OGH 9ObA51/03w

OGH9ObA51/03w21.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski und die fachkundigen Laienrichter a.o. Univ. Prof. Dr. Michaela Windischgrätz und Dr. Helmut Szongott als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Helmut C*****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte und gefährdende Partei Konvent ***** vertreten durch Dr. Christian Kuhn ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (hier: wegen einstweiliger Verfügung), infolge des ordentlichen Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Februar 2003, GZ 7 Ra 4/03t-11, mit dem der Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 2002, GZ 31 Cga 135/02k-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten und gefährdenden Partei die mit EUR 1.503,54 (darin EUR 250,59 an Ust) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden: der Kläger) ist auf Grund eines Dienstvertrages vom 7. 10. 1998 seit 4. 1. 1999 als Primarius der Abteilung Innere Medizin in dem von der beklagten und gefährdenden Partei (im Folgenden: beklagte Partei) betriebenen Krankenhaus beschäftigt. Vertragsgemäß konnte das auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Dienstverhältnis von beiden Teilen unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zum 30. Juni und zum 31. Dezember jedes Jahres aufgekündigt werden. Der Kläger erklärte im Dienstvertrag, für die Dauer der Dienstfreistellung auf einen allfälligen Anspruch auf Beschäftigung zu verzichten.

Nachdem es an der Internen Abteilung des Krankenhauses zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger und zahlreichen Mitarbeitern gekommen war, stellte die beklagte Partei den Kläger vorerst mit Schreiben vom 30. 9. 2002 dienstfrei und sprach mit Zustimmung des Betriebsrats am 15. 10. 2002 die Kündigung des Dienstverhältnisses zum 30. 6. 2003 aus. Am 4. 11. 2002 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, dass ihm während der Dienstfreistellung bis zum 30. 6. 2003 jegliche medizinische Tätigkeit außerhalb des Krankenhauses gestattet sei und er daher berechtigt sei, sowohl in Privatordinationen wie auch in Krankenhäusern und Sanatorien ärztlichen Tätigkeiten nachzugehen, insbesondere Untersuchungen vorzunehmen. Der Kläger unterhielt schon während seiner Tätigkeit im Krankenhaus eine Privatordination, die zwei Stunden in der Woche geöffnet ist.

Zur Sicherung seines Begehrens auf Feststellung, dass die am 30. 9. 2002 erfolgte Dienstfreistellung rechtsunwirksam sei und er das Recht habe, seine Tätigkeit als Leiter der Internen Abteilung mit sofortiger Wirkung wieder aufzunehmen und als deren Leiter zu arbeiten, beantragte der Kläger die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der beklagten Partei geboten werde, ihn in den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb der Internen Abteilung des Krankenhauses aufzunehmen bzw als Leiter der Internen Abteilung einzusetzen und als solchen arbeiten zu lassen.

Er brachte dazu im Wesentlichen vor, die Suspendierung sei zu Unrecht erfolgt, da ihm kein Fehlverhalten anzulasten sei. Er zähle als Facharzt für Innere Medizin zu jenen Dienstnehmern, bei denen längere Untätigkeit zwangsläufig und offenkundig zu einem Qualitätsverlust und zur Minderung seines internistisch-handwerklichen Niveaus führe, was einen unwiederbringlichen Schaden bedeute, der seine wirtschaftliche Existenz bedrohe. Er benötige zur Aufrechterhaltung seiner Qualifikationen sowie der erforderlichen Geschicklichkeit zur Durchführung spezieller Untersuchungsmethoden den permanenten Kontakt zu Patienten. In seiner Privatordination sei der Patientenzustrom gering; er verfüge dort auch nicht über die notwendige technische Ausstattung. Er habe sich auf bestimmte Unterfächer spezialisiert. Die Durchführung der damit verbundenen speziellen Untersuchungsmethoden sei nur in einem Krankenhaus möglich. Schwere Nachteile aus einer Weiterbeschäftigung seien für die beklagte Partei nicht zu befürchten, zumal er sich nie Behandlungsfehler zuschulden kommen habe lassen. Aus den im Dienstvertrag vereinbarten Verzicht auf Beschäftigung für die Dauer einer Dienstfreistellung sei nichts zu gewinnen, weil die Suspendierung in ihren Auswirkungen einen diskriminierenden Eingriff in die Rechtsstellung des Arbeitnehmers darstelle, da ihr in der Regel Verdachtsmomente unkorrekten Verhaltens zugrunde lägen.

