OGH 9Nc16/03g

OGH9Nc16/03g30.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Julian B*****, über das Ersuchen des Bezirksgerichtes Kufstein um Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN im Verfahren zu AZ 1 P 200/01k des Bezirksgerichtes Kufstein in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Klagenfurt wird genehmigt.

Text

Begründung

Der (außerehelich geborene) Minderjährige lebte nach der Trennung der Eltern vorerst gemeinsam mit der obsorgeberechtigten Mutter in Kärnten und übersiedelte im Jahr 2001 gemeinsam mit ihr nach Tirol. Infolge der dringenden Bitte der Mutter an den Vater, das Kind "für einen längeren Lebensabschnitt, eventuell bis zu seiner Volljährigkeit", zu sich - allenfalls zu den Großeltern - zu nahmen und zugleich die Übertragung der Obsorge zu beantragen, lebt der Minderjährige seit Dezember 2002 im Haushalt des Vaters und dessen Lebensgefährtin in Kärnten und besucht dort die Schule. Der Vater hat auch entsprechend der von der Mutter geäußerten Bitte umgehend die Übertragung der Obsorge beantragt. Nach einem Ferienaufenthalt des Kindes bei der Mutter im Februar 2003 äußerte sie erhebliche Bedenken gegen einen weiteren Verbleib des Minderjährigen bei seinem Vater und beantragte, ihr weiterhin das "alleinige Sorgerecht" zu belassen. Der Vater sprach sich dagegen aus. Er verwies darauf, dass die Mutter selbst die Übertragung der Obsorge auf ihn angeregt habe; das Kind sei bei ihm auch gut aufgehoben und die Mutter habe selbst jüngst in einem Schreiben vom 1. 4. 2003 für die Fürsorge gedankt. Die seinerzeitige Vereinbarung der Eltern über die Betreuung des Kindes durch den Vater entspreche dessen Wohl.

Das Pflegschaftsgericht übertrug die Zuständigkeit zur Führung des Pflegschaftsverfahrens mit (mittlerweile rechtskräftigem) Beschluss vom 15. 4. 2003 dem Bezirksgericht Klagenfurt. Gemäß § 109 JN sei zur Führung des Pflegschaftsverfahrens jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Eine Zuständigkeitsübertragung gemäß § 111 Abs 1 JN sei in jenem Ausnahmefall zulässig, in dem jenes Gericht, dem die Zuständigkeit übertragen wird, eindeutig besser in der Lage sei, die pflegschaftsbehördlichen Agenden zu besorgen, als das an sich zuständige Gericht. Das Kind lebe seit Dezember 2002 im Haushalt seines Vaters in Klagenfurt und besuche dort das Gymnasium. Zur Entscheidungsfindung über den Obsorgeantrag sei eine kinderpsychologische Begutachtung unentbehrlich. Die Einholung eines solchen Gutachtens lasse ebenso wie die Abklärung der Lebenssituation des Vaters und des Kindes die Übertragung des Pflegschaftsverfahrens an das Bezirksgericht Klagenfurt zweckmäßig erscheinen.

Das Bezirksgericht Klagenfurt lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache ab. § 111 JN stelle eine Ausnahmebestimmung dar, die einschränkend auszulegen sei. Ausschlaggebendes Kriterium sei das Kindeswohl und in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenen und Pflegschaftsgericht. Solange kein stabiler Aufenthaltsort des Kindes gegeben sei, sei eine Zuständigkeitsübertragung nicht vorzunehmen. Hier habe der außereheliche Vater das Kind gegen den erklärten Willen der obsorgeberechtigten Mutter bei sich wohnhaft. Der Aufenthaltsort im Sprengel des Bezirksgerichtes Klagenfurt sei daher keineswegs als stabil zu bezeichnen, insbesondere weil dieser nach der Aktenlage jedenfalls rechtswidrig sei. Dazu komme, dass eine Entscheidung durch das bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sei, weil sich dieses bereits eingehend mit dem offenen Antrag auf Obsorgeübertragung befasst habe und die von ihm gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Den Argumenten des Bezirksgerichtes Klagenfurt ist nicht beizutreten. Es trifft zwar zu, dass in der Regel eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN nicht vorzunehmen ist, solange kein stabiler Aufenthaltsort des Kindes gegeben ist. Im vorliegenden Fall lebt der Minderjährige jedoch seit bereits nahezu eineinhalb Jahren in seiner bisherigen Heimat, in Kärnten, wobei dieser Wechsel des Aufenthaltsortes von seiner obsorgeberechtigten Mutter nicht nur gebilligt, sondern sogar ausdrücklich gewünscht worden war. Angesichts der derzeitigen Verhältnisse liegt es nahe, dass das Kind bis zu einer Entscheidung über den Antrag auf Übertragung der Obsorge an den Vater aus seiner derzeitigen Umgebung nicht herausgerissen werden soll.

Zutreffend hat das Bezirksgericht Kufstein darauf hingewiesen, dass ganz wesentliche Grundlagen für die zu fällende Entscheidung die Abklärung der derzeitigen Lebenssituation des Kindes sowie die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens darüber sein werden, ob die beantragte Übertragung der Obsorge an den Vater dem Kindeswohl entspricht. Die zur Gewinnung dieser Beweismittel erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen sind naheliegenderweise am Aufenthaltsort des Kindes vorzunehmen. Auch das Bezirksgericht Klagenfurt hat richtig darauf hingewiesen, dass in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenen und Pflegschaftsgericht von wesentlicher Bedeutung ist (EFSlg 90.774 ua). Eine allenfalls bessere Kenntnis der Aktenlage durch das bisher zuständige Pflegschaftsgericht fällt demgegenüber nicht ins Gewicht, zumal feststeht, dass der Minderjährige in Tirol äußerst unglücklich war. Zur Frage, ob er sich bei seinem Vater in Kärnten besser fühlt, liegen noch keine aussagekräftigen Beweisergebnisse vor.

Da somit die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Klagenfurt im Sinne des § 111 Abs 1 JN im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, war der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichtes Kufstein zu genehmigen.

Stichworte