OGH 2Ob302/02d

OGH2Ob302/02d13.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lisbeth H*****, vertreten durch Mag. Matthias Kucera, Rechtsanwalt in Hard, gegen die beklagten Parteien 1. Bernd Z*****, und 2. Kurt H***** GmbH, ***** beide vertreten durch Dr. Walter Geißelmann und Dr. Günther Tarabochia, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen EUR 3.778,99 und Feststellung (Streitwert EUR 3.778,99), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 8. Juli 2002, GZ 4 R 110/02k-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 15. April 2002, GZ 3 C 57/02p-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.266,74 (darin EUR 289,45 USt und EUR 530,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte ist bei der zweitbeklagten Partei als Kanalarbeiter beschäftigt. Diese ist seit mehreren Jahren gegenüber der Marktgemeinde Hard vertraglich zur periodischen Reinigung der Fußgängerunterführungen in deren Gemeindegebiet verpflichtet. Über die vom Erstbeklagten dabei einzuhaltenden Sicherungsmaßnahmen (Aufstellung von Warndreiecken und Einschaltung einer Rundumleuchte am Reinigungsfahrzeug) wurde dieser von der zweitbeklagten Partei belehrt. Eine Unterführung befindet sich in der Eschlestraße in nord-südlicher Richtung, an deren Beginn und Ende das Verbotszeichen "Fahrverbot (in beiden Richtungen)" nach § 52 Z 1 StVO mit der Zusatztafel "Ausgenommen Radfahrer" aufgestellt ist. In der Mitte befindet sich ein Pflock, um das (unzulässige) Durchfahren mit mehrspurigen Fahrzeugen zu verhindern. Die jeweiligen Rampen sind ca 25 m und die eigentliche Unterführung ist ca 12 m lang. In der Unterführung befinden sich vier dauernd eingeschaltete Deckenleuchten, die den Bereich je nach Intensität der Außenbeleuchtung ausleuchten: Bei bedeckter Witterung schlecht, bei Sonnenlicht noch ungünstiger. Ein am Boden liegender Schlauch ist jedoch auf ca 20 m Entfernung erkennbar. Wenn der Boden nass und der Schlauch schwarz ist, so verringert sich die Kontrastmöglichkeit. Bei hellem Schlauch ist sie besser, insbesondere bei einem gelben Schlauch auf dunklem Untergrund. Beidseitig der östlichen Seitenunterführung sind Fußgängertreppen errichtet, in deren Bereich verläuft ein ca 1,3 m gepflasterter, in den Rampen tangential verlaufender Weg, der dazu gedacht ist, dass Fußgänger ihn benützen und Radfahrer ihn meiden sollten. Am Beginn sind die Rampen jeweils 3,5 m breit. Die Unterführung ist einschließlich des 1,3 m breiten Weges 4,1 m breit. Am 3. 7. 2001 hatte der Erstbeklagte in der Unterführung Reinigungsarbeiten mit einem halbzolldicken Wasserschlauch durchzuführen. Er parkte das Reinigungsfahrzeug an der südlichen Seite der Unterführung und zog am Heck links einen Wasserschlauch bis zur nördlichen Seitenunterführung heraus, um dort mit der Reinigung zu beginnen. Gleichzeitig zog er ein Elektrokabel mit, über das durch einen Schalter die Wasserpumpe im Fahrzeug ein- und ausgeschaltet werden konnte. Der Schlauch war zum Großteil gelb, lediglich ein kürzeres Stück gegen das Ende hin war schwarz. Der Klägerin war diese Unterführung bekannt. Sie fuhr mit ihrem Fahrrad mit ca 5 bis 10 km/h in einem Abstand nach rechts von ca 1 bis 1,5 m von der nördlichen Seite in die Unterführung ein, wobei sie sogleich wahrnahm, dass diese sehr nass war. Beim Einfahren Richtung Unterführung sah sie den Erstbeklagten und auch das Reinigungsfahrzeug nicht. Beide waren nicht unbedingt wahrnehmbar. Der Erstbeklagte war an der südlichen Seite der Unterführung mit Reinigungsarbeiten beschäftigt und hatte dazu - nach Beendigung der Reinigung der nördlichen Seite - den Wasserschlauch und das Kabel von der nördlichen Seite zurückgezogen, sodass es irgendwo eine Wendung machte und von rechts (in Fahrtrichtung der Klägerin gesehen) zu ihm verlaufen ist. Als der Erstbeklagte den Schlauch einmal diagonal nachzog, kam dieser in Berührung mit dem Vorderrad des Fahrrades der Klägerin, wodurch es verdreht wurde und die Klägerin zu Sturz kam. Die Klägerin erlitt eine Prellung und Blutergussbildung des rechten Kniegelenkes mit traumatischer Knorpelknochenabsprengung auf der Rückseite der Kniescheibe. Ob vom Erstbeklagten am nördlichen Beginn der Rampe das Warndreieck mit der Aufschrift "Kanalreinigung" aufgestellt war oder nicht, war nicht feststellbar. Die Klägerin begehrt Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien. Der Erstbeklagte habe am Wasserschlauch gezogen, als sie gerade mit ihrem Fahrrad die Unterführung passieren wollte.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die zu reinigende Unterführung sei ausreichend und ordnungsgemäß abgesichert gewesen. Der Erstbeklagte habe weder den Wasserschlauch noch das Elektrokabel bewegt, weshalb der Sturz der Klägerin auf ihr Alleinverschulden zurückzuführen sei.