Die beklagte Partei wandte im Wesentlichen ein, dass der Kläger wirksam für die Dauer einer Dienstfreistellung auf Beschäftigung verzichtet habe. Das von der Rechtsprechung ausnahmsweise angenommene Recht auf Beschäftigung sei nicht unabdingbar. Ein Internist, der auch eine Privatordination habe, habe - anders als etwa ein Chirurg - keinen Qualifikationsverlust bei zeitweiliger Nichtausübung zu befürchten. Die Dienstfreistellung des Klägers sei wegen schwerer Störungen im Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern der Abteilung erfolgt. Die Konflikte seien trotz Bemühungen nicht ausgeräumt worden, sondern hätten vielmehr zur Quittierung des Dienstes durch den stellvertretenden ärztlichen Leiter geführt. Der Kläger habe sich als unwillig und unfähig erwiesen, an einer tragbaren Lösung mitzuarbeiten. Auf Grund offenbar mangelhafter Patientenbetreuung hätten sich Mitarbeiter geweigert, dem Kläger bei Untersuchungen zu assistieren. Die Kündigung einschließlich der Dienstfreistellung seien verfügt worden, weil die Befürchtung nicht ordnungsgemäßer Versorgung der Patienten und nicht angemessener Ausbildung der Ärzte bestanden habe. Es lägen somit schwerwiegende, in der Person des Klägers liegende Gründe vor, die bei der durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen seien. Dem Interesse des Klägers, während der Kündigungsfrist einer Tätigkeit nachzugehen, stünde das Interesse der beklagten Partei gegenüber, die Gesundheit von Patienten und Mitarbeitern zu schützen.

Das Erstgericht nahm den eingangs dargestellten Sachverhalt als bescheinigt an und wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Ein klagbares Recht auf Beschäftigung habe die jüngere Rechtsprechung nur bei Dienstnehmern angenommen, bei denen das Brachliegen ihrer Fähigkeiten zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust und zur Minderung ihres handwerklichen Niveaus führe. Im Gegensatz zum vom Kläger zitierten Präzedenzfall (Allgemein- und Gefäßchirurg) liege hier keine grundlose Suspendierung vor; vielmehr habe die beklagte Partei die schwerwiegenden Differenzen zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern sowie der Führung des Krankenhauses, wodurch ein tiefgreifender Vertrauensbruch zwischen den Streitteilen eingetreten sei, der eine Weiterbeschäftigung des Klägers schon aus objektiven Gründen unzumutbar mache, bescheinigt. Anders als bei besonders spezialisierten Fachärzten im Bereiche der Chirurgie müssten sich die Tätigkeiten eines Internisten nicht notwendig auf die Infrastruktur eines Krankenhauses beschränken. Dem Argument des Klägers, er habe sich auf spezielle Behandlungstechniken spezialisiert, die teilweise nur in wenigen Krankenhäusern anwendbar seien, sei entgegenzuhalten, dass er bei Fortführung dieses Gedankens überhaupt nicht gekündigt werden könnte. Entscheidungswesentlich sei aber, dass der Kläger in seinem Dienstvertrag auf einen allfälligen Anspruch auf Beschäftigung für die Dauer der Dienstfreistellung verzichtet habe.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner jüngeren Judikatur in bestimmten Fällen ein Recht auf tatsächliche Beschäftigung aus der Natur des abgeschlossenen Dienstvertrages abgeleitet. Sei das Recht auf Beschäftigung nun aus dem Dienstvertrag abgeleitet, könne es ebenso auch abbedungen werden. Im vorliegenden Fall hätten die Streitteile im Dienstvertrag ausdrücklich einen Verzicht des Klägers auf Beschäftigung für die Dauer einer Dienstfreistellung vereinbart. Nachdem im Verfahren die schwerwiegenden Differenzen zwischen dem Kläger und dem Rest seiner Abteilung sowie dem Leitungsgremium glaubhaft gemacht worden seien, sei gesichert, dass die Dienstfreistellung des Klägers nicht willkürlich erfolgt sei. Darüber hinaus sei auch zu bezweifeln, dass der Kläger als Internist derselben Gefahr der Minderung des ärztlich-handwerklichen Niveaus durch längere Untätigkeit ausgesetzt sei wie ein Gefäßchirurg oder Neurochirurg, zumal er auch eine kleine Privatordination betreibe und ihm ausdrücklich eine andere ärztliche Betätigung gestattet worden sei, möge es auch sein, dass er nicht alle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wie im Krankenhaus durchführen könne. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage des Verzichts auf einen allfälligen Anspruch auf Beschäftigung eines Arztes während einer Dienstfreistellung bisher keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ergangen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO unzulässig, worauf die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung zu Recht hinweist. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers wurde in der höchstgerichtlichen Judikatur ein allgemeines Recht jedes Dienstnehmers auf "Beschäftigung", also das tatsächliche Leisten der übernommenen Dienste, nicht anerkannt. Auch in der von den Vorinstanzen herangezogenen Entscheidung 9 ObA 2263/96 (= RdA 1997/22 mit Anmerkung von Resch) wurde dies ausdrücklich offen gelassen und lediglich darauf hingewiesen, dass sich ein solches Recht für bestimmte Berufe, bei denen das Brachliegen der spezifischen Fähigkeiten zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust und zur Minderung des ärztlich-handwerklichen Niveaus führt, aus der Natur des abgeschlossenen Dienstvertrags ableitet. An dieser Auffassung wurde jüngst (8 ObA 202/02t: Neurochirurg) ausdrücklich festgehalten.

