OGH 10ObS30/03i

OGH10ObS30/03i18.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Komm Rat Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei minderjährige Nicole S*****, vertreten durch die Mutter Roswitha S*****, ebenda, diese vertreten durch Dr. Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, Arnulfplatz 1, 9021 Klagenfurt, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Oktober 2002, GZ 7 Rs 120/02z-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Dezember 2001, GZ 34 Cgs 249/01s-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung, wonach die am 26. 4. 1998 geborene Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 4 Abs 2 Stufe 5, Stufe 6 und Stufe 7 K-PGG nicht erfüllt, weil der von den Vorinstanzen nach den Bestimmungen der EinstV zum K-PGG ermittelte Pflegebedarf den als Anspruchsvoraussetzung für das von ihr begehrte Pflegegeld dieser Stufen normierten Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich nicht erreicht, ist zutreffend, sodass auf deren Richtigkeit hingewiesen werden kann (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Die Auffassung der Revisionswerberin, dass von einem Pauschalstundensatz von mehr als 180 Stunden monatlich ausgegangen werden müsse, wenn die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich sei, steht im Widerspruch zur Gesetzeslage. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs 2 K-PGG ist Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufen 5, 6 oder 7, dass bereits ohne den bei diesen Stufen genannten zusätzlichen qualifizierten Pflegeaufwand ein Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich gegeben ist (vgl SSV-NF 14/72; 10/135 ua).

Der erkennende Senat teilt auch nicht die von der Revisionswerberin gegen diese Gesetzeslage geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen (§ 1 K-PGG). Der Anspruch setzt voraus, dass der auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung gegebene Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens 6 Monate andauern wird (§ 4 Abs 1 K-PGG). Die den Inhalt des im Gesetz verwendeten Oberbegriffs "Pflegebedarf" bestimmenden Begriffe "Betreuung" und "Hilfe" sind nicht im K-PGG, sondern auf Grund der Ermächtigung in § 4 Abs 5 K-PGG in der Einstufungsverordnung der Landesregierung definiert. Die Revisionswerberin bezweifelt nicht die Gesetzmäßigkeit der in der EinstV zum K-PGG enthaltenen Definition des Begriffs "Betreuung". Diese Verordnung sieht wohl keinen abgeschlossenen Katalog aller möglichen Betreuungshandlungen vor, die bei Prüfung des Anspruches auf Pflegegeld zu berücksichtigen sind. Die dort genannten Fälle legen aber den grundsätzlichen Charakter der Verrichtungen fest, die der Betreuung zuzuzählen sind. Es sind die Verrichtungen, die der Normsetzer dahin qualifiziert, dass der Pflegebedürftige bei ihrem Unterbleiben der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Der Aufwand für die notwendige Betreuung bei diesen Tätigkeiten soll durch das Pflegegeld abgegolten werden. Für die wenn auch notwendige Betreuung in Bereichen, die dieser Art von Verrichtungen nicht zugezählt werden können, gebührt kein Pflegegeld und sie ist bei der Ermittlung des Betreuungsaufwands außer Acht zu lassen. Dass der Gesetzgeber nicht den gesamten im Einzelfall anfallenden Betreuungsaufwand abgelten wollte, zeigt die Tatsache, dass etwa für den Bereich der Hilfe Fixwerte vorgesehen wurden (§ 4 Abs 5 Z 3 K-PGG bzw § 2 Abs 3 EinstV). Auch wenn der Aufwand im Einzelfall diese Fixwerte wesentlich übersteigt, sind die verbindlichen Pauschalwerte zugrunde zu legen, während ein allfällig höherer Aufwand unabgegolten bleibt. Da der Aufwand für die bloße dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson (nicht bei den in den §§ 1 und 2 EinstV zum K-PGG genannten Verrichtungen) sich seiner Art nach von den in der EinstV genannten Betreuungs- und Hilfshandlungen grundsätzlich unterscheidet, es sich dabei um eine andere Dimension eines Pflegeaufwands handelt, erscheint es auch nicht unsachlich, die hiefür notwendige Zeit bei der Prüfung des Anspruchs auf Pflegegeld nicht in Anschlag zu bringen (vgl SSV-NF 12/23; 12/94 ua). Das Erfordernis der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson [wegen Eigen- oder Fremdgefährdung] wird nämlich nur dann entscheidend, wenn der Pflegebedarf schon ohne diese Beaufsichtigung durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt (Pflegegeld nach Stufe 6) [vgl SSV-NF 12/23; 10 ObS 255/98t; SSV-NF 12/94; 13/27; 13/136; RIS-Justiz RS0109571 [T 1 bis T 7]; zuletzt 10 ObS 324/02y mwN]. Es erscheint nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber den Anspruch auf Pflegegeld der Stufen 5, 6 oder 7 nicht auch für Fälle vorsieht, in denen nur eine der für diese Pflegegeldstufen normierten Voraussetzungen gegeben ist (vgl VfSlg 12.244). Im vorliegenden Fall bestehen auch schon deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die geltende Gesetzeslage, weil die 1998 geborene Klägerin den Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich derzeit vor allem deshalb nicht erreicht, weil bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen ist, das über das erforderliche Ausmaß bei gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht (§ 4 Abs 3 K-PGG). Die sachliche Rechtfertigung dieses Grundsatzes wird auch von der Revisionswerberin ausdrücklich anerkannt. Der erkennende Senat sieht sich somit nicht veranlasst, einen Antrag auf Gesetzesprüfung an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Da unstrittig ist, dass bei der Klägerin ein Pflegebedarf im Sinn der EinstV zum K-PGG von mehr als 180 Stunden monatlich nicht gegeben und die festgestellte notwendige dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson bei der Ermittlung des Betreuungsaufwands nicht zu veranschlagen ist, musste der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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