Das Erstgericht gab sowohl dem Leistungs- als auch dem Feststellungsbegehren statt. Es kam ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Ergebnis, der Erstbeklagte habe die gebotene Sorgfalt dadurch nicht beachtet, dass er den Wasserschlauch diagonal zur Fahrtrichtung der von ihm wahrgenommenen Klägerin gezogen habe. Die zweitbeklagte Partei hafte auf Grund eines Vertragsverhältnisses mit der Marktgemeinde Hard über die Reinigungsarbeiten in der Unterführung, das Schutzwirkungen zugunsten Dritter entfalte. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht erwiesen, weil sie keinesfalls damit rechnen habe müssen, dass plötzlich der Schlauch diagonal zu ihrer Fahrrichtung gezogen werde. Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht gab deren Berufung teilweise Folge und verpflichtete die beklagten Parteien zum Ersatz der Hälfte des von der Klägerin geltend gemachten Schadens; dem Feststellungsbegehren gab es zur Hälfte statt. Die jeweiligen Mehrbegehren wurden abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag nach § 508 ZPO dahin ab, dass die Revision doch zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, wonach Sturzursache das diagonale Ziehen des Schlauches von rechts nach links sei und billigte auch die rechtlichen Überlegungen des Erstgerichtes, wonach der Erstbeklagte von einem gefährdenden Nachziehen des Wasserschlauches Abstand nehmen hätte müssen, wenn er den Bereich der Unterführung nicht hätte einsehen können. Auch der Klägerin sei ein Mitverschulden anzulasten. Auch wenn sie jedenfalls nicht damit rechnen musste, dass plötzlich der Schlauch diagonal zu ihrer Fahrtrichtung gezogen werde, sei zu berücksichtigen, dass sie schon beim Beginn des Befahrens der nördlichen Rampe wahrnehmen konnte, dass in der Unterführung Reinigungsarbeiten stattfanden und der Schlauch auf eine Entfernung von ca 20 m erkennbar gewesen sei. Unter diesen Umständen hätte sie nicht ohne Kontaktaufnahme mit dem Erstbeklagten oder Absteigen vom Fahrrad die Unterführung in einem Zug durchfahren dürfen. Wie von jedem Fußgänger "vor die Füße zu schauen" zu verlangen sei, so habe auch die Klägerin als Radfahrerin dafür Sorge tragen müssen, dass sie allfällige Gefahrenquellen bei ihrer Fahrt durch die Unterführung erkennen konnte. Diese Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten sei verhältnismäßig zu berücksichtigen.

Die Zweitbeklagte habe für das Verschulden des Erstbeklagten einzustehen.

Die Revision sei letztlich zulässig, weil die vom Berufungsgericht zitierte Judikatur, wonach von Fußgängern verlangt werde, "vor die Füße zu schauen", nicht analog für das von Radfahrern geforderte Verhalten herangezogen werden könne. Schließlich sei keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorhanden, wie sich ein Radfahrer beim Befahren einer Unterführung zu verhalten habe, wenn dort für ihn erkennbar Reinigungsarbeiten durchgeführt würden.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revision die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass ihrem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragten, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht in seinem Ausspruch über die Begründung der Zulässigkeit der ordentlichen Revision darauf hingewiesen, dass zwar in den Entscheidungen SZ 51/111; ZVR 1980/230 und ZVR 1990/85 das Mitverschulden eines unaufmerksamen Fußgängers bejaht wurde, doch diese Entscheidungen wegen der von einem Radfahrer bzw Fußgänger erreichten unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht analog herangezogen werden können (so bereits 2 Ob 2087/96t). Nach den maßgebenden Feststellungen des Erstgerichtes ist die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 10 km/h in eine Unterführung eingefahren, wobei sie erkennen konnte, dass zwar Reinigungsarbeiten durchgeführt wurden, nicht aber damit rechnen musste, dass ein auf dem Boden liegender Wasserschlauch unmittelbar vor ihrem Fahrrad schräg weggezogen wurde und dadurch mit dem Vorderrad in Berührung kam. Maßgebende Unfallursache war daher das Wegziehen des Wasserschlauches durch den Erstbeklagten, mit welchem Verhalten die Klägerin trotz Erkennbarkeit der Durchführung von Reinigungsarbeiten nicht rechnen musste. Eine der Klägerin zur Last zu legende Unaufmerksamkeit ist nicht erkennbar, weshalb dem Mitverschuldenseinwand keine Berechtigung zukommt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte