OGH 9ObA257/02p

OGH9ObA257/02p22.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Univ. Prof. DI Hans Lechner und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anton K*****, vertreten durch Dr. Evamaria Sluka-Grabner, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei I***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Andreas Köb, Rechtsanwalt in Wien, wegen (Revisionsinteresse) EUR 56.150,45 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2002, GZ 9 Ra 190/02f-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Dezember 2001, GZ 6 Cga 50/00g-27, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.808,32 (darin EUR 301,39 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 9. 12. 1980 bis 10. 12. 1999 als Angestellter, zuletzt als Marktleiter einer Filiale mit 90 bis 100 Mitarbeitern beschäftigt; das Dienstverhältnis endete durch Entlassung. In den Aufgabenbereich des Klägers fiel unter anderem auch die Kontrolle sämtlicher Arbeitnehmer im Hinblick auf die ordnungsgemäße Durchführung ihrer Aufgaben sowie die Kontrolle, ob die Weisungen und Richtlinien aus der Zentrale der beklagten Partei von den verantwortlichen Arbeitnehmern in seiner Filiale durchgeführt und umgesetzt werden.

Die beklagte Partei hatte insbesondere großes Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung der Kassiervorgänge durch die einzelnen Kassiererinnen, weshalb die Geschäftsleitung der beklagten Partei die Weisung ausgegeben hatte, allfällige Kassenfehlbeträge, die die einer einzelnen Kassiererin gewährte monatliche Prämie (0,5 %o vom kassierten Umsatz) übersteigen, an die Zentrale zu melden. Im Falle des vermehrten Auftretens derartiger Fehlermeldungen sollten - je nach Schwere und Häufigkeit - Maßnahmen getroffen werden, die von einer Nachschulung über eine Versetzung bis zur Kündigung der jeweiligen Kassiererin reichen. In Kenntnis dieses Maßnahmenkatalogs stellte die für die Kassenaufsicht zuständige Mitarbeiterin Kassiererinnen, bei denen derartige Kassenmanki auftraten, unter Missachtung der geltenden Weisungen vor die Alternative, entweder dieses Fehlgeld privat in die Kasse einzuschießen, was zur Folge hatte, dass im offiziellen Kassabericht dieses Fehlgeld nie aufschien und die beklagte Partei somit auch nicht von diesem Kassenmanko Kenntnis erlangen konnte; für den Fall der Weigerung eines Ausgleichs eines Kassenmankos wurde der betreffenden Kassiererin eine Meldung an die beklagte Partei in Aussicht gestellt, die mit den für derartige Fälle vorgesehenen Maßnahmen verbunden wäre. Dem Kläger war durchaus bewusst, dass Kassiererinnen Fehlgeldbeträge aus Privatgeldern in die Kasse einzahlten, um dadurch einen ausgeglichenen Kassensaldo zu haben, nicht aber, dass auf die jeweiligen Kassiererinnen Druck ausgeübt worden wäre, um diese zur Bezahlung des Kassenmankos aus Privatgeldern zu bewegen. Der Kläger duldete jedoch in Kenntnis der anderslautenden Weisungen der Geschäftsleitung, sämtliche Kassafehlgeldbeträge an diese zu melden, die Vorgangsweise der Kassenaufsicht. So kam es etwa vor, dass eine S 9.000 monatlich verdienende Mitarbeiterin veranlasst wurde, am 11. 1. 1998 einen Betrag von S 5.000 zur Ausgleichung eines an diesem Tag aufgetretenen Kassenfehlbestandes zu zahlen.

Im Zuge einer Revision im Sommer 1998 fehlte der für die Kassenaufsicht sowie die Hauptkassa zuständigen Mitarbeiterin ein Geldbetrag von S 2.000. Auf deren Versicherung, dass dieser Fehlbetrag offensichtlich auf einer Fehlbuchung oder einem Zählfehler beruhe, borgte der Kläger ihr diesen Betrag aus seinem Privatgeld, damit sie im Zuge der Revision einen ausgeglichenen Kassenstand vorweisen konnte. Nach Abschluss der Revision wurde dem Kläger der zuvor ausgeliehene Betrag zurückgezahlt, wobei er sich jedoch nicht darüber erkundigte, ob der Fehler aufgeklärt werden konnte; er führte auch keine Kassen- oder Tresorkontrolle durch, um allfällige Fehler zu verifizieren und veranlasste auch Derartiges nicht. Er unterließ es insbesondere, die im Haus anwesenden Revisionsorgane bzw die Geschäftsleitung der beklagten Partei von diesem Vorfall in Kenntnis zu setzen.

