniert, dass zwei vorgelegte Privatgutachten entgegen seinem Antrag nicht zum Akt genommen und verlesen wurden, ist er darauf zu verweisen, dass derartige Expertisen ihre Bedeutung allein in der persönlichen Information der Parteien und ihrer Vertreter haben. Einer Verpflichtung des Gerichts, solche Gutachten zum Akt zu nehmen, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage (vgl 13 Os 34/01; Ratz WK-StPO § 281 Rz 351). Die mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten, von der Verteidigung in Auftrag gegebenen Expertisen waren infolge des im Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbotes nicht als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

Den Beschwerdeeinwänden zu behaupteten "Verletzungen des Sachlichkeitsgebotes im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Sachverhaltserhebungen" ist zu entgegnen, dass ein zur Untermauerung der Richtigkeit dieser Behauptung und damit einer Grundrechtsverletzung nach Art 6 MRK gerichteter Antrag nicht gestellt wurde, der Angeklagte somit schon zur Geltendmachung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes nicht legitimiert ist (Foregger/Fabrizy StPO8 § 281 Rz 38), weshalb das gesamte dazu erstattete Beschwerdevorbringen vorweg auf sich zu beruhen hat. Letztlich geht auch die Beschwerdekritik an der Abweisung der beantragten Durchführung einer digitalen radiologischen Rekonstruktion des Frakturmusters ins Leere; läuft doch das angeführte Beweisthema, dass "die bei Renate W***** diagnostizierte Schädelverletzung aufgrund einer Gewalteinwirkung, welche nicht auf die vom Sachverständigen (Dr. G*****) beschriebene Weise erfolgen konnte, eingetreten ist " (S 506/II), bloß auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus (abermals Ratz WK-StPO § 281 Rz 351). Die abschließenden eigenständigen Beweiswerterwägungen, etwa zur Verlässlichkeit der Eltern des Angeklagten, zweifeln im Übrigen nur nach Art einer hier unstatthaften Schuldberufung das Ergebnis der ausschließlich den Laienrichtern zukommenden Lösung der Beweisfragen an.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 285i, 344 StPO). Die Verpflichtung zum Kostenersatz beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Stichworte