OGH 11Ns16/03

OGH11Ns16/039.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Allmayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mag. Herwig B***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB über den Ablehnungsantrag des Beschuldigten betreffend alle Richter des Oberlandesgerichtes Wien nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Antrag auf Ablehnung der Richter des Oberlandesgerichtes Wien wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsache Wien wurde Mag. Herwig B***** des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt. Danach liegt ihm zur Last, zwischen Juli und Dezember 2002 in Wien aufgrund ihm nicht genehmer Vorgänge im seine Kinder betreffenden Pflegschaftsverfahren in insgesamt 13 Fällen insgesamt 11 namentlich genannte - in Zusammenhang mit diesem Verfahren in der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit tätige - Personen teils telefonisch, teils in schriftlichen Eingaben mit dem Tod gefährlich bedroht zu haben, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Darunter habe er in einem Fall auch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien Dr. R***** telefonisch bedroht (Punkt 7./ des Schuldspruchs), der dies zur Anzeige brachte (ON 31). Gegen das erstinstanzliche Urteil hat der Beschuldigte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, die Staatsanwaltschaft wiederum Berufung wegen Strafe eingebracht; über die dem zuständigen Oberlandesgericht Wien vorgelegten Rechtsmittel wurde bisher noch nicht entschieden.

Mit Eingaben vom 30. April 2003 (ON 52) und vom 18. Juni 2003 (ON 57) lehnte der Beschuldigte alle Richter des Oberlandesgerichtes Wien als befangen ab und begründet dies im Wesentlichen damit, dass der Präsident dieses Gerichts zum einen als Anzeiger aufgetreten sei, zum anderen durch seine Stellung Einfluss auf die Karrieren aller am Oberlandesgericht tätigen Strafrichter nehme. Zudem liege ein Konflikt zwischen den schriftlichen den Fall betreffenden Äußerungen des Präsidenten und jenen der Richterin des Oberlandesgerichts Dr. W***** vor, sodass ein darüber entscheidender Richter befangen sein müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag auf Ablehnung aller Richter des Gerichtshofes zweiter Instanz ist nicht berechtigt.

Vorausgeschickt sei, dass der Präsident des Oberlandesgerichts Wien Dr. R***** selbst in der den Beschuldigten betreffenden Strafsache als Verletzter und Anzeiger ausgeschlossen ist (§§ 67, 68 Abs 1 Z 2 StPO).

Gemäß § 72 Abs 1 StPO kann (unter anderem) der Beschuldigte Mitglieder des Gerichtes ablehnen, wenn er außer den in §§ 67 bis 69 StPO bezeichneten Fällen (der Ausschließung) andere Gründe anzugeben und darzutun vermag, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des (der) Abzulehnenden in Zweifel zu ziehen; dabei müssen die Gründe der Ablehnung genau angegeben und nach Möglichkeit bescheinigt werden (§ 73 zweiter Satz StPO).

Die der Sache nach aufgestellte Behauptung, ein Richter sei (immer dann) als befangen anzusehen, wenn der in einem von ihm zu beurteilenden Strafverfahren Verletzte durch seine Stellung Einfluss auf die Karriere des Richters nehme(n könne), trifft in dieser vereinfachten Verallgemeinerung nicht zu. Grundsätzlich ist von einem nach der Verfassung sachlich (Gewaltentrennung, Art 24, 87, 94 B-VG) und persönlich (Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, Art 88 B-VG) unabhängigen Richter, der zudem einem strengen Dienstrecht verpflichtet ist (§§ 29 Abs 1 iVm 57 Abs 1 RDG), zu erwarten, dass er die Pflichten seines Amtes jederzeit gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig erfüllt. Sind Personen, von denen ein Einfluss auf die berufliche Laufbahn des Richters theoretisch ausgeübt werden kann, in ein Strafverfahren involviert, kann im Hinblick auf die vorgenannten Erwägungen die bloß abstrakte Einflussmöglichkeit eine Befangenheit noch nicht begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob sich für einen unbefangenen Beobachter aufgrund besonderer Umstände die Gefahr der Einflussnahme in einem Maße aktualisiert, dass deshalb die Parteilichkeit des Richters oder auch nur der Anschein einer parteiischen Prozessführung zu besorgen ist. Ob dies zutrifft, hängt demnach insb von der Wahrscheinlichkeit einer Einflussnahme und davon ab, in welchem Ausmaß die Interessen der verfahrensinvolvierten Person tangiert werden.

Vorliegend werden solche besonderen Umstände vom Antragsteller nicht aufgezeigt.

Zum einen kommt dem Faktum der Bedrohung des Präsidenten Dr. R***** im Licht des gesamten Urteils (mit insgesamt 13 gleichartigen Fakten) nur geringes Gewicht zu und war der Beschuldigte (auch) hiezu in der Hauptverhandlung geständig (S 483/I), sodass es einer Vernehmung des Bedrohten und einer Prüfung seiner Glaubwürdigkeit nicht bedurfte; auch im Rechtsmittel stellt der Beschuldigte seine Äußerungen gegenüber Dr. R***** nicht in Frage. Zum anderen enthält der Ablehnungsantrag keine konkreten Umstände, die geeignet wären, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler ohne eigene Interessen auch nur den Anschein zu erwecken, alle Richter des Oberlandesgerichtes Wien wären im vorliegenden Fall durch sachfremde Motive an einer unparteilichen Entscheidungsfindung gehindert. Die bloß auf eigene Bewertung gestützte rein subjektive Besorgnis einer Befangenheit kann eine Ablehnung nicht mit Erfolg begründen (Mayerhofer StPO4 § 72 E 7).

Soweit im Ablehnungsantrag - ohne Konkretisierung - einander widersprechende schriftliche Äußerungen Dris. R***** und Dris. W***** behauptet werden, entspricht dies nicht der Aktenlage. Durch die Ausführungen des Ablehnungsantrags werden somit keine Umstände dargetan, welche (objektiv) die Unvoreingenommenheit aller Richter des Oberlandesgerichtes in Zweifel ziehen lassen oder zur Befürchtung Anlass zu geben geeignet sind, jene könnten sich bei ihrer Entscheidung von anderen als sachlichen Gründen leiten lassen (Mayerhofer aaO E 4 f).

Die umfassende Ablehnung des zuständigen Gerichtshofes zweiter Instanz erweist sich somit als nicht gerechtfertigt, weshalb der Antrag abzuweisen war.

Stichworte