Im Juni 1999 wurde ein wegen EDV-Problemen nicht automatisch erfasster Geldbetrag aus der Kasse des Restaurants in Höhe von rund S 11.000 entgegen der für solche Fälle vorgesehenen Weisung dem Tresorstand rechnerisch nicht zugeschrieben; der Verbleib dieses Betrages konnte nicht geklärt werden. Im Juli 1999 wies der Haupttresor einen Fehlbetrag von rund S 14.000 auf; bei der Endabrechnung des Monats Juli 1999 fehlte ein Betrag von genau S 10.000 auf die auf dem der Hausbank übergebenen Einzahlungsbeleg aufscheinende Summe. Auch sonst gab es vermehrt Differenzen bei den Abrechnungen der Kassiererinnen, wobei vor allem "runde" Beträge fehlten, was unter den davon betroffenen Kassiererinnen den Verdacht erweckte, dass Diebstähle durch unbekannte Täter, eventuell durch andere Mitarbeiter, der Grund dafür sein könnten; dieser Verdacht wurde jedoch an den Kläger nicht herangetragen.

Beginnend mit August 1999 wurde nach den erwähnten Vorfällen mit einer Revision der finanziellen Gebarung der Filiale begonnen, bei der sich Ende November 1999 die der Entlassung zu Grunde gelegten Vorwürfe - so etwa die Missachtung der Weisung, Kassenfehlbeträge an die Geschäftsleitung zu melden bzw die Übergabe von S 2.000 durch den Kläger an die Kassenaufsicht anlässlich der Revision im Sommer 1998 - bestätigten und die beklagte Partei nach weiteren Einvernahmen am 10. 12. 1999 die Entlassung aussprach.

Das Berufungsgericht erkannte die Entlassung für gerechtfertigt und wies das Begehren des Klägers auf Zahlung beendigungsabhängiger Ansprüche (Abfertigung, Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung) ab. Es vertrat die Auffassung, dass sich der Kläger nicht nur durch sein Verhalten im Sommer 1998, sondern auch durch die Duldung der Vorgangsweise der Hauptkassierin gegenüber den Kassierinnen laufend über die sich auf Kassenfehlbestände beziehenden Dienstanweisungen der beklagten Partei hinweggesetzt habe, sodass auch keine Rede davon sein könne, dass er sich nach dem Vorfall im Sommer 1998 wohlverhalten hätte. Die Duldung der weisungswidrigen Vorgangsweise der Hauptkassierin sei auch nicht als bloße Ordnungswidrigkeit, sondern vielmehr als ein eine Entlassung rechtfertigendes erhebliches Fehlverhalten zu beurteilen, wobei es für die Abgrenzung auf die Zumutbarkeit bzw Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist ankomme. Dass der Kläger das laufend gegen sachlich bedeutsame Weisungen des Dienstgebers verstoßende Verhalten der Hauptkassierin geduldet habe, mache der beklagten Partei seine Weiterbeschäftigung auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar. Diese Vorgangsweise des Klägers habe eine rasche Aufdeckung und Hintanhaltung der den Kassenfehlbeständen zu Grunde liegenden Manipulationen verhindert. Die betreffenden Dienstanweisungen der beklagten Partei sollten gerade auch dem Zweck dienen, derartige Manipulationen nach Möglichkeit hintanzuhalten, was jedermann unmittelbar einsichtig sei. Gegenüber dem Kläger als Leiter einer großen Filiale sei in Anbetracht seiner besonderen Vertrauensstellung auch ein strengerer Maßstab als bei Dienstnehmern in untergeordneter Stellung anzulegen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ergebe sich ein erhebliches Fehlverhalten, das in Verbindung mit dem ebenfalls nicht geringfügigen Fehlverhalten im Sommer 1998 die Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit rechtfertige. Der beklagten Partei sei auch keine Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots bei der Entlassungserklärung vorzuwerfen, weil diese nach weiteren Einvernahmen im ausreichenden zeitlichen Naheverhältnis zu den Ergebnissen der Revision ausgesprochen worden sei. Gerade bei Vorliegen eines undurchsichtigen und zweifelhaften Sachverhaltes sei der Dienstgeber berechtigt, mit der Entlassung bis zur Klärung der wesentlichen Umstände zuzuwarten.

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig (§ 46 Abs 3 Z 1 ASGG), jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen von einem Verweis auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts (§ 510 Abs 3 ZPO), das den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Z 1 AngG) als gegeben erachtet hat, ist den Revisionsausführungen Folgendes entgegenzuhalten:

