OGH 10ObS345/02m

OGH10ObS345/02m27.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johann Ellersdorfer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Silvia H*****, vertreten durch ihren Vater Sven H*****, Beamter, beide D-*****, dieser vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Land Salzburg, vertreten durch das Amt der Salzburger Landesregierung, 5010 Salzburg, Fanny-von-Lehnert-Straße 1, dieses vertreten durch Dr. Franz Gerald Hitzenbichler und Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Juli 2002, GZ 12 Rs 112/02f-10, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Dezember 2001, GZ 11 Cgs 106/01x-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Artikel 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 4 Absatz 2 b der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr 1247/92 in Verbindung mit Anhang II Teil III dahin auszulegen, dass er ein Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz für einen Familienangehörigen eines im Bundesland Salzburg beschäftigten Arbeitnehmers, der gemeinsam mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland wohnt, als beitragsunabhängige Sonderleistung vom Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 ausnimmt?

2. Im Fall der Verneinung der zu 1. formulierten Frage:

Kann der Familienangehörige eines im Bundesland Salzburg beschäftigten Arbeitnehmers, der mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland wohnt, die Zahlung von Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz als einer Geldleistung bei Krankheit gemäß Artikel 19 und den entsprechenden Bestimmungen der anderen Abschnitte des Kapitels 1 des Titels III der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 unabhängig von seinem Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland verlangen, wenn er die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt?

3. Im Fall der Bejahung der zu 1. formulierten Frage:

Kann eine Leistung wie das Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz als Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft davon abhängig gemacht werden, dass der Begünstigte seinen Hauptwohnsitz im Bundesland Salzburg hat?

4. Im Fall der Bejahung der zu 3. formulierten Frage:

Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit den Grundsätzen der Unionsbürgerschaft und der Nichtdiskriminierung im Sinne der Artikel 12 EG und 17 EG vereinbar, dass der Anspruch auf eine soziale Vergünstigung im Sinne des Art 7 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68, wie der Anspruch auf Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz, Unionsbürgern, die als Grenzgänger im Bundesland Salzburg beschäftigt sind, ihren Hauptwohnsitz jedoch in einem anderen Mitgliedstaat haben, nicht offensteht?

Wenn nein: Ermöglicht es die Unionsbürgerschaft auch unterhaltsberechtigten Familienangehörigen eines solchen Grenzgängers, die ebenfalls ihren Hauptwohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, im Bundesland Salzburg ein Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz zu erhalten?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt. Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Revisionsverfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.

Text

Begründung

I. Der Sachverhalt:

Die am 22. 9. 1997 geborene Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, ist schwer körperbehindert. Sie wohnt gemeinsam mit ihren Eltern, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind, in S*****, einer Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland an der Grenze zu Österreich. Die Mutter der Klägerin unterlag bis zum Ende ihres dreijährigen Erziehungsurlaubes am 21. 9. 2000 der deutschen Pflegeversicherung und bezog demnach für ihre behinderte Tochter Pflegegeld von der DAK, Pflegekasse Bad Reichenhall. Diese Geldleistung wurde mit dem Hinweis eingestellt, dass sie nur gewährt werden könne, solange in Deutschland eine Pflegeversicherung bestehe. Die Mutter der Klägerin geht derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach. Der Vater der Klägerin ist seit 1994 als Pflichtschullehrer, derzeit zugeteilt der pädagogischen Akademie des Bundes in Salzburg, pragmatisierter Dienstnehmer (Beamter) des Landes Salzburg. Er übt seine Erwerbstätigkeit in Österreich aus und unterliegt hier der Steuer- und Sozialversicherungspflicht. Die Klägerin ist als Angehörige ihres Vaters in Österreich krankenversichert.

