OGH 13Os85/03

OGH13Os85/033.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roland R***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 12. März 2003, GZ 12 Hv 191/02f-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Roland (Horst) R***** wurde (I.) des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und (II.) des Vergehens (richtig: der Vergehen) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er in St. Paul im Lavanttal

I. zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten von Anfang September 2001 bis Juli 2002 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen und an einer unmündigen Person dadurch vorgenommen, dass er die am 20. Jänner 1991 geborene Vanessa A*****, die Tochter seiner Lebensgefährtin, veranlasste, sein erregtes Glied mit einem Gel oder einer Creme einzuschmieren und an seinem Glied bis zum Samenerguss zu reiben, und sie aufforderte, sich zu entkleiden und sie sodann wiederholt an den Brüsten und an ihrer Scheide betastete; II.) die Unmündige Vanessa A***** durch die zu I.) beschriebenen Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person (faktisches Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis) zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welche fehl geht.

Die Verfahrensrüge aus Z 3 behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 2a, weil - entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers - das Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Vanessa A***** verlesen worden sei, obwohl die Video-Aufzeichnung hierüber verloren gegangen wäre und somit nicht habe vorgeführt werden können.

Da das Protokoll ordnungsgemäß zustandegekommen ist, durfte es entgegen der Beschwerdemeinung auch verlesen werden, zumal die zusätzliche Bild- oder Tonaufnahmen keinen integrierenden Bestandteil desselben darstellen und keineswegs angeordnet werden müssen. Aber auch aus Z 4 führt das Vorbringen nicht zum Ziel, weil die Videoaufzeichnung nicht vorhanden ist.

Soweit die Verlesung aus Z 3 mit der Behauptung gerügt wird, die Zeugin habe von ihrem Entschlagungsrecht in der Hauptverhandlung keinen Gebrauch gemacht, weil sie lediglich erklärt hätte, sich in einer Hauptverhandlung "allenfalls" der Aussage entschlagen zu wollen, ist sie aktenfremd, weil die Zeugin angegeben hat, in einer allfälligen Hauptverhandlung "auf jeden Fall" von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch zu machen (S 129). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang noch vorbringt, die Belehrung nach § 162a Abs 4 StPO sei erst am Ende der Vernehmung erfolgt, ist ihr zu entgegnen, dass eine allfällige (aktenmäßig hier nicht belegte) Verletzung der Belehrungspflicht nach § 162a Abs 4 StPO - entgegen der inhaltlich auch den Nichtigkeitsgrund der Z 2 des § 281 Abs 1 StPO relevierenden Beschwerde - nicht mit Nichtigkeit bedroht ist (Foregger/Fabrizy StPO8 162a Rz 7).

Zum weiteren der Sache nach zum gleichen Nichtigkeitsgrund erfolgenden Vorbringen, die Zeugin Vanessa A***** sei als Tochter der Lebensgefährtin des Angeklagten, Monika A*****, dessen Angehörige iS des § 72 StGB, der das Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 iVm § 162a Abs 4 StPO vorzuhalten gewesen wäre, genügt der Hinweis auf die zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits beendete Lebensgemeinschaft (S 108), womit die darauf gegründete Angehörigeneigenschaft weggefallen ist (WK2 Jerabek § 72 Rz 19); dies gilt auch für Kevin A*****, der übrigens in der mit Urteil beendeten Hauptverhandlung nicht vernommen (s. ON 43); sondern dessen frühere Aussage (in ON 35) einvernehmlich verlesen wurde.

Der als Verfahrensrüge unter Z 4 erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe den Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Jennifer W***** (zum Beweis dafür, "dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten tatsächlich nicht erfolgt sind und die Schilderung der Zeugin Vanessa A***** gegenüber ihren Freundinnen eine Fabulation bzw eine Selbstdarstellung darstellt") nicht erledigt, weil sich das Erstgericht zwar zur Beratung zurückgezogen, der Vorsitzende sodann jedoch den Beschluss gesetzwidrig verkündet hätte, weil dem Hauptverhandlungsprotokoll ein Spruch nicht entnommen werden könne, ist nicht begründet. Abgesehen davon, dass mit diesem Vorbringen bloß eine mangelhafte Protokollführung behauptet wird (deren Berichtigung nicht begehrt wurde), sind im Protokoll ohnehin die Gründe für die Abweisung des Beweisantrages zu entnehmen (S 272); denen ist nichts hinzuzufügen.

