OGH 13Os123/03 (13Os124/03)

OGH13Os123/03 (13Os124/03)24.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. September 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Werner P***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen Teile der Begründung zweier Beschlüsse des Landesgerichtes Korneuburg, AZ 431 Ur 29/02y (ON 32 und 34), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig und des Verteidigers Dr. Graupner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Nachdem am 23. Mai 2002 über Werner P***** in dem zum AZ 431 Ur 29/02y des Landesgerichtes Korneuburg wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen geführten Strafverfahren die Untersuchungshaft verhängt worden war, wollte der Verteidiger in den Amtsräumen des Gerichtes in die Strafakten Einsicht nehmen. Der Untersuchungsrichter traf jedoch gegenüber einer Kanzleibediensteten die Verfügung, dass der Antrags- und Verfügungsbogen von der Einsichtnahme ausgenommen werde (§ 170 Abs 6 Geo). Nach einem Amtsvermerk dieser Bediensteten basierte die Verfügung auf dem Umstand, dass der "nicht Bestandteil" sei.

Aufgrund einer bei der Ratskammer eingebrachten Beschwerde des Beschuldigten wurde die getroffene Verfügung beschlussmäßig (= ON 32 des Strafaktes) ausgefertigt, die Verweigerung der Einsicht in den Antrags- und Verfügungsbogen unter Anführung besonderer, konkret genannter Umstände im Sinn der Ausnahmebestimmung des § 45 Abs 2 dritter Satz StPO begründet und letztlich darauf verwiesen, dass "andererseits der Antrags- und Verfügungsbogen keinen unmittelbaren Bestandteil des Strafaktes darstellt" (ON 32).

Die Ratskammer, welche die Beschwerde wegen Vorliegens der im § 45 Abs 2 dritter Satz StPO genannten Umstände für unberechtigt erachtete, sah im letztzitierten Halbsatz der Beschlussbegründung des Untersuchungsrichters einen - "unglücklich formulierten" - Hinweis darauf, dass der Antrags- und Verfügungsbogen keine der im § 45 Abs 2 letzter Satz StPO genannten Entscheidungen enthielt, von denen dem Verteidiger auf sein Verlangen stets eine Ausfertigung auszufolgen ist (ON 34).

In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde geht der Generalprokurator davon aus, dass sowohl der Untersuchungsrichter als auch die Ratskammer bei der Begründung ihrer Entscheidungen eine Rechtsmeinung zum Ausdruck gebracht hätten, wonach dem Antrags- und Verfügungsbogen in Ansehung des Rechtes auf Akteneinsicht eine normative Sonderstellung gegenüber anderen Aktenbestandteilen beigemessen werde.

Rechtliche Beurteilung

Demgegenüber aber hat die Ratskammer den fraglichen Hinweis des Untersuchungsrichters ausdrücklich auf die unterlassene Ausfolgung von Ausfertigungen im § 45 Abs 2 letzter Satz StPO genannter Entscheidungen bezogen. Der Untersuchungsrichter hinwieder hat sich zur Beschränkung der Akteneinsicht auf § 45 Abs 2 dritter Satz StPO berufen und den undeutlichen Hinweis, wonach der Antrags- und Verfügungsbogen "keinen unmittelbaren Bestandteil des Strafaktes" darstelle, nur "andererseits" beigefügt, sodass er zwanglos in Verbindung mit der Vorschrift des § 45 Abs 2 letzter Satz StPO gebracht werden und durchaus so verstanden werden kann, dass dem Verteidiger unter dem Aspekt dieser Vorschrift kein Recht auf Ausfolgung einer Ausfertigung des Antrags- und Verfügungsbogens zukomme. Nach Maßgabe der Regeln folgerichtigen Denkens (weil der dritte Satz des § 45 Abs 2 StPO nur Aktenstücke, die nach dem ersten Satz dieser Vorschrift der Akteneinsicht offen stehen, meint) macht er denn auch nur - aber immerhin - solcherart Sinn (vgl 14 Os 161/96 = EvBl 1997/89), sodass zu dem von der Nichtigkeitsbeschwerde gewählten Textverständnis kein Anlass besteht.

Weil demnach weder Untersuchungsrichter noch Ratskammer ausdrücklich die verfehlte Ansicht vertreten haben, dass dem Antrags- und Verfügungsbogen in Ansehung des Rechtes auf Akteneinsicht eine normative Sonderstellung gegenüber anderen Aktenbestandteilen beigemessen wird, die bloße Undeutlichkeit der rechtlichen Begründung der Verfügung des Untersuchungsrichters nicht von der Nichtigkeitsbeschwerde erfasst wird, war diese zu verwerfen.

Stichworte