Mit Bescheid vom 14. 5. 2001 lehnte die beklagte Partei den am 7. 12. 2000 für die Klägerin gestellten Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz (SPGG) mit der Begründung ab, dass gemäß § 3 Abs 1 Z 2 SPGG der Hauptwohnsitz der pflegebedürftigen Person im Bundesland Salzburg unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld durch das Land Salzburg sei.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab 7. 12. 2000. Der Vater der Klägerin sei Wanderarbeitnehmer im Sinne der Verordnung (EWG) Nr 1408/71. Seine Tochter erhalte in Deutschland als mitversicherte Angehörige zwar beispielsweise die Sachleistungen auf Rechnung des zuständigen österreichischen Krankenversicherungsträgers. Als Angehörige eines Wanderarbeitnehmers sei sie aber insofern diskriminiert, als sie ihren Anspruch auf Pflegegeld in Deutschland verloren habe und die Beklagte als zuständiger österreichischer Pflegegeldträger die Gewährung dieser Leistung nur wegen der Wohnortklausel ablehne. Würde die Klägerin ihren Wohnsitz über die Grenze nach Österreich verlegen, hätte sie jedenfalls Anspruch auf die beantragte Geldleistung. Die in § 3 Abs 1 Z 2 SPGG enthaltene Wohnortklausel verstoße gegen die Verordnung (EWG) Nr 1408/71.

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab, weil die Klägerin ihren Hauptwohnsitz nicht im Bundesland Salzburg habe. Das Salzburger Landespflegegeld stelle im Falle der Klägerin eine beitragsunabhängige Sonderleistung dar, die nicht unter die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 falle und daher auch nicht exportiert werden müsse.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es vertrat unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 8. 3. 2001, Rs C-215/99 , Jauch, Slg 2001, I-1901, die Auffassung, dass es sich auch beim Salzburger Landespflegegeld um eine Leistung bei Krankheit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 lit a der Verordnung Nr 1408/71 handle und diese Geldleistung nach denselben Grundsätzen wie das Bundespflegegeld zu exportieren sei. Die Klägerin sei als Angehörige ihres in Österreich pflichtversicherten Vaters der österreichischen Krankenversicherung leistungszugehörig und habe daher gegenüber dem zuständigen österreichischen Sozialversicherungsträger Anspruch auf alle Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Krankheit. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte als zuständiger Pflegegeldträger das Landespflegegeld als Geldleistung bei Krankheit zu zahlen. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Artikels 19 Absatz 1 und 2 der Verordnung 1408/71 sei die Wohnsitzklausel des § 3 Abs 1 Z 2 SPGG unbeachtlich.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige und zulässige Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt - nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH - die Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof sieht sich aus folgenden Erwägungen veranlasst, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu den oben formulierten Fragen zu ersuchen:

1. Die nationale Regelung:

Am 1. Juli 1993 ist in Österreich eine umfassende und bundesweit praktisch einheitliche Neuregelung der Pflegevorsorge in Kraft getreten. Ziel dieser Neuordnung der Pflegevorsorge war es, unabhängig von der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung flächendeckend ein einheitliches System der Pflegevorsorge in Österreich einzuführen, das allen Einwohnern bei Zutreffen der Voraussetzungen einen Anspruch auf Pflegegeld einräumen sollte. Zu diesem Zweck haben sich Bund und Länder verpflichtet, ein umfassendes System der Pflegevorsorge zu schaffen, mit dem erstmals die Pflegebedürftigkeit als eigenständiges soziales Risiko anerkannt wurde. Seiner Kompetenz entsprechend hat der Bund durch das Bundespflegegeldgesetz (BPGG) für jene Personen, die aufgrund bundesgesetzlicher Vorschriften schon bisher Anspruch auf pflegebezogene Geldleistungen hatten, ein nach dem Bedarf abgestuftes Pflegegeld vorgesehen. Für die übrigen pflegebedürftigen Personen ist die Gewährung entsprechender Pflegegelder durch neun weitgehend gleichartige Landes-Pflegegeldgesetze sichergestellt: Personen, die keine Pensionen oder Renten nach bundesgesetzlichen Bestimmungen beziehen - das sind im Wesentlichen die Angehörigen von Versicherten, Sozialhilfeempfänger, im Beruf stehende Behinderte sowie Landes- und Gemeindepensionisten - leisten die Länder grundsätzlich aufgrund gleicher Regelungen wie der Bund das Pflegegeld. Durch das BPGG und die Landes-Pflegegeldgesetze werden alle Gruppen von behinderten und pflegebedürftigen Menschen erfasst, also alte pflegebedürftige Menschen, aber auch geistig, körperlich und psychisch Behinderte sowie auch behinderte Kinder.

