OGH 11Os49/03

OGH11Os49/0324.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Philipp und Dr. Danek, als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Fellerer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Islam H***** wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und eines weiteren Finanzvergehens über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Dezember 2002, GZ 124 Hv 56/02t-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Islam H***** der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (A und B des Urteilssatzes) und nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (C) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien vom Dezember 1990 bis Ende 1994 als Geschäftsführer der A***** GmbH fortgesetzt vorsätzlich (zu A) durch Abgabe wahrheitswidriger Jahreserklärungen in Verbindung mit der Aufnahme von Falschrechnungen im Rechenwerk eine Verkürzung bescheidmäßig festzustellender Abgaben, und zwar für die Veranlagungsjahre 1989 und 1990 an Umsatzsteuer in der Höhe von 870.005 S, an Körperschaftssteuer von 316.170 S und an Gewerbesteuer von 153.148 S bewirkt und für die Jahre 1991 und 1992 an Umsatzsteuer in der Höhe von 2,899.344 S, an Körperschaftssteuer von 1,185.240 und an Gewerbesteuer von 547.907 S zu bewirken versucht, (zu B) durch Unterlassung ihrer Entrichtung eine Verkürzung der selbst zu berechnenden Kapitalertragssteuer für die Jahre 1989 bis 1993 in der Gesamthöhe von 6,452.927 S und

(zu C) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes entsprechenden Voranmeldungen, nämlich Geltendmachung fingierter Vorsteuern mittels Falschrechnungen der K***** GmbH eine für gewiss gehaltene Verkürzung der selbst zu berechnenden Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum Jänner bis Oktober 1993 in der Höhe von 850.408 S bewirkt.

Den Schuld- und Strafausspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 4, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Bereits der Verfahrensrüge (Z 4) kommt - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - Berechtigung zu. Mit ihr wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Anträge auf Vernehmung der Zeugen Safet H***** und Mag. Rudolf G*****; durch die Aussage des Erstgenannten sollte der Nachweis erbracht werden, dass zu keinem Zeitpunkt "Schwarzarbeiter" beschäftigt und die Leistungen der Subunternehmen von Safet H***** kontrolliert sowie aufgrund der geleisteten Arbeiten abgerechnet wurden (sodass die Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen zufolge Zahlungen im Umfang der Rechnungen verfehlt sei), während Mag. G***** zur Vertragsgestaltung mit der Firma Ko***** aussagen und bestätigen sollte, dass die Steuern nach seinen Berechnungen abgeführt wurden, woraus sich ergebe, dass der Angeklagte im Vertrauen auf die Zusagen und Informationen des Zeugen (demnach ersichtlich gemeint: ohne Vorsatz und Wissentlichkeit) gehandelt habe (S 363 f). Das Schöffengericht lehnte die Anträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Firmen S***** GmbH und K***** "steuerlich nicht existierende Firmen" waren, welcher Umstand für den Angeklagten aufgrund der Anbahnung der Geschäftsbeziehung erkennbar gewesen sei; der Angeklagte habe "Rechnungen und Beschäftigungsverhältnisse" nach Eröffnung des Konkursverfahrens über die K***** GmbH vorgetäuscht, wofür es "keines weiteren Beweises" bedürfe, spreche doch die "bei der Hausdurchsuchung vorgefundene Blankorechnung (S 275)" ... "Bände dafür", Safet H***** habe "Schwarzarbeiter" kontrolliert. Der Steuerberater hinwieder konnte glauben, "vom Angeklagten steuerehrliche Antworten" zu bekommen; beiden Beweisthemen wurde zudem Erkundungscharater unterstellt (S 369 f).

Damit nahm das Erstgericht aber einerseits eine vorgreifende Beweiswürdigung vor, wobei es überdies das "Blankorechnungsformular" (S 275), welches anlässlich diverser Hausdurchsuchungen bei anderen Unternehmen aufgefunden wurde (so eindeutig: S 121; Tz 19 des Betriebsprüfungsberichtes in ON 3; siehe auch die mangelnde Übereinstimmung dieses Formulars mit den Rechnungen Beilage ./1 bis ./8 der Berufung vom 26. Mai 1994 in ON 3), ohne nähere Darlegung eines Sachzusammenhanges begründend heranzog. Andererseits verkannte es, dass aus den begehrten Zeugenaussagen zum Thema der Leistungserbringung durch die Subunternehmen und tatsächlich geleisteter Zahlungen an diese (siehe Beilagen ./1 bis ./7 zur Berufung vom 29. Mai 1994 [in ON 3]) sowie dem Informationsfluss zwischen dem Steuerberater und dem Angeklagten in Bezug auf die Verrechnung mit der Firma Ko***** (siehe Berufung samt Beilage ./9 in ON 3) - durchaus andere als die im Urteil gezogenen - Schlüsse auf die Modalitäten der Leistungserbringung, aber auch zum Informationsstand des Beschwerdeführers und damit auf die objektive sowie subjektive Tatseite möglich sind. Dazu kommt, dass das vor der Finanzlandesdirektion anhängige Berufungsverfahren aus Anlass der Liquidation der A***** GmbH eingestellt und somit über das Rechtsmittel nicht entschieden (S 27) wurde, somit eine qualifizierte Vorprüfung der Einwände nicht erfolgte.

In diesem Zusammenhang begründete das Erstgericht die anhand des Betriebsprüfungsberichtes getroffenen Feststellungen zum mangelnden Leistungsaustausch mit den Subunternehmen (Tz 19 des Betriebsprüfungsberichtes in ON 3) und der Leistungserbringung durch "eigene Schwarzarbeiter" (US 10) mit einem Straferkenntnis wegen Verstoßes gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz (S 296), welches zufolge des Einsatzes eines Arbeiters in Niederösterreich trotz der Beschränkung seiner Arbeitsbewilligung auf das Bundesland Wien erging. Ohne auf die vom Steuerberater vorgelegte Anmeldung dieses Arbeiters bei der Wiener Gebietskrankenkasse (S 317) einzugehen, sah es die leugnende Verantwortung des Angeklagten als "widerlegt" an (US 21).

Weil das Erstgericht - ohne die als Entlastungsbeweis geführten Zeugen zu hören - die vorgelegten Belastungsbeweise für ausreichend hielt, verletzte es seine sich aus §§ 3, 258 StPO ergebende Pflicht, den Umfang des Beweisverfahrens nicht von einer vorzeitig gewonnenen Überzeugung von der Schuld des Angeklagten bestimmen zu lassen (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 80).

Da somit der Angeklagte durch die Abweisung der genannten Beweisanträge in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt wurde, war seiner Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und eine Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285 e StPO), ohne dass es noch einer Erörterung der weiteren Beschwerdepunkte bedurfte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte