OGH 1Ob305/02p

OGH1Ob305/02p28.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Oliver B*****, vertreten durch Dr. Hans Günther Medwed, Mag. Heinz Kupferschmid und Mag. Michael Medwed, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Jutta C*****, vertreten durch DDr. Horst Spuller, Rechtsanwalt in Graz, wegen 35.540,30 EUR sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2002, GZ 3 R 129/02v-53, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. April 2002, GZ 11 Cg 239/99m-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die zu zwei Dritteln (Mit-)Eigentümerin eines "Geschäfts- und Wohnhauses", übergab mit Notariatsakt vom 30. 7. 1997 einen Drittelanteil an dieser Liegenschaft sowie die gesamten Fahrnisse der von ihr bewohnten Wohnung der Beklagten auf den Todesfall. Als Entgelt für die Übertragung verpflichtete sich die Beklagte zur Erbringung bestimmter Betreuungsleistungen; außerdem sollte die Übergabe auf den Todesfall die bereits in den letzten 10 Jahren erbrachten Dienste abgelten.

Am 2. 9. 1997 belangte der Vater des Klägers, der zu einem Drittel Miteigentümer der Liegenschaft war, die frühere Mehrheitseigentümerin (seine Cousine) auf Zahlung von 400.000 S, was er damit begründete, dass er zahlreiche Investitionen in das gemeinsame Haus in der Erwartung getätigt habe, von der Miteigentümerin dereinst mit deren 2/3-Liegenschaftsanteilen bedacht zu werden. Daraufhin übergab die belangte Miteigentümerin mit Notariatsurkunde vom 16. 9. 1997 auch ihren restliches Liegenschaftsdrittelanteil der Beklagten auf den Todesfall, wofür sich diese verpflichtete, für ein ortsübliches und standesgemäßes Begräbnis und eine ebensolche Grabstätte zu sorgen. Die Miteigentümerin verstarb am 25. 11. 1997. In ihrem Testament hatte sie den Kläger und dessen Vater zu ihren Erben bestimmt. Der Vater des Klägers entschlug sich seines Erbrechts, und das Verlassenschaftsgericht antwortete den gesamten Nachlass dem Kläger ein.

Der Kläger begehrte - als Einantwortungserbe nach seinem Vater - die Zahlung von 35.540,30 EUR. Die Miteigentümerin habe seinem Vater versprochen, diesem ihre Zweidrittelanteile an der Liegenschaft zu hinterlassen. Im Vertrauen darauf habe der Vater des Klägers erhebliche notwendige und nützliche Investitionen in die Liegenschaft getätigt sowie die gesamte Buchhaltung und die Steuererklärungen sowohl für die Miteigentumsgemeinschaft wie auch für die Miteigentümerin selbst erledigt. Dadurch, dass die Liegenschaftsanteile nicht dem Vater des Klägers übertragen worden seien, sei die Miteigentümerin ungerechtfertigt bereichert worden. Die Beklagte habe von den gegen die Miteigentümerin bestehenden Ansprüchen gewusst und dennoch den restlichen Liegenschaftsanteil, der das gesamte Vermögen der Miteigentümerin dargestellt habe, übernommen; demnach hafte sie gemäß § 1409 ABGB.

Die Beklagte erhob die Einrede der Streitanhängigkeit und wendete Verjährung ein. Im Übrigen seien die vom Vater des Klägers getätigten Investitionen von der Miteigentümerin bereits erstattet worden oder "in die Abrechnung für das Haus eingeflossen". In Wahrheit habe der Vater des Klägers die behaupteten Investitionen gar nicht vorgenommen; sie beträfen von ihm selbst oder von ihm nahestehenden Personen bewohnte Objekte. Einzelne Investitionen seien unbrauchbar oder verstießen gegen Bauvorschriften. Infolge Beerbung der Miteigentümerin durch den Kläger seien allfällige Ansprüche kraft Vereinigung erloschen. Aufrechnungsweise wendete die Beklagte ihre eigenen "Schäden und Aufwendungen" bis zur Höhe der Klagsforderung als Gegenforderung ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte noch fest, der Übergabsvertrag auf den Todesfall vom Juli 1997 zu Gunsten der Beklagten habe den Erwartungen des Vaters des Klägers und auch vorangegangenen Erklärungen der Miteigentümerin widersprochen. Im August 1997 habe der Vater des Klägers die Übereignung des restlichen Drittelanteils an der Liegenschaft und eine Ausgleichszahlung begehrt. Die Miteigentümerin habe dieses von einem Anwalt verfasste Begehren in Gegenwart der Beklagten entgegengenommen, sei über diesen Brief erbost gewesen und habe erklärt, dem Vater des Klägers nichts zu schulden sowie schließlich der Beklagten auch den restlichen Liegenschaftsanteil auf den Todesfall übertragen. Die Beklagte habe von dem vom Vater des Klägers gegen die Miteigentümerin eingeleiteten Prozess gewusst. In rechtlicher Hinsicht begründete es die Abweisung des Klagebegehrens vor allem damit, dass "das Haus" - gemeint: die der Beklagten übertragenen und nunmehr in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaftsanteile - kein Vermögen im Sinne des § 1409 ABGB darstelle. Hilfsweise stützte es die Klagsabweisung darauf, der Kläger habe nicht bewiesen, dass die Beklagte von den behaupteten Kondiktionsansprüchen des Vaters des Klägers gewusst habe oder davon habe wissen müssen. Er habe auch das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Vater des Klägers, dass dieser unentgeltlich Leistungen erbracht habe, die durch die Übertragung der Liegenschaftsanteile nach dem Tod der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgegolten werden sollten, nicht unter Beweis gestellt. Der auf § 1435 ABGB gestützte Kondiktionsanspruch bestehe deshalb nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es ging davon aus, dass die Negativfeststellung über die vom Vater des Klägers an der Liegenschaft erbrachten Arbeiten nicht ausreichend begründet sei; dies sei aber aus rechtlichen Erwägungen irrelevant. Unter weitgehender Billigung der in der Berufung des Klägers angestellten Erwägungen führte es aus, das Fehlen einer Vereinbarung zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Vater des Klägers habe nicht die - vom Erstgericht unterstellte - Bedeutung, dass die Kondiktion wegen Zweckverfehlung nicht Platz greifen könne. Ein auf § 1435 ABGB gegründeter Anspruch stehe aber nur gegen den Empfänger der Leistung und nicht gegen dessen dinglichen Einzelrechtsnachfolger zu. Ob angesichts der Übernahme einer "Einzelsache" (Zweidrittel-Miteigentumsanteil an der Liegenschaft) § 1409 ABGB angewendet werden könne, ob die Beklagte also Gesamt- und nicht Einzelrechtsnachfolgerin sei, müsse nicht geprüft werden, weil die Haftung bei der Übertragung eines Einzelgegenstands nur eintrete, wenn der Erwerber gewusst habe oder nach den Umständen habe wissen müssen, dass es sich dabei im Wesentlichen um das ganze Vermögen des Überträgers gehandelt habe. Ein Vorbringen in dieser Richtung habe der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht erstattet; die diesbezüglichen Ausführungen in der Berufung stellten eine unzulässige Neuerung dar.

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter Bedachtnahme auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanzen erweist sich die Rüge des Klägers, die richterliche Anleitungspflicht gemäß § 182 ZPO sei verletzt worden, als berechtigt:

Das Erstgericht hatte - ausgehend von seiner Rechtsansicht, dass die Liegenschaftsanteile kein Vermögen im Sinne des § 1409 ABGB darstellten - keine Veranlassung, zu prüfen, ob die Beklagte wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Liegenschaftsanteile im Wesentlichen das ganze Vermögen der verstorbenen Rechtsvorgängerin der Beklagten darstellten. Es hat seine Entscheidung auch nicht hilfsweise damit begründet, dass der Kläger keine entsprechenden Behauptungen über den Wissensstand der Beklagten erstattet habe und allein deshalb das Klagebegehren abzuweisen sei. Damit hatte aber der Berufungswerber keine Veranlassung, in seiner Berufungsschrift zu rügen, dass das Erstgericht die Anleitungspflicht gemäß § 182 ZPO verletzt habe, weil keine Aufforderung an den Kläger ergangen sei, Vorbringen zum Wissensstand der Beklagten zu erstatten. Da das Berufungsgericht seine klagsabweisende Entscheidung allein darauf gründete, es mangle an einem entsprechenden Vorbringen des Klägers über diese - von der Judikatur vorausgesetzten - subjektiven Erfordernisse des Wissens der Erwerberin darüber, dass es sich um ein (Teil-)Vermögen handle, wäre es verpflichtet gewesen, den Kläger auf den der Klagsabweisung zu Grunde gelegten Behauptungsmangel aufmerksam zu machen. Insbesondere die Rechtsmittelgerichte dürfen die Parteien nämlich nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht nicht aufmerksam gemacht wurden. Auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht seine Entscheidung nur dann stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Darauf, ob die Partei oder ihr Vertreter diesen Gesichtspunkt und seine Erheblichkeit hätte erkennen müssen, kommt es nicht an (ZVR 1997/147; ÖBA 1996, 483; RZ 1995/50; MietSlg 47.625; ÖBA 1991, 671; SZ 50/35; Fucik in Rechberger, ZPO2 Rz 4 zu § 182).

Es liegt also ein Revisionsgrund vor, der zur Aufhebung sowohl des Berufungs- wie auch des Ersturteils zwingt, um den bereits in erster Instanz - in deren Verfahren die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens unerkannt blieb - unterlaufenen Verfahrensmangel zu beheben (ÖBA 1991, 671).

Zur Frage, ob einzelne Gegenstände als Vermögen im Sinne des § 1409 ABGB gewertet werden können, besteht - im Gegensatz zur Ansicht des Revisionswerbers - allerdings einhellige Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Danach treten die Rechtsfolgen des gesetzlichen Schuldbeitritts in Analogie zu § 1409 ABGB auch bei Erwerb eines einzelnen Vermögensbestandteils wie einer Liegenschaft dann ein, wenn der Erwerber im Zeitpunkt des Abschlusses des als Rechtstitel dienenden Verpflichtungsgeschäfts wusste, dass es sich dabei um das im Wesentlichen einzige Vermögen des Schuldners handelte, oder er die Verhältnisse kannte, aus denen dies erschlossen werden könnte. Gehört der Erwerber nicht dem Kreis der nahen Angehörigen (§ 4 AnfO) an, dann trifft den Gläubiger die Behauptungs- und Beweislast (SZ 68/221; ÖBA 1995, 475; ÖBA 1987, 657; EvBl 1980/141; SZ 52/12). Die Vorinstanzen werden daher - nach Ergänzung des Vorbringens des Klägers über das entsprechende Wissen der Beklagten um die Vermögenssituation ihrer Rechtsvorgängerin - prüfen müssen, ob die der Beklagten übertragenen Liegenschaftsanteile in der Tat das im Wesentlichen ganze Vermögen der Überträgerin dargestellt haben. In Stattgebung der Revision sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; die neuerliche Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache durch das Erstgericht erweist sich als unumgänglich. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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