Die Zuordnung nach Kompetenzbereichen hat auch zur Folge, dass Bund und Länder den Aufwand für das Pflegegeld aus ihren jeweiligen Haushalten zu tragen haben. Im Bereich des BPGG ist die Gewährung von Pflegegeld den Trägern der gesetzlichen Pensions- und Unfallversicherung übertragen. Es handelt sich dabei aber dennoch um Leistungen des Bundes, weil der Aufwand an Pflegegeld und der entsprechende Anteil an den Verwaltungskosten den Pensionsversicherungsträgern aus Bundesmitteln in Form eines Kostenersatzes abgegolten wird. Als Pflegegeldträger auf Landesebene fungiert das jeweilige Land, wobei in der Regel eine Pflicht der Gemeinden zur Leistung von Kostenbeiträgen vorgesehen ist. Nach § 1 Salzburger Pflegegeldgesetz (SPGG) hat ebenso wie nach § 1 BPGG das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern und die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Gewährung von Landes- und Bundespflegegeld. Zu den Anspruchsberechtigten gehören nach § 3 BPGG im Wesentlichen Personen, die nach bundesgesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf eine Pension oder Rente, einen Ruhe- oder Versorgungsgenuss haben. Das Bundespflegegeld ist also als Annexleistung zu anderen Leistungen ausgestaltet.

Nach § 3 Abs 1 SPGG haben pflegebedürftige Personen Anspruch auf Pflegegeld, wenn sie

  1. 1. die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen;
  2. 2. ihren Hauptwohnsitz im Land Salzburg haben, und
  3. 3. keine der im § 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) angeführten Leistungen beziehen und keinen Anspruch auf solche Leistung haben. Eheliche Minderjährige teilen den Hauptwohnsitz der Eltern oder des Elternteiles, dessen Haushalt sie angehören.

    Nach § 3 Abs 3 SPGG gilt dieses Gesetz mit einigen Sonderbestimmungen auch für ehemalige (Landes-, Magistrats- oder Gemeinde-)Beamte, politische Mandatare bzw Funktionäre sowie allenfalls anspruchsberechtigte Hinterbliebene der genannten Personen. Gemäß § 17 Abs 1 SPGG ist Rechtsträger zur Besorgung der Aufgaben nach dem SPGG das Land als Sozialhilfeträger, ausgenommen für die von § 3 Abs 3 SPGG erfassten Personengruppen. Für die Tragung der Kosten aus der Gewährung von Pflegegeld gemäß Abs 1 gilt § 40 des Sozialhilfegesetzes (SHG) mit der Maßgabe, dass die Leistung als Hilfe in besonderen Lebenslagen zu gelten hat (§ 17 Abs 2 SPGG).

    § 40 Salzburger Sozialhilfegesetz (SHG) lautet:

"(1) Die Kosten der Sozialhilfe sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen vom Land und den Gemeinden zu tragen.

.....

(5) Zu den vom Land zu tragenden Kosten der Hilfe in besonderen Lebenslagen und der sozialen Dienste haben die Gemeinden des politischen Bezirkes, in dem sie angefallen sind, dem Land jährlich einen Beitrag von 50 vH zu leisten...."