Im hier zu beurteilenden Fall hat der Kläger in dem mit der beklagten Partei abgeschlossenen Dienstvertrag auf einen "allfälligen Anspruch auf Beschäftigung" für die Dauer einer Dienstfreistellung ausdrücklich verzichtet. Dass ein solcher Verzicht an sich - etwa nach § 879 Abs 1 ABGB - unwirksam wäre, behauptet er im Revisionsrekurs nicht. Er vertritt vielmehr den Standpunkt, die Verzichtserklärung sei nicht dahin zu verstehen, dass der Kläger jedwede Dienstfreistellung, egal aus welchem Grund oder aus welcher Motivation ausgesprochen, zu akzeptieren habe.

Von einer solchen Auslegung kann im vorliegenden Fall aber ohnehin keine Rede sein. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend als bescheinigt angenommen, dass schwerwiegende Differenzen zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern sowie der Führung des Krankenhauses bestanden, durch die ein tiefgreifender Vertrauensbruch zwischen den Streitteilen eingetreten sei, weshalb eine Weiterbeschäftigung des Klägers schon aus objektiven Gründen unzumutbar gewesen sei. Dafür, dass die Streitteile mit der entsprechenden Vertragsklausel gerade eine solch gravierende Konfliktsituation, die den reibungslosen Ablauf der medizinischen Tätigkeit im Krankenhaus - auch mit der Gefahr von negativen Folgen für die Patienten - beeinträchtigt, nicht erfassen wollten, gibt es keine Anhaltspunkte; solche werden auch vom Revisionsrekurswerber nicht aufgezeigt. Ebensowenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das vereinbarte Recht der beklagten Partei, den Kläger während der Dauer einer Dienstfreistellung nicht zu beschäftigen - also insbesondere bei einem Verzicht auf seine Arbeitsleistungen während der Kündigungsfrist -, nur dann bestehen sollte, wenn der Kläger die Entwicklung, die zur Maßnahme der beklagten Partei geführt hat, (überwiegend) selbst verschuldet hat. Zutreffend sind die Vorinstanzen vielmehr davon ausgegangen, dass unabhängig von einer Verschuldenszuweisung bereits aus objektiver Sicht ein keineswegs zu vernachlässigendes Interesse des Dienstgebers an einer reibungslosen Abwicklung des Dienstbetriebs besteht, was umso mehr dort gelten muss, wo die Gesundheit von Krankenhauspatienten betroffen ist.

Soweit das Rekursgericht daher die Auffassung vertreten hat, dass die zu beurteilende Vertragsklausel der beklagten Partei auch in einem Fall wie dem vorliegenden das Recht gibt, dem Kläger eine weitere ärztliche Tätigkeit in ihrem Betrieb zu untersagen, so kann darin eine erhebliche Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, nicht erblickt werden. Bei der Auslegung von vertraglichen Vereinbarungen handelt es sich regelmäßig um keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 bzw § 528 Abs 1 ZPO (vgl dazu nur RZ 1994/45, MietSlg 50.093, MietSlg 50.547 uva).

Der Revisionsrekurs war daher gemäß den §§ 78 EO, 528a, 510 Abs 3 ZPO zurückzuweisen.

Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, weshalb ihr insoweit Kostenersatz gebührt (§§ 78 EO, 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO).

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