Weshalb in diesem Zusammenhang ein Freispruch nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" begehrt wird, bleibt unerfindlich.

Den einleitenden Ausführungen der Mängelrüge (Z 5) und der mit ihr teils gemeinsam - und insoweit zufolge Eigenständigkeit als Nichtigkeitsgrund prozessordnungswidrig ausgeführten - Tatsachenrüge (Z 5a) ist vorerst zu entgegnen, dass der Strafprozessordnung starre Beweisregeln fremd sind und das Prinzip freier richterlicher Beweiswürdigung gilt (§ 258 Abs 2 StPO). Demzufolge sind die Tatrichter nicht nur berechtigt, "zwingende", sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen. Wenn sie sich daher - in logischer Deduktion - für einen dem Angeklagten nachteilige Lösung entschieden haben, ist dies mit Mängelrüge unanfechtbar, mag auch eine dem Angeklagten günstigere Variante ebenso denkbar sein. Dem Beschwerdehinweis auf den Grundsatz "in dubio pro reo" ist zu entgegnen, dass es hiebei darauf ankommt, ob das erkennende Gericht Zweifel am Vorliegen entscheidender Tatsachen hat, nicht jedoch, ob der Angeklagte oder der Verteidiger hievon überzeugt ist oder nicht. Dass die erkennenden Richter aber nicht gezweifelt haben, zeigen die Ausführungen zum Schuldspruch.

Im Übrigen ist das Erstgericht - wie auch die Beschwerde einräumt - zur gedrängten Darstellung der Gründe verhalten. Daraus folgt, das es nicht verpflichtet ist, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt aller Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen. Das fehlende Eingehen auf einzelne unerhebliche Verfahrensergebnisse bewirkt daher keine Unvollständigkeit der Gründe, deren isolierte Hervorhebung auch im Hinblick auf die Verpflichtung des Gerichtshofes zu einer Gesamtschau nicht zielführend ist.

Entgegen dem eine unzureichende Begründung behauptenden Beschwerdevorbringen betrifft die Feststellung, der Angeklagte hätte seine "diesbezüglichen Aufforderung zum Zwecke eigener geschlechtlichen Erregung" getätigt (US 5) keine entscheidende Tatsache, weil dies für § 207 Abs 1 StGB kein Tatbestandserfordernis ist (vgl § 207 Abs 2 StGB).

Soweit Aktenwidrigkeiten gerügt werden ("öfters" statt "zweimal" beim Onanieren beobachtet, geringe Zeitdifferenzen) erkennt schon die Beschwerde selbst, dass die behaupteten Widersprüche jedenfalls von keiner erheblichen Art sind.

Insgesamt zeigt die Rüge daher keine Begründungsmängel auf, sondern trachtet im Kern mit einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen und somit unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung bloß die auf der Tatsachenebene angestellten Erwägungen der Erstrichter in Zweifel zu ziehen. Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5a), welche keine erheblichen sich aus den Akten ergebende Bedenken gegen die Richtigkeit der entscheidenden Tatsachenfeststellungen aufzeigt. Soweit sie einmal mehr einen Verstoß des Erstgerichtes gegen seine Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit behauptet, ist auf das bereits oben Dargelegte hinzuweisen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) negiert ausdrücklich die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 5, 6, 12, 13) und entbehrt solcherart sowie mit der Behauptung, es würden "keine Beweisergebnisse zur Verwirklichung der zur Verurteilung gelangten Tatbestände" vorliegen, einer Ausrichtung an den Prozessgesetzen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO) sodass zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft das Oberlandesgericht Graz zuständig ist. Die Kostenentscheidung gründet sich durch die bezogene Gesetzesstelle.

Stichworte