Anspruchsvoraussetzungen für ein Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz ist ein ständiger Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) von mehr als 50 Stunden monatlich für mindestens sechs Monate wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung. Die Ursachen der Behinderung (hohes Alter, Unfall, Erkrankung, angeborene Behinderung) sind belanglos. Eine Einzelfallbeurteilung erfolgt lediglich hinsichtlich der Frage des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit; aber auch hier wird dem Entscheidungsträger kein Ermessensspielraum eingeräumt, da die Beurteilung des Pflegebedarfs in einer Einstufungsverordnung detailliert geregelt ist. Das Pflegegeld ist je nach erforderlichem Pflegebedarf in sieben Stufen gegliedert und wird 12 mal jährlich ohne Abzüge ausbezahlt. Die Höhe des Pflegegeldes liegt derzeit zwischen 145,40 (Stufe 1) und EUR 1.531,50 (Stufe 7). Das sonstige Einkommen des Pflegebedürftigen, also seine finanzielle Bedürftigkeit, ist auf die Höhe des Pflegegeldes ohne Einfluss.

2. Die Gemeinschaftsregelung:

a) Verordnung Nr 1408/71:

Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr 1408/71 lautet:

"Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit....,

...."

Gemäß Artikel 4 Absatz 2a gilt die Verordnung Nr 1408/71 für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie

a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden

b) oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind. Gemäß Artikel 4 Absatz 2b gilt diese Verordnung nicht für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaates beschränkt ist.

In Anhang II Teil III - beitragsunabhängige Sonderleistungen - der Verordnung Nr 1408/71 ist unter Punkt K. Österreich aufgeführt:

"Die aufgrund der Rechtsvorschriften der Bundesländer an behinderte und pflegebedürftige Personen gewährten Leistungen."

b) Verordnung Nr 1612/68:

Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft lautet:

"(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer."

3. Zu den Vorlagefragen:

a) Zur ersten und zweiten Frage:

Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass der Vater der Klägerin vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr 1408/71 erfasst ist.

Im Urteil vom 8. März 2001, Rs C-215/99 , Jauch, Slg 2001, I-1901, hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass einer Eintragung in Anhang II der Verordnung Nr 1408/71 keine konstitutive Wirkung zukommt. Weiters hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das - damals zu beurteilende - Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz keine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 4 Abs 2a der Verordnung Nr 1408/71 darstellt, sondern als eine finanzielle Leistung bei Krankheit im Sinne des Art 4 Abs 1 Buchstabe a der Verordnung Nr 1408/71 anzusehen ist. Es verstößt daher gegen Art 19 Abs 1 der Verordnung Nr 1408/71 und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Abschnitte des Kapitels 1 des Titels III dieser Verordnung, den Anspruch auf die Leistung nach dem Bundespflegegeldgesetz davon abhängig zu machen, dass der Pflegebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat (Rz 28, 33 f und 36 des Urteils).

Bei dem hier zu beurteilenden Anspruch auf Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz (SPGG) handelt es sich um eine Leistung des Bundeslandes Salzburg an pflegebedürftige Personen. Art 4 Abs 2b der Verordnung 1408/71 sieht vor, dass diese Verordnung für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaats beschränkt ist, nicht gilt. Im Anhang II Teil III "Beitragsunabhängige Sonderleistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2b, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen", ist unter K. Österreich aufgeführt: "Die aufgrund der Rechtsvorschriften der Bundesländer an behinderte und pflegebedürftige Personen gewährten Leistungen."

Der Oberste Gerichtshof geht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Jauch davon aus, dass auch dieser Eintragung keine konstitutive Wirkung zukommt, sodass im vorliegenden Fall zu prüfen ist, ob die in Frage stehende, von der Eintragung im Anhang II Teil III der Verordnung 1408/71 erfasste und auf das Bundesland Salzburg beschränkte Leistung (Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz) eine beitragsunabhängige Sonderleistung darstellt und damit gemäß Art 4 Abs 2b der Verordnung 1408/71 nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt.