Soweit der Kläger auf die akute Personalknappheit sowie seinen umfassenden Tätigkeitsbereich verweist, woraus erkennbar sei, dass er sich nicht persönlich mit jeder Aufgabe habe beschäftigen können, ist ihm entgegenzuhalten, dass ihm das Berufungsgericht nicht den Vorwurf gemacht hat, bestimmte Missstände nicht wahrgenommen zu haben. Vielmehr liegt sein maßgebliches Fehlverhalten darin, laufend ihm bekannte Verstöße gegen maßgebliche Anweisungen der Geschäftsleitung geduldet und nicht einmal den Versuch unternommen zu haben, diese abzustellen bzw den Mitarbeitern den Inhalt der Weisungen in Erinnerung zu rufen. Dafür wäre kein besonderer Zeitaufwand erforderlich gewesen, was umso mehr für sein Verhalten anlässlich der Revision im Sommer 1998 gilt, bei dem eine kurze Information der Revisionsorgane über das Fehlen eines Geldbetrages von S 2.000 ausgereicht hätte. Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger in diesem Zusammenhang besonders zum Vorwurf gemacht, sich auch im Nachhinein in keiner Weise dafür interessiert zu haben, auf welche Weise das rechnerische Kassenmanko von S 2.000 zustande gekommen ist bzw ob und inwieweit die Ursache dafür später aufgeklärt werden konnte. Soweit er dazu in der Revision die Auffassung vertritt, es wäre ihm auf Grund der akuten Personalknappheit und seines immensen Tätigkeitsbereichs nicht zuzumuten gewesen, die Angaben der für die Hauptkasse zuständigen Mitarbeiterin "in Zweifel zu ziehen", so übersieht er vor allem, dass diese Mitarbeiterin nach den Feststellungen der Vorinstanzen überhaupt keine konkreten Angaben zur Ursache der mangelnden Übereinstimmung zwischen den Aufzeichnungen und dem tatsächlich vorhandenen Geldbetrag gemacht hat. Auch wenn man dem Kläger zugestehen wollte, ohne viel zu überlegen aus der Situation heraus gehandelt zu haben, um ein Bloßstellen der Mitarbeiterin wegen eines allenfalls geringfügigen Fehlers zu vermeiden, so muss es doch als erhebliches Fehlverhalten angesehen werden, wenn er sich in der Folge für die Ursache der Abrechnungsdifferenz nicht im Mindesten interessiert hat. Wie das Berufungsgericht deutlich aufgezeigt hat, hatte die Anweisung, Fehlbestände an die Geschäftsleitung zu melden - auch über diese Weisung hat sich der Kläger im konkreten Fall hinweggesetzt -, gerade den Zweck, eine sachdienliche Untersuchung zu ermöglichen, um ähnliche Vorfälle in Zukunft hintanzuhalten. Dem Kläger musste daher auch durchaus bewusst sein, dass ein Hinwegsetzen über derartige Anweisung nicht als eine bloße Verletzung von Formalvorschriften bzw als weniger ins Gewicht fallende Ordnungswidrigkeit zu betrachten ist.

Entsprechendes muss für das (ständige) Dulden der Missachtung jener Vorschriften durch die Kassenaufsicht gelten, die durch Meldung von Kassenfehlbeträgen ein möglichst rasches und damit effizientes Ergreifen von Kontroll- bzw Überprüfungsmaßnahmen ermöglichen sollten. Der Kläger, dem bewusst war, dass Kassiererinnen - entgegen den entsprechenden Anweisungen der Geschäftsleitung - Fehlgeldbeträge aus Privatgeldern in die Kasse einzahlten, kann sich auch nicht dadurch entschuldigen, dass er davon ausgegangen sei, dass es sich hiebei um Beträge bis maximal S 500 handle. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund er zu dieser Annahme gekommen sein könnte - gerade der Umstand, dass offenbar höhere Fehlgeldbeträge nie gemeldet wurden, hätte Grund zur Vermutung gegeben, dass es generell zu einem derartigen "Privatausgleich" kommt -, musste ihm klar sein, dass die entsprechende Weisung ständig und generell missachtet wurde. Hätte er auf eine Einhaltung gedrungen und die weisungswidrige Praxis der Kassenaufsichtsmitarbeiterin abgestellt, wäre etwa bereits im Jänner 1998 bekannt geworden, dass einer Kassierin an diesem Tag ein Geldbetrag von S 5.000 gefehlt hat, worauf die Geschäftsleitung der beklagten Partei erheblich früher entsprechende Maßnahmen zur Hintanhaltung bzw Aufklärung der auch in der Folge offenbar weiterhin aufgetretenen Diebstähle hätte ergreifen können.

Soweit der Revisionswerber schließlich ins Treffen führt, er sei vor der Entlassung nicht abgemahnt worden, so ist nicht ersichtlich, worauf er damit hinauswill. Nachdem sich erst Ende November 1999 das für die Entlassung maßgebliche Fehlverhalten des Klägers "bestätigt" hat und danach noch weitere Einvernahmen durchgeführt wurden, die zur Entlassungserklärung vom 10. 12. 1999 führten, hatte die beklagte Partei weder Veranlassung noch die Möglichkeit, das ihr erst zu diesem Zeitpunkt in seiner Gesamtheit bekannt gewordene Fehlverhalten des Klägers durch vorherige Abmahnung zu beeinflussen. Auf seinen ursprünglichen Einwand, die beklagte Partei habe die Entlassung "verspätet" ausgesprochen, kommt der Kläger in seiner Revision nicht mehr zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO; der Einheitssatz für die Revisionsbeantwortung beträgt (nur) 50 %.

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