OGH 8ObA154/02h

OGH8ObA154/02h19.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Ing. Wilhelm Sturm als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der kla genden Partei Helmut K*****, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei J. ***** AG *****, vertreten durch Krömer & Nusterer Rechtsanwälte Partnerschaft in St. Pölten, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 7 Cga 36/93z des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht (Streitwert EUR 54.862,19 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2001, GZ 7 Ra 243/01h-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. November 2000, GZ 6 Cga 27/98a-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.804,82 (darin EUR 300,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger brachte im Vorverfahren, dessen Wiederaufnahme er nunmehr begehrt, vor, er sei im Jahre 1990 als begünstigter Behinderter nach dem Behinderteneinstellungsgesetz bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Diese habe versucht, das Arbeitsverhältnis zum 16. 11. 1990 aufzukündigen, ohne zuvor die notwendige Zustimmung des Landesinvalidenamtes eingeholt zu haben. Das Arbeitsverhältnis sei nach wie vor aufrecht. Die Beklagte schulde dem Kläger daher die monatlichen Gehälter von November 1990 bis einschließlich September 1993, für Oktober 1993 bis August 1994, für September 1994 bis März 1995 sowie für März 1995 bis Juni 1995 einschließlich der darauf entfallenden Sonderzahlungen im zuletzt begehrten Gesamtbetrag von ATS 945.577,25 brutto sA.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, sie habe von der Behinderteneigenschaft des Klägers keine Kenntnis gehabt. Der Kläger habe auch nach dem 16. 11. 1990 niemals seine Dienste angeboten. Erst nach nahezu drei Jahren sei er wieder an die Beklagte herangetreten, um Lohnforderungen geltend zu machen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger (rechtskräftig) einen Teilbetrag von ATS 190.657 brutto sA zu und wies das Mehrbegehren ab. Vor der wegen mangelhafter Arbeitsleistung ausgesprochenen Kündigung habe der Personalleiter der Beklagten den Kläger nach seiner Behinderteneigenschaft gefragt. Der Kläger habe diese zwar bejaht, sich jedoch geweigert, seinen Behindertenausweis vorzuzeigen. Der Kläger habe, obwohl er gewusst habe, "dass er als begünstigter Behinderter nicht gekündigt werden konnte", die Kündigung widerspruchslos hingenommen. Erst am 5. 8. 1993 habe die Beklagte ein Schreiben der Arbeiterkammer erhalten, in dem auf die Behinderteneigenschaft hingewiesen und um Wiedereinstellung ersucht worden sei. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die ausgesprochene Kündigung zwar gemäß § 8 BEinstG unwirksam gewesen sei, dass dem Kläger jedoch für die Zeit vom 16. 11. 1990 bis August 1993 kein Entgelt gebühre, weil er nicht im Sinn des § 1155 Abs 1 ABGB leistungsbereit gewesen sei. Erst aufgrund des Schreibens der Arbeiterkammer vom August 1993 habe er erstmals wieder seinen Leistungswillen dokumentiert, indem er nicht nur auf seine Behinderteneigenschaft verwiesen, sondern auch um seine Wiedereinstellung ersucht habe. Dem Kläger gebühre daher nur das Entgelt für die Monate August 1993 und September 1993. Weitere Ansprüche seien an die Beklagte erst mit der Klagsausdehnung vom 22. August 1994 herangetragen worden, sodass unter Berücksichtigung des Punktes 20 Z 1 des Kollektivvertrags für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie, wonach alle gegenseitigen Ansprüche bei sonstigem Verfall innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden mündlich oder schriftlich geltend gemacht werden müssen, nur die Gehälter für April 1994 bis einschließlich Juli 1994 zuerkannt werden konnten. Weitere Ansprüche habe der Kläger in der Tagsatzung vom 9. 3. 1995 geltend gemacht, weshalb ihm die Gehälter für die Monate November 1994 bis einschließlich Februar 1995 zustünden. Schließlich seien auch noch die aufgrund Klagsausdehnung am 30. 6. 1995 geltend gemachten Lohnansprüche für die Monate März bis Juni 1995 zuzusprechen gewesen. Zuzüglich der darauf entfallenden Sonderzahlungen sowie abzüglich der ersparten Kosten für die Anfahrt zum Arbeitsplatz mittels PKWs ergebe sich der Klagsbetrag.