Im österreichischen Schrifttum wird das nach den verschiedenen Landes-Pflegegeldgesetzen gewährte Pflegegeld überwiegend als eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 4 Abs 2b der Verordnung 1408/71 qualifiziert. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass der nach den Landes-Pflegegeldgesetzen anspruchsberechtigte Personenkreis - anders als beim Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz - in der Regel nicht in Anknüpfung an einen Pensions- oder Rentenanspruch umschrieben werde und das Landespflegegeld daher in der Regel nicht als Annexleistung zu einer bestimmten Grundleistung ausgestaltet sei, weshalb das Kriterium der Beitragsunabhängigkeit gegeben sei. Weiters wird darauf hingewiesen, dass das Landespflegegeld - ähnlich wie beispielsweise die Disability Living Allowance in der Entscheidung des EuGH vom 4. 11. 1997, Rs C-20/96 , Snares, Slg 1997, I-6057 - den pflegebedürftigen Personen beitragsunabhängig und auch unabhängig von ihrer materiellen Bedürftigkeit, sehr wohl aber gestaffelt nach dem Grad der Beeinträchtigung gewährt werde.

Nach Vorliegen des Urteils des EuGH in der Rechtssache Jauch wird im österreichischen Schrifttum die Frage, ob es sich beim Landespflegegeld um eine beitragsunabhängige Sonderleistung handelt, etwas differenzierter gesehen. Nach dieser Ansicht sei zwischen Pflegeldtatbeständen, die eher im Bereich der Sozialhilfe angesiedelt seien (Pflegegeld ohne jeglichen Anknüpfungspunkt an eine bestimmte Erwerbstätigkeit), wo tatsächlich allein der bloße inländische Wohnsitz Ansatz für die Leistungsgewährung sei, und jenen Fällen, wo eine vorherige Erwerbstätigkeit und der Annex zu einer daran anknüpfenden Rentenleistung den Ansatzpunkt für den Pflegegeldbezug bilden (zB Pflegegeldanspruch für pensionierte Landes- und Gemeindebeamte), zu unterscheiden.

Auch die im gegenständlichen Verfahren beklagte Partei verweist darauf, dass für den hier zu beurteilenden Sachverhalt jener Fall zum Tragen komme, in dem das Salzburger Pflegegeld nicht als Annexleistung zu einer bestimmten Grundleistung, sondern als Sozialhilfeleistung ausgestaltet sei. Das Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz werde an alle pflegebedürftigen Einwohner des Landes Salzburg (EU-Bürger) als klassische Leistung der subsidiären Pflegevorsorge gewährt. Es bestehe daher insoweit ein allgemeiner Anspruch auf Pflegegeld im Falle der Pflegebedürftigkeit (vgl in diesem Sinne auch die Ausführungen des Generalanwalts Alber in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Jauch aaO Rz 111). Der Charakter des Salzburger Pflegegeldes als beitragsunabhängige Sonderleistung ergebe sich insbesondere auch daraus, dass die Finanzierung gemäß § 17 SPGG grundsätzlich durch das Land Salzburg, zum Teil aber auch durch die Gemeinden (§ 40 SHG) aus Mitteln der Sozialhilfe erfolge.

Es stellt sich daher für den erkennenden Senat zunächst die Frage, ob das Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz für einen Angehörigen eines im Bundesland Salzburg beschäftigten Arbeitnehmers (Grenzgängers), der gemeinsam mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland wohnt, gemäß Art 4 Abs 2b der Verordnung 1408/71 vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist oder ob das Pflegegeld - entsprechend den in der Rechtssache Jauch dargelegten Grundsätzen - als eine Geldleistung bei Krankheit gemäß Art 19 und den entsprechenden Bestimmungen der anderen Abschnitte des Kapitels 1 des Titels III der Verordnung Nr 1408/71 unabhängig davon auszuzahlen ist, in welchem Mitgliedsstaat ein Pflegebedürftiger wohnt, der die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.

b) Zur dritten Frage:

Sollte die Zugehörigkeit der von der Klägerin begehrten Leistung zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr 1408/71 verneint werden, ist zu prüfen, ob nicht eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 vorliegt.

Die von Art 39 EG gewährleistete Arbeitnehmer-Freizügigkeit wird durch eine Vielzahl sekundärrechtlicher Bestimmungen konkretisiert. Dazu gehört insbesondere auch die Verordnung Nr 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl 1968 Nr L 257/2). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist im Rahmen des Art 39 EG und der Verordnung Nr 1612/68 als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Es kann im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass der Vater der Klägerin als Arbeitnehmer (Grenzgänger) im Sinne der Verordnung Nr 1612/68 anzusehen ist.

Nach Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr 1612/68 darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer (Art 7 Abs 2). Nach der Rechtsprechung des EuGH steht grundsätzlich auch den Familienangehörigen im Sinne des Art 10 Abs 1 der Verordnung Nr 1612/68 das Recht zu, sich auf Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 zu stützen, da die Freizügigkeit des Arbeitnehmers behindert würde, wenn der Aufnahmestaat den Familienangehörigen diejenigen sozialen Leistungen verweigern könnte, die er seinen Staatsangehörigen gewährt. Sozialleistungen werden den Familienangehörigen des Arbeitnehmers - sofern sie nicht selbst die Arbeitnehmereigenschaft besitzen - allerdings nur dann gewährt, wenn die entsprechenden Leistungen für diesen als soziale Vergünstigung im Sinne des Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 angesehen werden können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer für den Unterhalt eines Kindes aufkommt. Es können daher jedenfalls auch Kinder eines Arbeitnehmers, denen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt, wie im vorliegenden Fall die Klägerin, im eigenen Namen das Recht auf Gleichbehandlung bei den sozialen Vergünstigungen in Anspruch nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zählen zu den sozialen Vergünstigungen alle Vorteile, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen hauptsächlich wegen deren objektiver Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern. Der Kreis der sozialen Vergünstigungen wird somit insgesamt sehr weit gezogen. Es ist daher auch nicht erforderlich, dass die Gewährung der Leistung im direkten Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis steht. Der Oberste Gerichtshof geht im Einklang mit der in Österreich herrschenden Lehre davon aus, dass das Pflegegeld nach dem SPGG, wenn man die weite Definition des Begriffs durch den EuGH zugrunde legt, zweifellos als "soziale Vergünstigung" im Sinne des Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 anzusehen ist. Die Freizügigkeit eines Wanderarbeitnehmers wäre beeinträchtigt, würde er für seine (pflegebedürftigen) Angehörigen bzw diese selbst nicht die gleichen sozialen Vergünstigungen erlangen können wie Inländer. Es haben daher pflegebedürftige Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat sowie pflegebedürftige Angehörige dieser Personen jedenfalls bei einem Hauptwohnsitz in Salzburg - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - Anspruch auf Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbietet Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 aber auch versteckte oder mittelbare Diskriminierungen, welche insbesondere darin bestehen können, dass die Gewährung sozialer Vergünstigungen von dem inländischen Wohnsitz des Betroffenen abhängt. Während es dabei zunächst regelmäßig um Vorschriften des nationalen Rechts ging, die das Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes für einen bestimmten Zeitraum vor Beginn des Leistungsanspruchs enthielten und die entsprechenden nationalen Vorschriften deshalb als mittelbar diskriminierend beurteilt wurden, weil Wanderarbeitnehmer, die aus einem anderen Mitgliedstaat zugezogen sind, diese Voraussetzung im leistungszuständigen Beschäftigungsstaat nicht oder jedenfalls seltener erfüllen als die einheimischen Arbeitnehmer, die regelmäßig schon seit vielen Jahren in diesem Staat wohnen, hat der EuGH, soweit überblickbar, erstmals in der Entscheidung vom 27. 11. 1997, Rs C-57/96 , Meints, Slg 1997, I-6708, auch eine Verpflichtung zum "Export" von sozialen Vergünstigungen bejaht. In diesem Fall ging es um einen (ehemaligen) Grenzgänger, der in einem landwirtschaftlichen Betrieb in den Niederlanden gearbeitet hatte und dann im Rahmen einer Flächenstilllegungsaktion in den Niederlanden eine Stilllegungsprämie beanspruchen wollte, die eine einmalige Leistung darstellt. Diese wurde ihm verwehrt, da er den Wohnort nicht in den Niederlanden hatte. Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass bereits aufgrund der Erwägungsgründe der Verordnung Nr 1612/68 Grenzgänger in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen und ein Mitgliedsstaat die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 nicht davon abhängig machen kann, dass der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat. Diese Auffassung wurde im Urteil vom 24. 9. 1998, Rs C-35/97 , Kommission gegen Frankreich, Slg 1998, I-5341, bekräftigt. Konkret ging es in diesem Fall um die Gewährung beitragsfreier Zusatzpunkte im französischen zusätzlichen Altersrentensystem bei Gewährung einer Vorruhestandsleistung, die zwar bei Wohnort in Frankreich gewährt wurden, nicht aber bei ehemaligen Grenzgängern mit Wohnort in Belgien. Schließlich erblickte der EuGH im Urteil vom 8. 6. 1999, Rs C-337/97 , Meeusen, Slg 1999, I-3304, eine nach Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 unzulässige indirekte Diskriminierung darin, dass die nach den niederländischen Rechtsvorschriften vorgesehene Studienfinanzierung bei Kindern von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber bei Kindern inländischer Arbeitnehmer vom Wohnort abhängig gemacht wird.

Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des EuGH bestehen in der Literatur unterschiedliche Auffassungen darüber, ob dem Art 7 Abs 2 der Verordnung 1612/68 ein generelles Exportgebot für soziale Vergünstigungen zu entnehmen ist. Besonders bedenklich erscheine nach den in der Literatur vertretenen Meinungen eine Verpflichtung zum Export hinsichtlich der Sozialhilfe und der beitragsunabhängigen Sonderleistungen nach Art 4 Abs 2 b der Verordnung Nr 1408/71, die ebenfalls eine soziale Vergünstigung im Sinne der Verordnung Nr 1612/68 darstellen, nach Art 4 Abs 4 bzw Art 4 Abs 2 b aber ausdrücklich nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr 1408/71 fallen und daher auch nicht den Koordinierungsregelungen dieser Verordnung unterliegen. Problematisch erscheine dies aber auch hinsichtlich jener Leistungen, die zwar von der Verordnung Nr 1408/71 erfasst sind, aber nach dieser nicht exportiert werden müssen, wie insbesondere die beitragsunabhängigen Sonderleistungen nach Art 4 Abs 2a der Verordnung 1408/71 . So wären die 1992 in die Verordnung Nr 1408/71 aufgenommenen Sonderregelungen über beitragsunabhängige Sonderleistungen (Art 4 Abs 2a und 2b sowie Art 10a) weitgehend funktionslos, wenn man zur Begründung einer Exportpflicht auf die Verordnung Nr 1612/68 zurückgreifen könnte. Es sei zwar tatsächlich schwer einzusehen, dass einem Arbeitnehmer eine Leistung, die unmittelbar auf seine vorherige Berufstätigkeit bezogen sei, nur deshalb nicht gezahlt werde, weil er in einem anderen Mitgliedstaat wohne (vgl die oben erwähnte Stilllegungsprämie bzw zusätzliche Ansprüche in der betrieblichen Altersversorgung). Anders sei dies aber, wenn es um soziale Vergünstigungen gehe, die - wie zB die Sozialhilfe - nicht an die Berufstätigkeit anknüpfen. So sei es nur schwer nachvollziehbar, dass der Beschäftigungsstaat beispielsweise verpflichtet sein soll, einem gering verdienenden Arbeitnehmer mit mehreren Kindern auch dann Sozialhilfe zu leisten, wenn er mit seiner Familie jenseits der Grenze in einem benachbarten Mitgliedstaat wohne. In diesem Sinne habe auch der Generalanwalt Lenz in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Meints aaO Rz 57 f entsprechende Befürchtungen der niederländischen Regierung mit dem Hinweis zu zerstreuen versucht, das konkrete Arbeitsverhältnis müsse der Anknüpfungspunkt für die Leistungsgewährung sein.