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen nur vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Auch nach Ansicht des Berufungsgerichts habe die Beklagte aufgrund des Verhaltens des Klägers (Inanspruchnahme von Sozialleistungen) davon ausgehen dürfen, dass der Kläger nicht im Geringsten leistungsbereit sei, zumal die Leistungsbereitschaft im Sinn des § 1155 ABGB ernstlich bestehen müsse und in diesem Sinn auch zu dokumentieren sei. Der Kläger habe aber der Beklagten gegenüber durch nichts dargetan, dass er jederzeit bereit sei, eine Arbeitsleistung in dem vom Erstgericht genannten Zeitraum von drei Jahren zu erbringen. Auch die Verfallsbestimmungen des Kollektivvertrags seien vom Erstgericht richtig angewendet worden. Der erkennende Senat gab der dagegen erhobenen Revision des Klägers nicht Folge. Eine allgemeine Pflicht des Dienstgebers über die Eigenschaft als begünstigter Behinderter weitergehende Erkundigungen einzuziehen, bestehe nicht. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers sei der Dienstnehmer verpflichtet, die ihm bekannte Eigenschaft als begünstigter Behinderter dem Dienstgeber mitzuteilen, weil es sich dabei um eine Angelegenheit handle, die infolge gesetzlicher Bestimmungen unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses habe. Dem Kläger sei die ihm schon vor der Kündigung bescheidmäßig zuerkannte Stellung als begünstigter Behinderter bekannt gewesen. Dass er diesen Umstand seinen Vorgesetzten verschwiegen habe, ändere zwar nichts an der Tatsache der Unwirksamkeit der Kündigung (§ 8 Abs 2 BEinstG), sei aber für die Beurteilung seines Entgeltfortzahlungsanspruches maßgeblich. Gemäß § 1155 Abs 1 ABGB gebühre dem Dienstnehmer auch für Dienstleistungen die nicht zustandegekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist. Der Dienstnehmer, der seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter bewusst verschweige und damit die Beendigung des Dienstverhältnisses durch Kündigung ohne Zustimmung des Behindertenausschusses in Kauf nehme, setze seinerseits Umstände, die seine Dienstleistung verhindern, weil bis zu dem von ihm zu erbringenden Beweis des Gegenteils davon auszugehen sei, dass der Dienstgeber die Kündigung in Kenntnis des Bestehens der Begünstigung nicht in dieser Form ausgesprochen hätte. Damit sei aber die Ursache für die Verhinderung an der Dienstleistung eindeutig dem Dienstnehmer zuzuordnen und darüber hinaus mit hinreichender Deutlichkeit indiziert, dass er in Wahrheit zur Erbringung seiner Leistung nicht bereit gewesen sei.

Mit seiner am 2. 4. 1998 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger mit dem wesentlichen Vorbringen, er habe am 9. 2. 1998 erfahren, dass der Bescheid des Landesinvalidenamtes für das Jahr 1990 der Beklagten am 25. 6. 1991 zugestellt worden sei, die Wiederaufnahme des Vorverfahrens.

Die Beklagte wendete ein, das Klagebegehren gehe schon deshalb ins Leere, weil weiterhin von der mangelnden Leistungsbereitschaft des Klägers und vom Verfall der Ansprüche auszugehen sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dieses sei verspätet gestellt worden, weil der Kläger bereits am 13. 8. 1997 in dem gegen seinen Rechtsvertreter im Vorverfahren geführten Schadenersatzprozess darauf verwiesen habe, dass die "Behindertenliste" jährlich der Beklagten zugestellt worden sei, sein Rechtsfreund es jedoch unterlassen habe, diese Liste dem Gericht vorzulegen. Daraus ergebe sich aber, dass der Kläger bereits mit diesem Zeitpunkt imstande gewesen sei, die ihm bekanntgewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen. Zudem sei der Beklagten der Bescheid erst in einem nicht mehr relevanten Zeitpunkt nach Ausspruch der Kündigung zugestellt worden. Das neue Beweismittel tangiere auch nicht die Feststellungen im Vorverfahren über die mangelnde Leistungsbereitschaft des Klägers.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Aus den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich, dass der damalige Rechtsfreund des Klägers bereits im Jahre 1994 in den Verwaltungsakt des Landesinvalidenamtes Einsicht genommen habe, in dem eine Verhandlungsniederschrift enthalten gewesen sei, aus der sich ergeben habe, dass Schriftstücke, aus denen die Behinderteneigenschaft des Klägers hätte ersehen werden können, erst Monate nach Ausspruch der Kündigung bei der Beklagten eingelangt seien. Der damalige Klagevertreter habe somit im Rahmen dessen erhöht anzusetzender Diligenzpflicht Kenntnis von den maßgeblichen Umständen gehabt bzw hätte er sie zumindest haben müssen. Es sei auf die rechtlichen Erwägungen des Erstgerichtes insbesondere zur Verfristung zu verweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn diese in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung in früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Die als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel müssen somit geeignet sein, eine günstigere Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses herbeizuführen. Schon die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses genügt, wobei es ausreicht, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (RIS-Justiz RS0044411; RS0044510; Kodek in Rechberger ZPO² § 530 Rz 5). Wie der erkennende Senat in seiner im Vorverfahren ergangenen Entscheidung 8 ObA 41/97f dargelegt hat, ist für die Beurteilung des Entgeltfortzahlungsanpruches die Bestimmung des § 1155 ABGB maßgeblich. Der Dienstnehmer, der seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter bewusst verschweigt und damit die Beendigung des Dienstverhältnisses durch Kündigung ohne Zustimmung des Behindertenausschusses in Kauf nimmt, setzt nämlich seinerseits Umstände, die seine Dienstleistung verhindern, weil bis zu dem von ihm zu erbringenden Beweis des Gegenteils davon auszugehen ist, dass der Dienstgeber die Kündigung in Kenntnis des Bestehens der Begünstigung nicht in dieser Form ausgesprochen hätte. Durch ein derartiges Verhalten wird mit hinreichender Deutlichkeit indiziert, dass der Dienstnehmer in Wahrheit zur Erbringung seiner Leistung nicht bereit ist.

Beachtet man, dass nach den im Vorverfahren getroffenen Feststellungen die Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers am 9. 11. 1990 zum 16. 11. 1990 ausgesprochen wurde, wird deutlich, dass die nun vom Wiederaufnahmskläger aufgestellte Behauptung, die Beklagte habe durch Zustellung des Bescheides des Landesinvalidenamtes vom 10. 6. 1991 davon Kenntnis erlangt, dass der Kläger für das Jahr 1990 die Stellung eines begünstigten Behinderten habe, die dargestellte rechtliche Beurteilung in keiner Weise zugunsten des Klägers beeinflussen könnte. Durch die Bescheidzustellung konnte nämlich eine Leistungsbereitschaft des Klägers nicht ausgedrückt werden, wäre es doch allein Sache des Klägers gewesen, der Beklagten die weitere Erbringung seiner Dienste anzubieten. Es kommt somit ausschließlich auf das Verhalten des Klägers und nicht darauf an, ob die Beklagte die Bescheidzustellung zum Anlass nehmen konnte, nunmehr um die Zustimmung des Landesinvalidenamtes zur Kündigung einzukommen. Der erkennende Senat hat bereits in seiner im Vorverfahren ergangenen Entscheidung auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als synallagmatisches Dauerschuldverhältnis sowie darauf verwiesen, dass aus der Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers zwischen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und Geltendmachung entlassungs- bzw kündigungsabhängiger Ansprüche ein Klarstellungsinteresse des Vertragspartners abzuleiten sei, weshalb der weitere Leistungsbereitschaft voraussetzende Fortsetzungsanspruch nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden könne (ArbSlg 11.023). Diesem berechtigten und schützenswerten Klarstellungsinteresse konnte aber nicht durch die Bescheidzustellung, sondern ausschließlich durch eine entsprechende Erklärung des Klägers Genüge getan werden. Dass sich der Kläger aber bereits zu einem vor dem Schreiben der Arbeiterkammer liegenden Zeitpunkt mit der Beklagten in Verbindung gesetzt und seine Arbeitsbereitschaft erklärt hätte, wird auch in der Wiederaufnahmsklage nicht vorgebracht. Dass es am Kläger gelegen wäre, aktiv zu werden, ergibt sich auch aus der Verfallsbestimmung des Punktes 20 des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie, wonach alle gegenseitigen Ansprüche nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden mündlich oder schriftlich geltend gemacht werden müssen. Dass die behauptete Zustellung des Bescheides des Landesinvalidenamts einer derartigen Geltendmachung nicht gleichgehalten werden kann, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Inwieweit der behauptete Wiederaufnahmsgrund eine Änderung der Beweiswürdigung im Vorverfahren hätte bewirken können, wurde nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich. Da sich somit im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, das Vorbringen des Wiederaufnahmswerbers wäre geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung im Vorverfahren herbeizuführen, bedarf die Frage der Verfristung der Wiederaufnahmsklage keiner weiteren Erörterung. Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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