Da der Export sozialer Vergünstigungen im Sinne des Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 durch die Rechtsprechung des EuGH bisher jedenfalls nicht allgemein anerkannt worden ist, sondern der Export von Leistungen, die mittelbar oder unmittelbar an das Beschäftigungsverhältnis anknüpfen, nur in engen Grenzen gebilligt wurde, wenn nämlich ein Wohnsitzerfordernis zu einer ungerechtfertigten mittelbaren Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitnehmers führt, stellt sich für den Obersten Gerichtshof im vorliegenden Fall insbesondere die Frage, ob eine Exportverpflichtung für das Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz gemäß Art 7 Abs 2 der Verordnung Nr 1612/68 zu bejahen ist, obwohl dieses nicht an die Berufstätigkeit des als Grenzgänger in Österreich beschäftigten Vaters der Klägerin anknüpft, sondern im Hinblick auf den Sozialhilfecharakter der Leistung allen pflegebedürftigen Einwohnern dieses Bundeslandes gewährt wird.

c) Zur vierten Frage:

Schließlich fragt sich, ob die Klägerin über die Unionsbürgerschaft den Verzicht auf das Erfordernis des Hauptwohnsitzes im Bundesland Salzburg erwirken kann.

Wie der EuGH in seinem Urteil vom 11. Juli 2002, Rs C-244/98 , D'Hoop, Slg 2002, I-6191, ausgeführt hat, verleiht Art 8 EGV (nach Änderung jetzt Art 17 EG) jedem den Status eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Dieser Unionsbürgerstatus soll bestimmungsgemäß der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, die, wenn sie sich in der gleichen Situation befinden, aufgrund dieses Status im sachlichen Geltungsbereich des EG-Vertrages vorbehaltlich der hievon ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung haben. In den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen unter anderem Situationen, in denen es um die Ausübung der im EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten wie beispielsweise die Arbeitnehmer-Freizügigkeit geht. So hat der EuGH in seinem Urteil vom 23. 11. 2000, Rs C-135/99 , Elsen, Slg 2000, I-10409, hinsichtlich der Auswirkungen der Unionsbürgerschaft im Zusammenhang mit der Verordnung Nr 1408/71 ausgeführt, dass diese Verordnung selbst einige Bestimmungen enthält, die den Bezug der vom zuständigen Staat zu erbringenden Leistungen der sozialen Sicherheit auch für den Fall sichern sollen, dass der Versicherte, der ausschließlich in seinem Herkunftstaat gearbeitet hat, in einem anderen Mitgliedstaat wohnt oder seinen Wohnort dorthin verlegt. Diese Bestimmungen tragen nicht nur zur Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art 39 EG, sondern auch zur Gewährleistung der Freizügigkeit der Unionsbürger in der Gemeinschaft nach Art 18 EG bei. Da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats hat, die sich in der gleichen Situation befinden, stellt sich die Frage, ob aus der Unionsbürgerschaft ein generelles Exportgebot für sämtliche soziale Vergünstigungen an alle Unionsbürger sowie deren Familienangehörige ableitbar ist.

Nach Art 234 EG sind alle Gerichte der Mitgliedstaaten, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, also insbesondere auch der Oberste Gerichtshof, zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn sich eine entscheidungserhebliche Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellt.

Im vorliegenden Fall liegt eine Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Frage der Exportpflicht des Pflegegeldes nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz nicht vor. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist angesichts der bisher vorliegenden Rechtsprechung des EuGH und der in der Literatur vertretenen unterschiedlichen Meinungen auch nicht derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Fragen bliebe ("acte clair"). II. Die Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zur Beendigung des Vorarbentscheidungsverfahrens beruht auf § 90a Gerichtsorganiationsgesetz (GOG).

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